eben viel, wenn man ein Mensch ist, und kein wildes Thier. Also aber, wie wohl nie ein Römer gesagt hätte, würde der Deutsche sagen, deswegen, weil die Menschheit überhaupt in seiner Sprache nur ein sinnlicher Begriff ge¬ blieben, niemals aber wie bei den Römern zum Sinnbilde eines übersinnlichen geworden; in¬ dem unsere Vorfahren vielleicht lange vorher die einzelnen menschlichen Tugenden bemerkt, und sinnbildlich in der Sprache bezeichnet, ehe sie darauf gefallen, dieselben in einem Einheits¬ begriffe, und zwar als Gegensatz mit der thie¬ rischen Natur, zusammenzufassen, welches denn auch unsern Vorfahren den Römern gegenüber zu gar keinem Tadel gereicht. Wer nun den Deutschen dennoch dieses fremde und römische Sinnbild künstlich in die Sprache spielen wollte, der würde ihre sittliche Denkart offenbar her¬ unterstimmen, indem er ihnen als etwas vor¬ zügliches und lobenswürdiges hingäbe, was in der fremden Sprache auch wohl ein solches seyn mag, was er aber, nach der unaustilgbaren Natur seiner National- Einbildungskraft nur faßt, als das bekannte, das gar nicht zu erlas¬ sen ist. Es ließe sich vielleicht durch eine nähere Untersuchung darthun, daß dergleichen Herab¬
eben viel, wenn man ein Menſch iſt, und kein wildes Thier. Alſo aber, wie wohl nie ein Roͤmer geſagt haͤtte, wuͤrde der Deutſche ſagen, deswegen, weil die Menſchheit uͤberhaupt in ſeiner Sprache nur ein ſinnlicher Begriff ge¬ blieben, niemals aber wie bei den Roͤmern zum Sinnbilde eines uͤberſinnlichen geworden; in¬ dem unſere Vorfahren vielleicht lange vorher die einzelnen menſchlichen Tugenden bemerkt, und ſinnbildlich in der Sprache bezeichnet, ehe ſie darauf gefallen, dieſelben in einem Einheits¬ begriffe, und zwar als Gegenſatz mit der thie¬ riſchen Natur, zuſammenzufaſſen, welches denn auch unſern Vorfahren den Roͤmern gegenuͤber zu gar keinem Tadel gereicht. Wer nun den Deutſchen dennoch dieſes fremde und roͤmiſche Sinnbild kuͤnſtlich in die Sprache ſpielen wollte, der wuͤrde ihre ſittliche Denkart offenbar her¬ unterſtimmen, indem er ihnen als etwas vor¬ zuͤgliches und lobenswuͤrdiges hingaͤbe, was in der fremden Sprache auch wohl ein ſolches ſeyn mag, was er aber, nach der unaustilgbaren Natur ſeiner National- Einbildungskraft nur faßt, als das bekannte, das gar nicht zu erlaſ¬ ſen iſt. Es ließe ſich vielleicht durch eine naͤhere Unterſuchung darthun, daß dergleichen Herab¬
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eben viel, wenn man ein Menſch iſt, und kein
wildes Thier. Alſo aber, wie wohl nie ein
Roͤmer geſagt haͤtte, wuͤrde der Deutſche ſagen,
deswegen, weil die Menſchheit uͤberhaupt in
ſeiner Sprache nur ein ſinnlicher Begriff ge¬
blieben, niemals aber wie bei den Roͤmern zum
Sinnbilde eines uͤberſinnlichen geworden; in¬
dem unſere Vorfahren vielleicht lange vorher
die einzelnen menſchlichen Tugenden bemerkt,
und ſinnbildlich in der Sprache bezeichnet, ehe
ſie darauf gefallen, dieſelben in einem Einheits¬
begriffe, und zwar als Gegenſatz mit der thie¬
riſchen Natur, zuſammenzufaſſen, welches denn
auch unſern Vorfahren den Roͤmern gegenuͤber
zu gar keinem Tadel gereicht. Wer nun den
Deutſchen dennoch dieſes fremde und roͤmiſche
Sinnbild kuͤnſtlich in die Sprache ſpielen wollte,
der wuͤrde ihre ſittliche Denkart offenbar her¬
unterſtimmen, indem er ihnen als etwas vor¬
zuͤgliches und lobenswuͤrdiges hingaͤbe, was in
der fremden Sprache auch wohl ein ſolches ſeyn
mag, was er aber, nach der unaustilgbaren
Natur ſeiner National- Einbildungskraft nur
faßt, als das bekannte, das gar nicht zu erlaſ¬
ſen iſt. Es ließe ſich vielleicht durch eine naͤhere
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/141>, abgerufen am 23.11.2024.
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