mündige Mensch hat den Maaßstab seiner Selbstschätzung in ihm selber, und will von andern geachtet seyn, nur inwiefern sie selbst erst seiner Achtung sich würdig gemacht haben; und bei ihm nimmt dieser Trieb die Gestalt des Verlangens an, andere achten zu können, und achtungswürdiges außer sich hervorzubringen. Wenn es nicht einen solchen Grundtrieb im Menschen gäbe, woher käme doch die Erschei¬ nung, daß es dem auch nur erträglich guten Menschen wehe thut, die Menschen schlechter zu finden, als er sie sich dachte, und daß es ihn tief schmerzt, sie verachten zu müssen; da es ja der Selbstsucht im Gegentheile wohl thun müßte, über andere sich hochmüthig erheben zu können? Diesen lezten Grundzug der Mün¬ digkeit nun soll der Erzieher darstellen, so wie auf den ersten bei dem Zöglinge sicher zu rech¬ nen ist. Der Zweck der Erziehung in dieser Rüksicht ist es eben, die Mündigkeit, in dem von uns angegebenen Sinne, hervorzubringen, und nur, nachdem dieser Zwek erreicht ist, ist die Erziehung wirklich vollendet, und zu Ende ge¬ bracht. Bisher sind viele Menschen ihr gan¬ zes Leben hindurch Kinder geblieben; diejeni¬
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muͤndige Menſch hat den Maaßſtab ſeiner Selbſtſchaͤtzung in ihm ſelber, und will von andern geachtet ſeyn, nur inwiefern ſie ſelbſt erſt ſeiner Achtung ſich wuͤrdig gemacht haben; und bei ihm nimmt dieſer Trieb die Geſtalt des Verlangens an, andere achten zu koͤnnen, und achtungswuͤrdiges außer ſich hervorzubringen. Wenn es nicht einen ſolchen Grundtrieb im Menſchen gaͤbe, woher kaͤme doch die Erſchei¬ nung, daß es dem auch nur ertraͤglich guten Menſchen wehe thut, die Menſchen ſchlechter zu finden, als er ſie ſich dachte, und daß es ihn tief ſchmerzt, ſie verachten zu muͤſſen; da es ja der Selbſtſucht im Gegentheile wohl thun muͤßte, uͤber andere ſich hochmuͤthig erheben zu koͤnnen? Dieſen lezten Grundzug der Muͤn¬ digkeit nun ſoll der Erzieher darſtellen, ſo wie auf den erſten bei dem Zoͤglinge ſicher zu rech¬ nen iſt. Der Zweck der Erziehung in dieſer Ruͤkſicht iſt es eben, die Muͤndigkeit, in dem von uns angegebenen Sinne, hervorzubringen, und nur, nachdem dieſer Zwek erreicht iſt, iſt die Erziehung wirklich vollendet, und zu Ende ge¬ bracht. Bisher ſind viele Menſchen ihr gan¬ zes Leben hindurch Kinder geblieben; diejeni¬
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muͤndige Menſch hat den Maaßſtab ſeiner
Selbſtſchaͤtzung in ihm ſelber, und will von
andern geachtet ſeyn, nur inwiefern ſie ſelbſt
erſt ſeiner Achtung ſich wuͤrdig gemacht haben;
und bei ihm nimmt dieſer Trieb die Geſtalt des
Verlangens an, andere achten zu koͤnnen, und
achtungswuͤrdiges außer ſich hervorzubringen.
Wenn es nicht einen ſolchen Grundtrieb im
Menſchen gaͤbe, woher kaͤme doch die Erſchei¬
nung, daß es dem auch nur ertraͤglich guten
Menſchen wehe thut, die Menſchen ſchlechter
zu finden, als er ſie ſich dachte, und daß es
ihn tief ſchmerzt, ſie verachten zu muͤſſen; da
es ja der Selbſtſucht im Gegentheile wohl thun
muͤßte, uͤber andere ſich hochmuͤthig erheben zu
koͤnnen? Dieſen lezten Grundzug der Muͤn¬
digkeit nun ſoll der Erzieher darſtellen, ſo wie
auf den erſten bei dem Zoͤglinge ſicher zu rech¬
nen iſt. Der Zweck der Erziehung in dieſer
Ruͤkſicht iſt es eben, die Muͤndigkeit, in dem von
uns angegebenen Sinne, hervorzubringen, und
nur, nachdem dieſer Zwek erreicht iſt, iſt die
Erziehung wirklich vollendet, und zu Ende ge¬
bracht. Bisher ſind viele Menſchen ihr gan¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/327>, abgerufen am 23.11.2024.
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