unsrige nicht hat, wodurch sie vor den Ueber¬ windern Gnade fanden, welche die unsrige niemals finden kann. Hätten diese Vertröster besser um sich geschaut, so würden sie ein an¬ deres, unseres Erachtens hier durchaus passen¬ des Beispiel gefunden haben, das der wendi¬ schen Sprache. Auch diese dauert seit der Rei¬ he von Jahrhunderten, daß das Volk dersel¬ ben seine Freiheit verloren hat, noch immer fort, in den ärmlichen Hütten des an die Scholle gebundenen Leibeignen nämlich, da¬ mit er in ihr, unverstanden von seinem Be¬ drücker, sein Schiksal beklagen könne.
Oder setze man den Fall, daß unsre Spra¬ che lebendig und eine Schriftstellersprache blei¬ be, und so ihre Litteratur behalte; was kann denn das für eine Litteratur seyn, die Litte¬ ratur eines Volkes ohne politische Selbststän¬ digkeit? Was will denn der vernünftige Schriftsteller, und was kann er wollen? Nichts anderes, denn eingreifen in das allge¬ meine und öffentliche Leben, und dasselbe nach seinem Bilde gestalten und umschaffen; und wenn er dies nicht will, so ist alles sein Reden
unſrige nicht hat, wodurch ſie vor den Ueber¬ windern Gnade fanden, welche die unſrige niemals finden kann. Haͤtten dieſe Vertroͤſter beſſer um ſich geſchaut, ſo wuͤrden ſie ein an¬ deres, unſeres Erachtens hier durchaus paſſen¬ des Beiſpiel gefunden haben, das der wendi¬ ſchen Sprache. Auch dieſe dauert ſeit der Rei¬ he von Jahrhunderten, daß das Volk derſel¬ ben ſeine Freiheit verloren hat, noch immer fort, in den aͤrmlichen Huͤtten des an die Scholle gebundenen Leibeignen naͤmlich, da¬ mit er in ihr, unverſtanden von ſeinem Be¬ druͤcker, ſein Schikſal beklagen koͤnne.
Oder ſetze man den Fall, daß unſre Spra¬ che lebendig und eine Schriftſtellerſprache blei¬ be, und ſo ihre Litteratur behalte; was kann denn das fuͤr eine Litteratur ſeyn, die Litte¬ ratur eines Volkes ohne politiſche Selbſtſtaͤn¬ digkeit? Was will denn der vernuͤnftige Schriftſteller, und was kann er wollen? Nichts anderes, denn eingreifen in das allge¬ meine und oͤffentliche Leben, und daſſelbe nach ſeinem Bilde geſtalten und umſchaffen; und wenn er dies nicht will, ſo iſt alles ſein Reden
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unſrige nicht hat, wodurch ſie vor den Ueber¬
windern Gnade fanden, welche die unſrige
niemals finden kann. Haͤtten dieſe Vertroͤſter
beſſer um ſich geſchaut, ſo wuͤrden ſie ein an¬
deres, unſeres Erachtens hier durchaus paſſen¬
des Beiſpiel gefunden haben, das der wendi¬
ſchen Sprache. Auch dieſe dauert ſeit der Rei¬
he von Jahrhunderten, daß das Volk derſel¬
ben ſeine Freiheit verloren hat, noch immer
fort, in den aͤrmlichen Huͤtten des an die
Scholle gebundenen Leibeignen naͤmlich, da¬
mit er in ihr, unverſtanden von ſeinem Be¬
druͤcker, ſein Schikſal beklagen koͤnne.
Oder ſetze man den Fall, daß unſre Spra¬
che lebendig und eine Schriftſtellerſprache blei¬
be, und ſo ihre Litteratur behalte; was kann
denn das fuͤr eine Litteratur ſeyn, die Litte¬
ratur eines Volkes ohne politiſche Selbſtſtaͤn¬
digkeit? Was will denn der vernuͤnftige
Schriftſteller, und was kann er wollen?
Nichts anderes, denn eingreifen in das allge¬
meine und oͤffentliche Leben, und daſſelbe nach
ſeinem Bilde geſtalten und umſchaffen; und
wenn er dies nicht will, ſo iſt alles ſein Reden
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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