des Gemüths gefaßt hatte, erhob das durch den erhaltenen glänzenden Triumph ange¬ feuerte freie Denken sich leichter, und höher, ohne die Fessel eines Glaubens an Ueber¬ sinnliches; aber es blieb in der sinnlichen Fessel des Glaubens an den natürlichen, ohne Bildung und Sitte aufgewachsenen Verstand; und weit entfernt, daß es in der Vernunft die Quelle auf sich selbst beruhender Wahr¬ heit entdeckt hätte, wurden für dasselbe die Aussprüche dieses rohen Verstandes dasje¬ nige, was für die Scholastiker die Kirche, für die ersten protestantischen Theologen das Evangelium war; ob sie wahr seyen, dar¬ über regte sich kein Zweifel, die Frage war bloß, wie sie diese Wahrheit gegen bestrei¬ tende Ansprüche behaupten könnten.
Indem nun dieses Denken in das Gebiet der Vernunft, deren Gegenstreit bedeutender gewesen seyn würde, gar nicht hineinkam, so fand es keinen Gegner, außer der historisch vorhandenen Religion, und wurde mit dieser leicht fertig, indem es sie an den Maaßstab des vorausgesezten gesunden Verstandes hielt,
des Gemuͤths gefaßt hatte, erhob das durch den erhaltenen glaͤnzenden Triumph ange¬ feuerte freie Denken ſich leichter, und hoͤher, ohne die Feſſel eines Glaubens an Ueber¬ ſinnliches; aber es blieb in der ſinnlichen Feſſel des Glaubens an den natuͤrlichen, ohne Bildung und Sitte aufgewachſenen Verſtand; und weit entfernt, daß es in der Vernunft die Quelle auf ſich ſelbſt beruhender Wahr¬ heit entdeckt haͤtte, wurden fuͤr daſſelbe die Ausſpruͤche dieſes rohen Verſtandes dasje¬ nige, was fuͤr die Scholaſtiker die Kirche, fuͤr die erſten proteſtantiſchen Theologen das Evangelium war; ob ſie wahr ſeyen, dar¬ uͤber regte ſich kein Zweifel, die Frage war bloß, wie ſie dieſe Wahrheit gegen beſtrei¬ tende Anſpruͤche behaupten koͤnnten.
Indem nun dieſes Denken in das Gebiet der Vernunft, deren Gegenſtreit bedeutender geweſen ſeyn wuͤrde, gar nicht hineinkam, ſo fand es keinen Gegner, außer der hiſtoriſch vorhandenen Religion, und wurde mit dieſer leicht fertig, indem es ſie an den Maaßſtab des vorausgeſezten geſunden Verſtandes hielt,
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[194/0200]
des Gemuͤths gefaßt hatte, erhob das durch
den erhaltenen glaͤnzenden Triumph ange¬
feuerte freie Denken ſich leichter, und hoͤher,
ohne die Feſſel eines Glaubens an Ueber¬
ſinnliches; aber es blieb in der ſinnlichen
Feſſel des Glaubens an den natuͤrlichen, ohne
Bildung und Sitte aufgewachſenen Verſtand;
und weit entfernt, daß es in der Vernunft
die Quelle auf ſich ſelbſt beruhender Wahr¬
heit entdeckt haͤtte, wurden fuͤr daſſelbe die
Ausſpruͤche dieſes rohen Verſtandes dasje¬
nige, was fuͤr die Scholaſtiker die Kirche,
fuͤr die erſten proteſtantiſchen Theologen das
Evangelium war; ob ſie wahr ſeyen, dar¬
uͤber regte ſich kein Zweifel, die Frage war
bloß, wie ſie dieſe Wahrheit gegen beſtrei¬
tende Anſpruͤche behaupten koͤnnten.
Indem nun dieſes Denken in das Gebiet
der Vernunft, deren Gegenſtreit bedeutender
geweſen ſeyn wuͤrde, gar nicht hineinkam, ſo
fand es keinen Gegner, außer der hiſtoriſch
vorhandenen Religion, und wurde mit dieſer
leicht fertig, indem es ſie an den Maaßſtab
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/200>, abgerufen am 09.11.2024.
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