Bei den Ausländern ist das lezte fast nothwen¬ dig; beim Deutschen, wo diese Erscheinung sich einstellt, ist das Pochen auf Genie, und glück¬ liche Natur, eine seiner unwürdige Ausländerei, die, so wie alle Ausländerei, aus der Sucht vornehm zu thun, entsteht. Zwar wird in kei¬ nem Volke der Welt ohne einen ursprünglichen Antrieb im Menschen, der, als ein übersinnli¬ ches, mit dem ausländischen Namen mit Recht Genius genannt wird, irgend etwas trefliches entstehen. Aber dieser Antrieb für sich allein regt nur die Einbildungskraft an, und entwirft in ihr über dem Boden schwebende, niemals vollkommen bestimmte Gestalten. Daß diese bis auf den Boden des wirklichen Lebens her¬ ab vollendet, und bis zur Haltbarkeit in diesem bestimmt werden, dazu bedarf es des fleißigen, besonnenen, und nach einer festen Regel ein¬ hergehenden Denkens. Genialität liefert dem Fleiße den Stoff zur Bearbeitung, und der lezte würde ohne die erste entweder nur das schon bearbeitete, oder nichts, zu bearbeiten haben. Der Fleiß aber führet diesen Stoff, der ohne ihn ein leeres Spiel bleiben würde, ins Leben ein; und so vermögen beide nur in ihrer Ver¬
Bei den Auslaͤndern iſt das lezte faſt nothwen¬ dig; beim Deutſchen, wo dieſe Erſcheinung ſich einſtellt, iſt das Pochen auf Genie, und gluͤck¬ liche Natur, eine ſeiner unwuͤrdige Auslaͤnderei, die, ſo wie alle Auslaͤnderei, aus der Sucht vornehm zu thun, entſteht. Zwar wird in kei¬ nem Volke der Welt ohne einen urſpruͤnglichen Antrieb im Menſchen, der, als ein uͤberſinnli¬ ches, mit dem auslaͤndiſchen Namen mit Recht Genius genannt wird, irgend etwas trefliches entſtehen. Aber dieſer Antrieb fuͤr ſich allein regt nur die Einbildungskraft an, und entwirft in ihr uͤber dem Boden ſchwebende, niemals vollkommen beſtimmte Geſtalten. Daß dieſe bis auf den Boden des wirklichen Lebens her¬ ab vollendet, und bis zur Haltbarkeit in dieſem beſtimmt werden, dazu bedarf es des fleißigen, beſonnenen, und nach einer feſten Regel ein¬ hergehenden Denkens. Genialitaͤt liefert dem Fleiße den Stoff zur Bearbeitung, und der lezte wuͤrde ohne die erſte entweder nur das ſchon bearbeitete, oder nichts, zu bearbeiten haben. Der Fleiß aber fuͤhret dieſen Stoff, der ohne ihn ein leeres Spiel bleiben wuͤrde, ins Leben ein; und ſo vermoͤgen beide nur in ihrer Ver¬
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Bei den Auslaͤndern iſt das lezte faſt nothwen¬
dig; beim Deutſchen, wo dieſe Erſcheinung ſich
einſtellt, iſt das Pochen auf Genie, und gluͤck¬
liche Natur, eine ſeiner unwuͤrdige Auslaͤnderei,
die, ſo wie alle Auslaͤnderei, aus der Sucht
vornehm zu thun, entſteht. Zwar wird in kei¬
nem Volke der Welt ohne einen urſpruͤnglichen
Antrieb im Menſchen, der, als ein uͤberſinnli¬
ches, mit dem auslaͤndiſchen Namen mit Recht
Genius genannt wird, irgend etwas trefliches
entſtehen. Aber dieſer Antrieb fuͤr ſich allein
regt nur die Einbildungskraft an, und entwirft
in ihr uͤber dem Boden ſchwebende, niemals
vollkommen beſtimmte Geſtalten. Daß dieſe
bis auf den Boden des wirklichen Lebens her¬
ab vollendet, und bis zur Haltbarkeit in dieſem
beſtimmt werden, dazu bedarf es des fleißigen,
beſonnenen, und nach einer feſten Regel ein¬
hergehenden Denkens. Genialitaͤt liefert dem
Fleiße den Stoff zur Bearbeitung, und der lezte
wuͤrde ohne die erſte entweder nur das ſchon
bearbeitete, oder nichts, zu bearbeiten haben.
Der Fleiß aber fuͤhret dieſen Stoff, der ohne
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ein; und ſo vermoͤgen beide nur in ihrer Ver¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/171>, abgerufen am 24.11.2024.
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