festen Leitfaden, und ohne sichere Gewißheit, blind und träumend herumtappt.
Warum sollten wir denn auch uns scheuen vor dieser Klarheit? Das Uebel wird durch die Unbekanntschaft damit nicht kleiner, noch durch die Erkenntniß größer; es wird nur heil¬ bar durch die leztere; die Schuld aber soll hier gar nicht vorgerükt werden. Züchtige man durch bittere Straf-Rede, durch beissenden Spott, durch schneidende Verachtung die Träg¬ heit und die Selbstsucht, und reize sie, wenn auch zu nichts besserem, doch wenigstens zum Hasse und zur Erbitterung gegen den Erinnerer selbst, als doch auch einer kräftigen Regung, an, -- so lange die nothwendige Folge, das Uebel, noch nicht vollendet ist, und von der Besserung noch Rettung oder Milderung sich erwarten läßt. Nachdem aber dieses Uebel also vollendet ist, daß es uns auch die Möglichkeit auf diese Weise fortzusündigen benimmt, wird es zweklos, und sieht aus wie Schadenfreude, gegen die nicht mehr zu begehende Sünde noch ferner zu schelten; und die Betrachtung fällt sodann ans dem Gebiete der Sittenlehre in
feſten Leitfaden, und ohne ſichere Gewißheit, blind und traͤumend herumtappt.
Warum ſollten wir denn auch uns ſcheuen vor dieſer Klarheit? Das Uebel wird durch die Unbekanntſchaft damit nicht kleiner, noch durch die Erkenntniß groͤßer; es wird nur heil¬ bar durch die leztere; die Schuld aber ſoll hier gar nicht vorgeruͤkt werden. Zuͤchtige man durch bittere Straf-Rede, durch beiſſenden Spott, durch ſchneidende Verachtung die Traͤg¬ heit und die Selbſtſucht, und reize ſie, wenn auch zu nichts beſſerem, doch wenigſtens zum Haſſe und zur Erbitterung gegen den Erinnerer ſelbſt, als doch auch einer kraͤftigen Regung, an, — ſo lange die nothwendige Folge, das Uebel, noch nicht vollendet iſt, und von der Beſſerung noch Rettung oder Milderung ſich erwarten laͤßt. Nachdem aber dieſes Uebel alſo vollendet iſt, daß es uns auch die Moͤglichkeit auf dieſe Weiſe fortzuſuͤndigen benimmt, wird es zweklos, und ſieht aus wie Schadenfreude, gegen die nicht mehr zu begehende Suͤnde noch ferner zu ſchelten; und die Betrachtung faͤllt ſodann ans dem Gebiete der Sittenlehre in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0032"n="26"/>
feſten Leitfaden, und ohne ſichere Gewißheit,<lb/>
blind und traͤumend herumtappt.</p><lb/><p>Warum ſollten wir denn auch uns ſcheuen<lb/>
vor dieſer Klarheit? Das Uebel wird durch<lb/>
die Unbekanntſchaft damit nicht kleiner, noch<lb/>
durch die Erkenntniß groͤßer; es wird nur heil¬<lb/>
bar durch die leztere; die Schuld aber ſoll hier<lb/>
gar nicht vorgeruͤkt werden. Zuͤchtige man<lb/>
durch bittere Straf-Rede, durch beiſſenden<lb/>
Spott, durch ſchneidende Verachtung die Traͤg¬<lb/>
heit und die Selbſtſucht, und reize ſie, wenn<lb/>
auch zu nichts beſſerem, doch wenigſtens zum<lb/>
Haſſe und zur Erbitterung gegen den Erinnerer<lb/>ſelbſt, als doch auch einer kraͤftigen Regung,<lb/>
an, —ſo lange die nothwendige Folge, das<lb/>
Uebel, noch nicht vollendet iſt, und von der<lb/>
Beſſerung noch Rettung oder Milderung ſich<lb/>
erwarten laͤßt. Nachdem aber dieſes Uebel alſo<lb/>
vollendet iſt, daß es uns auch die Moͤglichkeit<lb/>
auf dieſe Weiſe fortzuſuͤndigen benimmt, wird<lb/>
es zweklos, und ſieht aus wie Schadenfreude,<lb/>
gegen die nicht mehr zu begehende Suͤnde noch<lb/>
ferner zu ſchelten; und die Betrachtung faͤllt<lb/>ſodann ans dem Gebiete der Sittenlehre in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[26/0032]
feſten Leitfaden, und ohne ſichere Gewißheit,
blind und traͤumend herumtappt.
Warum ſollten wir denn auch uns ſcheuen
vor dieſer Klarheit? Das Uebel wird durch
die Unbekanntſchaft damit nicht kleiner, noch
durch die Erkenntniß groͤßer; es wird nur heil¬
bar durch die leztere; die Schuld aber ſoll hier
gar nicht vorgeruͤkt werden. Zuͤchtige man
durch bittere Straf-Rede, durch beiſſenden
Spott, durch ſchneidende Verachtung die Traͤg¬
heit und die Selbſtſucht, und reize ſie, wenn
auch zu nichts beſſerem, doch wenigſtens zum
Haſſe und zur Erbitterung gegen den Erinnerer
ſelbſt, als doch auch einer kraͤftigen Regung,
an, — ſo lange die nothwendige Folge, das
Uebel, noch nicht vollendet iſt, und von der
Beſſerung noch Rettung oder Milderung ſich
erwarten laͤßt. Nachdem aber dieſes Uebel alſo
vollendet iſt, daß es uns auch die Moͤglichkeit
auf dieſe Weiſe fortzuſuͤndigen benimmt, wird
es zweklos, und ſieht aus wie Schadenfreude,
gegen die nicht mehr zu begehende Suͤnde noch
ferner zu ſchelten; und die Betrachtung faͤllt
ſodann ans dem Gebiete der Sittenlehre in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/32>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.