greifen; jedem aber, der diese Eigenschaften zeigt, wird sie es ohne Ausnahme, und ohne Rüksicht auf einen vorgeblichen Unterschied der Geburt, erlauben müssen; denn der Gelehrte ist es keinesweges zu seiner eignen Bequemlichkeit, und jedes Talent dazu ist ein schäzbares Eigen¬ thum der Nation, das ihr nicht entrissen wer¬ den darf.
Der Ungelehrte ist bestimmt, das Menschen¬ geschlecht auf dem Standpunkte der Ausbil¬ dung, die es errungen hat, durch sich selbst zu erhalten, der Gelehrte, nach einem klaren Be¬ griffe, und mit besonnener Kunst, dasselbe wei¬ ter zu bringen. Der leztere muß mit seinem Begriffe der Gegenwart immer voraus seyn, die Zukunft erfassen, und dieselbe in die Gegen¬ wart zu künftiger Entwiklung hinein zu pflan¬ zen vermögen. Dazu bedarf es einer kla¬ ren Uebersicht des bisherigen Weltzustandes, einer freien Fertigkeit im reinen und von der Erscheinung unabhängigen Denken, und, damit er sich mittheilen könne, des Besitzes der Sprache bis in ihre lebendige und schöpfe¬ rische Wurzel hinein. Alles dieses erfordert geistige Selbstthätigkeit ohne alle fremde Lei¬
greifen; jedem aber, der dieſe Eigenſchaften zeigt, wird ſie es ohne Ausnahme, und ohne Ruͤkſicht auf einen vorgeblichen Unterſchied der Geburt, erlauben muͤſſen; denn der Gelehrte iſt es keinesweges zu ſeiner eignen Bequemlichkeit, und jedes Talent dazu iſt ein ſchaͤzbares Eigen¬ thum der Nation, das ihr nicht entriſſen wer¬ den darf.
Der Ungelehrte iſt beſtimmt, das Menſchen¬ geſchlecht auf dem Standpunkte der Ausbil¬ dung, die es errungen hat, durch ſich ſelbſt zu erhalten, der Gelehrte, nach einem klaren Be¬ griffe, und mit beſonnener Kunſt, daſſelbe wei¬ ter zu bringen. Der leztere muß mit ſeinem Begriffe der Gegenwart immer voraus ſeyn, die Zukunft erfaſſen, und dieſelbe in die Gegen¬ wart zu kuͤnftiger Entwiklung hinein zu pflan¬ zen vermoͤgen. Dazu bedarf es einer kla¬ ren Ueberſicht des bisherigen Weltzuſtandes, einer freien Fertigkeit im reinen und von der Erſcheinung unabhaͤngigen Denken, und, damit er ſich mittheilen koͤnne, des Beſitzes der Sprache bis in ihre lebendige und ſchoͤpfe¬ riſche Wurzel hinein. Alles dieſes erfordert geiſtige Selbſtthaͤtigkeit ohne alle fremde Lei¬
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greifen; jedem aber, der dieſe Eigenſchaften
zeigt, wird ſie es ohne Ausnahme, und ohne
Ruͤkſicht auf einen vorgeblichen Unterſchied der
Geburt, erlauben muͤſſen; denn der Gelehrte iſt
es keinesweges zu ſeiner eignen Bequemlichkeit,
und jedes Talent dazu iſt ein ſchaͤzbares Eigen¬
thum der Nation, das ihr nicht entriſſen wer¬
den darf.
Der Ungelehrte iſt beſtimmt, das Menſchen¬
geſchlecht auf dem Standpunkte der Ausbil¬
dung, die es errungen hat, durch ſich ſelbſt zu
erhalten, der Gelehrte, nach einem klaren Be¬
griffe, und mit beſonnener Kunſt, daſſelbe wei¬
ter zu bringen. Der leztere muß mit ſeinem
Begriffe der Gegenwart immer voraus ſeyn,
die Zukunft erfaſſen, und dieſelbe in die Gegen¬
wart zu kuͤnftiger Entwiklung hinein zu pflan¬
zen vermoͤgen. Dazu bedarf es einer kla¬
ren Ueberſicht des bisherigen Weltzuſtandes,
einer freien Fertigkeit im reinen und von der
Erſcheinung unabhaͤngigen Denken, und,
damit er ſich mittheilen koͤnne, des Beſitzes
der Sprache bis in ihre lebendige und ſchoͤpfe¬
riſche Wurzel hinein. Alles dieſes erfordert
geiſtige Selbſtthaͤtigkeit ohne alle fremde Lei¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/347>, abgerufen am 22.11.2024.
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