vollendeter Einheit, um einen, ebenfalls nicht willkührlichen, sondern aus dem ganzen bishe¬ rigen Leben der Nation nothwendig hervorge¬ henden Begriff zu bezeichnen, aus welchem, und seiner Bezeichnung, ein scharfes Auge die ganze Bildungsgeschichte der Nation rückwärts¬ schreitend wieder müßte herstellen können. In einer todten Sprache aber, in der dieser Theil, als sie noch lebte, dasselbige war, wird er durch die Ertödtung zu einer zerrissenen Sammlung willkührlicher, und durchaus nicht weiter zu erklärender Zeichen eben so willkührlicher Be¬ griffe, wo mit beiden sich nichts weiter anfan¬ gen läßt, als daß man sie eben lerne.
Somit ist unsre nächste Aufgabe, den unter¬ scheidenden Grundzug des Deutschen vor den andern Völkern Germanischer Abkunft zu fin¬ den, gelöst. Die Verschiedenheit ist sogleich bei der ersten Trennung des gemeinschaftlichen Stamms entstanden, und besteht darin, daß der Deutsche eine bis zu ihrem ersten Ausströmen aus der Naturkraft lebendige Sprache redet, die übrigen Germanischen Stämme eine nur auf der Oberfläche sich regende, in der Wurzel aber todte Sprache. Allein in diesen Umstand, in die Lebendigkeit, und in den Tod, setzen wir
vollendeter Einheit, um einen, ebenfalls nicht willkuͤhrlichen, ſondern aus dem ganzen bishe¬ rigen Leben der Nation nothwendig hervorge¬ henden Begriff zu bezeichnen, aus welchem, und ſeiner Bezeichnung, ein ſcharfes Auge die ganze Bildungsgeſchichte der Nation ruͤckwaͤrts¬ ſchreitend wieder muͤßte herſtellen koͤnnen. In einer todten Sprache aber, in der dieſer Theil, als ſie noch lebte, daſſelbige war, wird er durch die Ertoͤdtung zu einer zerriſſenen Sammlung willkuͤhrlicher, und durchaus nicht weiter zu erklaͤrender Zeichen eben ſo willkuͤhrlicher Be¬ griffe, wo mit beiden ſich nichts weiter anfan¬ gen laͤßt, als daß man ſie eben lerne.
Somit iſt unſre naͤchſte Aufgabe, den unter¬ ſcheidenden Grundzug des Deutſchen vor den andern Voͤlkern Germaniſcher Abkunft zu fin¬ den, geloͤſt. Die Verſchiedenheit iſt ſogleich bei der erſten Trennung des gemeinſchaftlichen Stamms entſtanden, und beſteht darin, daß der Deutſche eine bis zu ihrem erſten Ausſtroͤmen aus der Naturkraft lebendige Sprache redet, die uͤbrigen Germaniſchen Staͤmme eine nur auf der Oberflaͤche ſich regende, in der Wurzel aber todte Sprache. Allein in dieſen Umſtand, in die Lebendigkeit, und in den Tod, ſetzen wir
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vollendeter Einheit, um einen, ebenfalls nicht
willkuͤhrlichen, ſondern aus dem ganzen bishe¬
rigen Leben der Nation nothwendig hervorge¬
henden Begriff zu bezeichnen, aus welchem,
und ſeiner Bezeichnung, ein ſcharfes Auge die
ganze Bildungsgeſchichte der Nation ruͤckwaͤrts¬
ſchreitend wieder muͤßte herſtellen koͤnnen. In
einer todten Sprache aber, in der dieſer Theil,
als ſie noch lebte, daſſelbige war, wird er durch
die Ertoͤdtung zu einer zerriſſenen Sammlung
willkuͤhrlicher, und durchaus nicht weiter zu
erklaͤrender Zeichen eben ſo willkuͤhrlicher Be¬
griffe, wo mit beiden ſich nichts weiter anfan¬
gen laͤßt, als daß man ſie eben lerne.
Somit iſt unſre naͤchſte Aufgabe, den unter¬
ſcheidenden Grundzug des Deutſchen vor den
andern Voͤlkern Germaniſcher Abkunft zu fin¬
den, geloͤſt. Die Verſchiedenheit iſt ſogleich bei
der erſten Trennung des gemeinſchaftlichen
Stamms entſtanden, und beſteht darin, daß
der Deutſche eine bis zu ihrem erſten Ausſtroͤmen
aus der Naturkraft lebendige Sprache redet, die
uͤbrigen Germaniſchen Staͤmme eine nur auf
der Oberflaͤche ſich regende, in der Wurzel aber
todte Sprache. Allein in dieſen Umſtand, in
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/146>, abgerufen am 22.11.2024.
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