nen Nachdenken und Urtheilen anzuregen. Ich muß von nun an jeden sich selbst überlassen. Nur warnen kann ich noch, daß man durch seichte und oberflächliche Gedanken, die auch über diesen Gegenstand sich im Umlaufe befin¬ den, sich nicht täuschen, vom tiefern Nachden¬ ken sich nicht abhalten, und durch nichtige Vertröstungen sich nicht abfinden lasse.
Wir haben z. B. schon lange vor den lezten Ereignissen, gleichsam auf den Vorrath, hö¬ ren müssen, und es ist uns seitdem häufig wie¬ derholt worden, daß, wenn auch unsre poli¬ tische Selbständigkeit verloren sey, wir dennoch unsre Sprache behielten, und unsre Litteratur, und in diesen immer eine Nation blieben, und damit über alles andere uns leichtlich trösten könnten.
Worauf gründet sich denn zuförderst die Hoffnung, daß wir auch ohne politische Selbst¬ ständigkeit dennoch unsre Sprache behalten werden? Jene, die also sagen, schreiben doch wohl nicht ihrem Zureden und ihren Ermahnun¬ gen, auf Kind und Kindeskind hinaus, und auf alle künftigen Jahrhunderte, diese wun¬ derwirkende Kraft zu? Was von den jeztle¬
nen Nachdenken und Urtheilen anzuregen. Ich muß von nun an jeden ſich ſelbſt uͤberlaſſen. Nur warnen kann ich noch, daß man durch ſeichte und oberflaͤchliche Gedanken, die auch uͤber dieſen Gegenſtand ſich im Umlaufe befin¬ den, ſich nicht taͤuſchen, vom tiefern Nachden¬ ken ſich nicht abhalten, und durch nichtige Vertroͤſtungen ſich nicht abfinden laſſe.
Wir haben z. B. ſchon lange vor den lezten Ereigniſſen, gleichſam auf den Vorrath, hoͤ¬ ren muͤſſen, und es iſt uns ſeitdem haͤufig wie¬ derholt worden, daß, wenn auch unſre poli¬ tiſche Selbſtaͤndigkeit verloren ſey, wir dennoch unſre Sprache behielten, und unſre Litteratur, und in dieſen immer eine Nation blieben, und damit uͤber alles andere uns leichtlich troͤſten koͤnnten.
Worauf gruͤndet ſich denn zufoͤrderſt die Hoffnung, daß wir auch ohne politiſche Selbſt¬ ſtaͤndigkeit dennoch unſre Sprache behalten werden? Jene, die alſo ſagen, ſchreiben doch wohl nicht ihrem Zureden und ihren Ermahnun¬ gen, auf Kind und Kindeskind hinaus, und auf alle kuͤnftigen Jahrhunderte, dieſe wun¬ derwirkende Kraft zu? Was von den jeztle¬
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nen Nachdenken und Urtheilen anzuregen. Ich
muß von nun an jeden ſich ſelbſt uͤberlaſſen.
Nur warnen kann ich noch, daß man durch
ſeichte und oberflaͤchliche Gedanken, die auch
uͤber dieſen Gegenſtand ſich im Umlaufe befin¬
den, ſich nicht taͤuſchen, vom tiefern Nachden¬
ken ſich nicht abhalten, und durch nichtige
Vertroͤſtungen ſich nicht abfinden laſſe.
Wir haben z. B. ſchon lange vor den lezten
Ereigniſſen, gleichſam auf den Vorrath, hoͤ¬
ren muͤſſen, und es iſt uns ſeitdem haͤufig wie¬
derholt worden, daß, wenn auch unſre poli¬
tiſche Selbſtaͤndigkeit verloren ſey, wir dennoch
unſre Sprache behielten, und unſre Litteratur,
und in dieſen immer eine Nation blieben, und
damit uͤber alles andere uns leichtlich troͤſten
koͤnnten.
Worauf gruͤndet ſich denn zufoͤrderſt die
Hoffnung, daß wir auch ohne politiſche Selbſt¬
ſtaͤndigkeit dennoch unſre Sprache behalten
werden? Jene, die alſo ſagen, ſchreiben doch
wohl nicht ihrem Zureden und ihren Ermahnun¬
gen, auf Kind und Kindeskind hinaus, und
auf alle kuͤnftigen Jahrhunderte, dieſe wun¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/397>, abgerufen am 23.11.2024.
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