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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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dem Kreise seiner Anschauung, und aller mög¬
lichen Anschauung ihn vollkommen herausreißt.
Reizt nun doch etwa das unbekannte Wort
durch seinen fremden, vornehmen, und wohl¬
tönenden Klang seine Aufmerksamkeit, und
denkt er, was so hoch töne, müsse auch etwas
hohes bedeuten; so muß er sich diese Bedeutung
ganz von vorn herein, und als etwas ihm ganz
neues, erklären lassen, und kann dieser Erklä¬
rung eben nur blind glauben, und wird so still¬
schweigend gewöhnt, etwas für wirklich da¬
seyend, und würdig anzuerkennen, das er, sich
selbst überlassen, vielleicht niemals des Erwäh¬
nens werth gefunden hätte. Man glaube nicht,
daß es sich mit den neulateinischen Völkern,
welche jene Worte, vermeintlich als Worte ih¬
rer Muttersprache aussprechen, viel anders
verhalte. Ohne gelehrte Ergründung des Al¬
terthums, und seiner wirklichen Sprache, ver¬
stehen sie die Wurzeln dieser Wörter eben so
wenig, als der Deutsche. Hätte man nun etwa
dem Deutschen statt des Worts Humanität das
Wort Menschlichkeit, wie jenes wörtlich über¬
sezt werden muß, ausgesprochen, so hätte er
uns ohne weitere historische Erklärung verstan¬
den; aber er hätte gesagt: da ist man nicht

dem Kreiſe ſeiner Anſchauung, und aller moͤg¬
lichen Anſchauung ihn vollkommen herausreißt.
Reizt nun doch etwa das unbekannte Wort
durch ſeinen fremden, vornehmen, und wohl¬
toͤnenden Klang ſeine Aufmerkſamkeit, und
denkt er, was ſo hoch toͤne, muͤſſe auch etwas
hohes bedeuten; ſo muß er ſich dieſe Bedeutung
ganz von vorn herein, und als etwas ihm ganz
neues, erklaͤren laſſen, und kann dieſer Erklaͤ¬
rung eben nur blind glauben, und wird ſo ſtill¬
ſchweigend gewoͤhnt, etwas fuͤr wirklich da¬
ſeyend, und wuͤrdig anzuerkennen, das er, ſich
ſelbſt uͤberlaſſen, vielleicht niemals des Erwaͤh¬
nens werth gefunden haͤtte. Man glaube nicht,
daß es ſich mit den neulateiniſchen Voͤlkern,
welche jene Worte, vermeintlich als Worte ih¬
rer Mutterſprache ausſprechen, viel anders
verhalte. Ohne gelehrte Ergruͤndung des Al¬
terthums, und ſeiner wirklichen Sprache, ver¬
ſtehen ſie die Wurzeln dieſer Woͤrter eben ſo
wenig, als der Deutſche. Haͤtte man nun etwa
dem Deutſchen ſtatt des Worts Humanitaͤt das
Wort Menſchlichkeit, wie jenes woͤrtlich uͤber¬
ſezt werden muß, ausgeſprochen, ſo haͤtte er
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[134/0140] dem Kreiſe ſeiner Anſchauung, und aller moͤg¬ lichen Anſchauung ihn vollkommen herausreißt. Reizt nun doch etwa das unbekannte Wort durch ſeinen fremden, vornehmen, und wohl¬ toͤnenden Klang ſeine Aufmerkſamkeit, und denkt er, was ſo hoch toͤne, muͤſſe auch etwas hohes bedeuten; ſo muß er ſich dieſe Bedeutung ganz von vorn herein, und als etwas ihm ganz neues, erklaͤren laſſen, und kann dieſer Erklaͤ¬ rung eben nur blind glauben, und wird ſo ſtill¬ ſchweigend gewoͤhnt, etwas fuͤr wirklich da¬ ſeyend, und wuͤrdig anzuerkennen, das er, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, vielleicht niemals des Erwaͤh¬ nens werth gefunden haͤtte. Man glaube nicht, daß es ſich mit den neulateiniſchen Voͤlkern, welche jene Worte, vermeintlich als Worte ih¬ rer Mutterſprache ausſprechen, viel anders verhalte. Ohne gelehrte Ergruͤndung des Al¬ terthums, und ſeiner wirklichen Sprache, ver¬ ſtehen ſie die Wurzeln dieſer Woͤrter eben ſo wenig, als der Deutſche. Haͤtte man nun etwa dem Deutſchen ſtatt des Worts Humanitaͤt das Wort Menſchlichkeit, wie jenes woͤrtlich uͤber¬ ſezt werden muß, ausgeſprochen, ſo haͤtte er uns ohne weitere hiſtoriſche Erklaͤrung verſtan¬ den; aber er haͤtte geſagt: da iſt man nicht

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/140>, abgerufen am 23.11.2024.