ter Gebrauch der Religion, der unter andern auch sehr häufig vom Christenthume gemacht wor¬ den, wenn dieselbe gleich von vorn herein, und ohne Rüksicht auf die vorhandenen Umstände, darauf ausgeht, diese Zurükziehung von den Angelegenheiten des Staates, und der Nation, als wahre religiöse Gesinnung zu empfehlen. In einer solchen Lage, wenn sie wahr und wirk¬ lich ist, und nicht etwa bloß durch religiöse Schwärmerei herbeigeführt, verliert das zeit¬ liche Leben alle Selbstbeständigkeit, und es wird lediglich zu einem Vorhofe des wahren Lebens, und zu einer schweren Prüfung, die man bloß aus Gehorsam, und Ergebung in den Willen Gottes erträgt, und dann ist es wahr, daß, wie es von vielen vorgestellt worden, un¬ sterbliche Geister nur zu ihrer Strafe in irdische Leiber, als in Gefängnisse, eingetaucht sind. In der regelmäßigen Ordnung der Dinge hin¬ gegen soll das irdische Leben selber wahrhaftig Leben seyn, dessen man sich erfreuen, und das man, freilich in Erwartung eines höhern, dank¬ bar genießen könne; und obwohl es wahr ist, daß die Religion auch der Trost ist des wider¬ rechtlich zerdrückten Sklaven, so ist dennoch
ter Gebrauch der Religion, der unter andern auch ſehr haͤufig vom Chriſtenthume gemacht wor¬ den, wenn dieſelbe gleich von vorn herein, und ohne Ruͤkſicht auf die vorhandenen Umſtaͤnde, darauf ausgeht, dieſe Zuruͤkziehung von den Angelegenheiten des Staates, und der Nation, als wahre religioͤſe Geſinnung zu empfehlen. In einer ſolchen Lage, wenn ſie wahr und wirk¬ lich iſt, und nicht etwa bloß durch religioͤſe Schwaͤrmerei herbeigefuͤhrt, verliert das zeit¬ liche Leben alle Selbſtbeſtaͤndigkeit, und es wird lediglich zu einem Vorhofe des wahren Lebens, und zu einer ſchweren Pruͤfung, die man bloß aus Gehorſam, und Ergebung in den Willen Gottes ertraͤgt, und dann iſt es wahr, daß, wie es von vielen vorgeſtellt worden, un¬ ſterbliche Geiſter nur zu ihrer Strafe in irdiſche Leiber, als in Gefaͤngniſſe, eingetaucht ſind. In der regelmaͤßigen Ordnung der Dinge hin¬ gegen ſoll das irdiſche Leben ſelber wahrhaftig Leben ſeyn, deſſen man ſich erfreuen, und das man, freilich in Erwartung eines hoͤhern, dank¬ bar genießen koͤnne; und obwohl es wahr iſt, daß die Religion auch der Troſt iſt des wider¬ rechtlich zerdruͤckten Sklaven, ſo iſt dennoch
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ter Gebrauch der Religion, der unter andern auch
ſehr haͤufig vom Chriſtenthume gemacht wor¬
den, wenn dieſelbe gleich von vorn herein, und
ohne Ruͤkſicht auf die vorhandenen Umſtaͤnde,
darauf ausgeht, dieſe Zuruͤkziehung von den
Angelegenheiten des Staates, und der Nation,
als wahre religioͤſe Geſinnung zu empfehlen.
In einer ſolchen Lage, wenn ſie wahr und wirk¬
lich iſt, und nicht etwa bloß durch religioͤſe
Schwaͤrmerei herbeigefuͤhrt, verliert das zeit¬
liche Leben alle Selbſtbeſtaͤndigkeit, und es
wird lediglich zu einem Vorhofe des wahren
Lebens, und zu einer ſchweren Pruͤfung, die
man bloß aus Gehorſam, und Ergebung in den
Willen Gottes ertraͤgt, und dann iſt es wahr,
daß, wie es von vielen vorgeſtellt worden, un¬
ſterbliche Geiſter nur zu ihrer Strafe in irdiſche
Leiber, als in Gefaͤngniſſe, eingetaucht ſind.
In der regelmaͤßigen Ordnung der Dinge hin¬
gegen ſoll das irdiſche Leben ſelber wahrhaftig
Leben ſeyn, deſſen man ſich erfreuen, und das
man, freilich in Erwartung eines hoͤhern, dank¬
bar genießen koͤnne; und obwohl es wahr iſt,
daß die Religion auch der Troſt iſt des wider¬
rechtlich zerdruͤckten Sklaven, ſo iſt dennoch
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/252>, abgerufen am 25.11.2024.
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