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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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Philosophie und der Wissenschaft überhaupt,
sich selbst Erziehung gegeben haben, denen es
ein rechter Ernst ist mit ihrem Geschäfte, die ei¬
nen festen Begriff vom Menschen und seiner
Bestimmung besitzen, die da fähig sind, die
Gegenwart zu verstehen, und zu begreifen, was
eigentlich der Menschheit dermalen unausbleib¬
lich Noth thut; hätten diese aus jenen Vorbe¬
griffen etwa selbst eingesehen, daß nur Erzie¬
hung vor der, außerdem unaufhaltsam über
uns hereinbrechenden, Barbarei und Verwilde¬
rung uns retten könne, schwebte ihnen ein Bild
vor von dem neuen Menschengeschlechte, das
durch diese Erziehung entstehen würde, wären
sie selbst innig überzeugt von der Unfehlbarkeit
und Untrüglichkeit der vorgeschlagenen Mittel;
so ließe von solchen sich auch erwarten, daß sie
zugleich begriffen, der Staat, als höchster
Verweser der menschlichen Angelegenheiten,
und als der Gott und seinem Gewissen allein
verantwortliche Vormund der Unmündigen,
habe das vollkommene Recht, die lezteren zu
ihrem Heile auch zu zwingen. Wo giebt es
denn dermalen einen Staat, der da zweifle,

Philoſophie und der Wiſſenſchaft uͤberhaupt,
ſich ſelbſt Erziehung gegeben haben, denen es
ein rechter Ernſt iſt mit ihrem Geſchaͤfte, die ei¬
nen feſten Begriff vom Menſchen und ſeiner
Beſtimmung beſitzen, die da faͤhig ſind, die
Gegenwart zu verſtehen, und zu begreifen, was
eigentlich der Menſchheit dermalen unausbleib¬
lich Noth thut; haͤtten dieſe aus jenen Vorbe¬
griffen etwa ſelbſt eingeſehen, daß nur Erzie¬
hung vor der, außerdem unaufhaltſam uͤber
uns hereinbrechenden, Barbarei und Verwilde¬
rung uns retten koͤnne, ſchwebte ihnen ein Bild
vor von dem neuen Menſchengeſchlechte, das
durch dieſe Erziehung entſtehen wuͤrde, waͤren
ſie ſelbſt innig uͤberzeugt von der Unfehlbarkeit
und Untruͤglichkeit der vorgeſchlagenen Mittel;
ſo ließe von ſolchen ſich auch erwarten, daß ſie
zugleich begriffen, der Staat, als hoͤchſter
Verweſer der menſchlichen Angelegenheiten,
und als der Gott und ſeinem Gewiſſen allein
verantwortliche Vormund der Unmuͤndigen,
habe das vollkommene Recht, die lezteren zu
ihrem Heile auch zu zwingen. Wo giebt es
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[360/0366] Philoſophie und der Wiſſenſchaft uͤberhaupt, ſich ſelbſt Erziehung gegeben haben, denen es ein rechter Ernſt iſt mit ihrem Geſchaͤfte, die ei¬ nen feſten Begriff vom Menſchen und ſeiner Beſtimmung beſitzen, die da faͤhig ſind, die Gegenwart zu verſtehen, und zu begreifen, was eigentlich der Menſchheit dermalen unausbleib¬ lich Noth thut; haͤtten dieſe aus jenen Vorbe¬ griffen etwa ſelbſt eingeſehen, daß nur Erzie¬ hung vor der, außerdem unaufhaltſam uͤber uns hereinbrechenden, Barbarei und Verwilde¬ rung uns retten koͤnne, ſchwebte ihnen ein Bild vor von dem neuen Menſchengeſchlechte, das durch dieſe Erziehung entſtehen wuͤrde, waͤren ſie ſelbſt innig uͤberzeugt von der Unfehlbarkeit und Untruͤglichkeit der vorgeſchlagenen Mittel; ſo ließe von ſolchen ſich auch erwarten, daß ſie zugleich begriffen, der Staat, als hoͤchſter Verweſer der menſchlichen Angelegenheiten, und als der Gott und ſeinem Gewiſſen allein verantwortliche Vormund der Unmuͤndigen, habe das vollkommene Recht, die lezteren zu ihrem Heile auch zu zwingen. Wo giebt es denn dermalen einen Staat, der da zweifle,

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/366>, abgerufen am 24.11.2024.