Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Sprache sey; zu allerlezt, daß ein solches Volk
etwa ein mittelmäßiges Lehrgedicht über die
Heuchelei in Komödien-Form für ihr größtes
philosophisches Werk anerkennen wird.

In dieser Weise, sage ich, fließt die geistige Bil¬
dung, und hier insbesondre das Denken in einer
Ursprache nicht ein in das Leben, sondern es
ist selbst Leben des also Denkenden. Doch strebt
es nothwendig aus diesem also denkenden Leben
einzufließen auf anderes Leben außer ihm,
und so auf das vorhandene allgemeine Leben,
und dieses nach sich zu gestalten. Denn eben
weil jenes Denken Leben ist, wird es gefühlt von
seinem Besitzer mit innigem Wohlgefallen, in
seiner belebenden, verklärenden, und befreien¬
den Kraft. Aber jeder, dem Heil aufgegangen
ist in seinem Innern, will nothwendig, daß
allen andern dasselbe Heil wiederfahre, und er
ist so getrieben, und muß arbeiten, daß die
Quelle, aus der ihm sein Wohlseyn aufging,
auch über andre sich verbreite. Anders derje¬
nige, der bloß ein fremdes Denken, als ein
mögliches begriffen hat. So wie ihm selber
dessen Inhalt weder Wohl noch Wehe giebt,
sondern es nur seine Muße angenehm beschäf¬

Sprache ſey; zu allerlezt, daß ein ſolches Volk
etwa ein mittelmaͤßiges Lehrgedicht uͤber die
Heuchelei in Komoͤdien-Form fuͤr ihr groͤßtes
philoſophiſches Werk anerkennen wird.

In dieſer Weiſe, ſage ich, fließt die geiſtige Bil¬
dung, und hier insbeſondre das Denken in einer
Urſprache nicht ein in das Leben, ſondern es
iſt ſelbſt Leben des alſo Denkenden. Doch ſtrebt
es nothwendig aus dieſem alſo denkenden Leben
einzufließen auf anderes Leben außer ihm,
und ſo auf das vorhandene allgemeine Leben,
und dieſes nach ſich zu geſtalten. Denn eben
weil jenes Denken Leben iſt, wird es gefuͤhlt von
ſeinem Beſitzer mit innigem Wohlgefallen, in
ſeiner belebenden, verklaͤrenden, und befreien¬
den Kraft. Aber jeder, dem Heil aufgegangen
iſt in ſeinem Innern, will nothwendig, daß
allen andern daſſelbe Heil wiederfahre, und er
iſt ſo getrieben, und muß arbeiten, daß die
Quelle, aus der ihm ſein Wohlſeyn aufging,
auch uͤber andre ſich verbreite. Anders derje¬
nige, der bloß ein fremdes Denken, als ein
moͤgliches begriffen hat. So wie ihm ſelber
deſſen Inhalt weder Wohl noch Wehe giebt,
ſondern es nur ſeine Muße angenehm beſchaͤf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0161" n="155"/>
Sprache &#x017F;ey; zu allerlezt, daß ein &#x017F;olches Volk<lb/>
etwa ein mittelma&#x0364;ßiges Lehrgedicht u&#x0364;ber die<lb/>
Heuchelei in Komo&#x0364;dien-Form fu&#x0364;r ihr gro&#x0364;ßtes<lb/>
philo&#x017F;ophi&#x017F;ches Werk anerkennen wird.</p><lb/>
        <p>In die&#x017F;er Wei&#x017F;e, &#x017F;age ich, fließt die gei&#x017F;tige Bil¬<lb/>
dung, und hier insbe&#x017F;ondre das Denken in einer<lb/>
Ur&#x017F;prache nicht ein in das Leben, &#x017F;ondern es<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t Leben des al&#x017F;o Denkenden. Doch &#x017F;trebt<lb/>
es nothwendig aus die&#x017F;em al&#x017F;o denkenden Leben<lb/>
einzufließen auf anderes Leben außer ihm,<lb/>
und &#x017F;o auf das vorhandene allgemeine Leben,<lb/>
und die&#x017F;es nach &#x017F;ich zu ge&#x017F;talten. Denn eben<lb/>
weil jenes Denken Leben i&#x017F;t, wird es gefu&#x0364;hlt von<lb/>
&#x017F;einem Be&#x017F;itzer mit innigem Wohlgefallen, in<lb/>
&#x017F;einer belebenden, verkla&#x0364;renden, und befreien¬<lb/>
den Kraft. Aber jeder, dem Heil aufgegangen<lb/>
i&#x017F;t in &#x017F;einem Innern, will nothwendig, daß<lb/>
allen andern da&#x017F;&#x017F;elbe Heil wiederfahre, und er<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;o getrieben, und muß arbeiten, daß die<lb/>
Quelle, aus der ihm &#x017F;ein Wohl&#x017F;eyn aufging,<lb/>
auch u&#x0364;ber andre &#x017F;ich verbreite. Anders derje¬<lb/>
nige, der bloß ein fremdes Denken, als ein<lb/>
mo&#x0364;gliches begriffen hat. So wie ihm &#x017F;elber<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Inhalt weder Wohl noch Wehe giebt,<lb/>
&#x017F;ondern es nur &#x017F;eine Muße angenehm be&#x017F;cha&#x0364;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0161] Sprache ſey; zu allerlezt, daß ein ſolches Volk etwa ein mittelmaͤßiges Lehrgedicht uͤber die Heuchelei in Komoͤdien-Form fuͤr ihr groͤßtes philoſophiſches Werk anerkennen wird. In dieſer Weiſe, ſage ich, fließt die geiſtige Bil¬ dung, und hier insbeſondre das Denken in einer Urſprache nicht ein in das Leben, ſondern es iſt ſelbſt Leben des alſo Denkenden. Doch ſtrebt es nothwendig aus dieſem alſo denkenden Leben einzufließen auf anderes Leben außer ihm, und ſo auf das vorhandene allgemeine Leben, und dieſes nach ſich zu geſtalten. Denn eben weil jenes Denken Leben iſt, wird es gefuͤhlt von ſeinem Beſitzer mit innigem Wohlgefallen, in ſeiner belebenden, verklaͤrenden, und befreien¬ den Kraft. Aber jeder, dem Heil aufgegangen iſt in ſeinem Innern, will nothwendig, daß allen andern daſſelbe Heil wiederfahre, und er iſt ſo getrieben, und muß arbeiten, daß die Quelle, aus der ihm ſein Wohlſeyn aufging, auch uͤber andre ſich verbreite. Anders derje¬ nige, der bloß ein fremdes Denken, als ein moͤgliches begriffen hat. So wie ihm ſelber deſſen Inhalt weder Wohl noch Wehe giebt, ſondern es nur ſeine Muße angenehm beſchaͤf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/161
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/161>, abgerufen am 22.11.2024.