Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

das Verderben nach sich ziehen mußten, wer¬
den wir zu einer andern Zeit zeigen.

Außer diesen beiden aus dem Grund-Unter¬
schiede erfolgenden Erscheinungen, daß geistige
Bildung ins Leben eingreife, oder nicht, und
daß zwischen den gebildeten Ständen und dem
Volke eine Scheidewand bestehe, oder nicht,
führte ich noch die folgende an, daß das Volk
der lebendigen Sprache Fleiß und Ernst haben,
und Mühe anwenden werde, in allen Dingen,
dagegen das der todten Sprache die geistige
Beschäftigung mehr für ein genialisches Spiel
halte, und im Geleite seiner glücklichen Natur
sich gehen lasse. Dieser Umstand ergiebt aus
dem oben Gesagten sich von selbst. Beim Volke
der lebendigen Sprache geht die Untersuchung
aus von einem Bedürfnisse des Lebens, welches
durch sie befriedigt werden soll, und erhält so
alle die nöthigenden Antriebe, die das Leben
selbst bei sich führt. Bei dem der todten will
sie weiter nichts, denn die Zeit auf eine ange¬
nehme, und dem Sinne fürs Schöne angemes¬
sene Weise hinbringen, und sie hat ihren Zweck
vollständig erreicht, wenn sie dies gethan hat.

das Verderben nach ſich ziehen mußten, wer¬
den wir zu einer andern Zeit zeigen.

Außer dieſen beiden aus dem Grund-Unter¬
ſchiede erfolgenden Erſcheinungen, daß geiſtige
Bildung ins Leben eingreife, oder nicht, und
daß zwiſchen den gebildeten Staͤnden und dem
Volke eine Scheidewand beſtehe, oder nicht,
fuͤhrte ich noch die folgende an, daß das Volk
der lebendigen Sprache Fleiß und Ernſt haben,
und Muͤhe anwenden werde, in allen Dingen,
dagegen das der todten Sprache die geiſtige
Beſchaͤftigung mehr fuͤr ein genialiſches Spiel
halte, und im Geleite ſeiner gluͤcklichen Natur
ſich gehen laſſe. Dieſer Umſtand ergiebt aus
dem oben Geſagten ſich von ſelbſt. Beim Volke
der lebendigen Sprache geht die Unterſuchung
aus von einem Beduͤrfniſſe des Lebens, welches
durch ſie befriedigt werden ſoll, und erhaͤlt ſo
alle die noͤthigenden Antriebe, die das Leben
ſelbſt bei ſich fuͤhrt. Bei dem der todten will
ſie weiter nichts, denn die Zeit auf eine ange¬
nehme, und dem Sinne fuͤrs Schoͤne angemeſ¬
ſene Weiſe hinbringen, und ſie hat ihren Zweck
vollſtaͤndig erreicht, wenn ſie dies gethan hat.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0170" n="164"/>
das Verderben nach &#x017F;ich ziehen mußten, wer¬<lb/>
den wir zu einer andern Zeit zeigen.</p><lb/>
        <p>Außer die&#x017F;en beiden aus dem Grund-Unter¬<lb/>
&#x017F;chiede erfolgenden Er&#x017F;cheinungen, daß gei&#x017F;tige<lb/>
Bildung ins Leben eingreife, oder nicht, und<lb/>
daß zwi&#x017F;chen den gebildeten Sta&#x0364;nden und dem<lb/>
Volke eine Scheidewand be&#x017F;tehe, oder nicht,<lb/>
fu&#x0364;hrte ich noch die folgende an, daß das Volk<lb/>
der lebendigen Sprache Fleiß und Ern&#x017F;t haben,<lb/>
und Mu&#x0364;he anwenden werde, in allen Dingen,<lb/>
dagegen das der todten Sprache die gei&#x017F;tige<lb/>
Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung mehr fu&#x0364;r ein geniali&#x017F;ches Spiel<lb/>
halte, und im Geleite &#x017F;einer glu&#x0364;cklichen Natur<lb/>
&#x017F;ich gehen la&#x017F;&#x017F;e. Die&#x017F;er Um&#x017F;tand ergiebt aus<lb/>
dem oben Ge&#x017F;agten &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t. Beim Volke<lb/>
der lebendigen Sprache geht die Unter&#x017F;uchung<lb/>
aus von einem Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e des Lebens, welches<lb/>
durch &#x017F;ie befriedigt werden &#x017F;oll, und erha&#x0364;lt &#x017F;o<lb/>
alle die no&#x0364;thigenden Antriebe, die das Leben<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t bei &#x017F;ich fu&#x0364;hrt. Bei dem der todten will<lb/>
&#x017F;ie weiter nichts, denn die Zeit auf eine ange¬<lb/>
nehme, und dem Sinne fu&#x0364;rs Scho&#x0364;ne angeme&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ene Wei&#x017F;e hinbringen, und &#x017F;ie hat ihren Zweck<lb/>
voll&#x017F;ta&#x0364;ndig erreicht, wenn &#x017F;ie dies gethan hat.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0170] das Verderben nach ſich ziehen mußten, wer¬ den wir zu einer andern Zeit zeigen. Außer dieſen beiden aus dem Grund-Unter¬ ſchiede erfolgenden Erſcheinungen, daß geiſtige Bildung ins Leben eingreife, oder nicht, und daß zwiſchen den gebildeten Staͤnden und dem Volke eine Scheidewand beſtehe, oder nicht, fuͤhrte ich noch die folgende an, daß das Volk der lebendigen Sprache Fleiß und Ernſt haben, und Muͤhe anwenden werde, in allen Dingen, dagegen das der todten Sprache die geiſtige Beſchaͤftigung mehr fuͤr ein genialiſches Spiel halte, und im Geleite ſeiner gluͤcklichen Natur ſich gehen laſſe. Dieſer Umſtand ergiebt aus dem oben Geſagten ſich von ſelbſt. Beim Volke der lebendigen Sprache geht die Unterſuchung aus von einem Beduͤrfniſſe des Lebens, welches durch ſie befriedigt werden ſoll, und erhaͤlt ſo alle die noͤthigenden Antriebe, die das Leben ſelbſt bei ſich fuͤhrt. Bei dem der todten will ſie weiter nichts, denn die Zeit auf eine ange¬ nehme, und dem Sinne fuͤrs Schoͤne angemeſ¬ ſene Weiſe hinbringen, und ſie hat ihren Zweck vollſtaͤndig erreicht, wenn ſie dies gethan hat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/170
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/170>, abgerufen am 28.11.2024.