Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.I. Buch. II. Theil. I. Titel. VII. Abschnitt. nen eine von dem Henkerknecht zu exequirendeStrafe steht *). Der Rechtsgelehrte kann aber nicht nach dieser Volksmeynung sprechen, sondern muss, nach den Gesetzen und nach der Natur der Sache, den Verlust des Rechts auf Ehre und guten Namen, mit allen recht- lichen Folgen dieses Verlustes bey jedem öf- fentlichen Verbrechen anerkennen, so lange nicht entweder besondere Gesetze, oder ein Richterspruch eine Ausnahme machen **) Vorbehaltung der Ehre. Zwey- *) Kleinschrod a. O. Thl. III. §. 87. ff. **) Wer dagegen einwenden wollte: beruht nicht
Infamie auf der Volksmeynung? wie könnt Ihr also, wie kann selbst ein Gesetzgeber über die Meynung des Volks gebieten? der würde nur beweisen, dass er das Wesen der Ehrlosigkeit im rechtlichen Sinne gar nicht kenne. Die Ehrlosigkeit besteht in dem Verlust des Rechts auf Ehre. Ein Recht aber kann seinem Daseyn und seinem Verlust nach blos von Rechtsgründen; nicht von des Pöbels Meynung an- hängig seyn und wenn sich diese Meynung bis in das graneste Alterthum verlöre. Der Richter kann freylich so wenig als ein Gesetzgeber gebieten, wen das Volk als infam verachten oder nicht verachten soll; das Recht auf bürgerliche Achtung aber kann er gar wohl gegen diese Meynung bestimmen. Manchem Verbrecher wurde schon der Pranger zur Ehren- bühne; wird ihn darum ein Richter für weniger infam halten? -- Nun? -- und die Ehrlosigkeit soll doch von der Vollksmeynung abhängig seyn? -- Lasst uns also immer mit Consequenz behaupten, dass die Gesetze, welche für jedes Verbrechen Infa- mie bestimmen, in Deutschland nicht aufgehoben sind. I. Buch. II. Theil. I. Titel. VII. Abſchnitt. nen eine von dem Henkerknecht zu exequirendeStrafe ſteht *). Der Rechtsgelehrte kann aber nicht nach dieſer Volksmeynung ſprechen, ſondern muſs, nach den Geſetzen und nach der Natur der Sache, den Verluſt des Rechts auf Ehre und guten Namen, mit allen recht- lichen Folgen dieſes Verluſtes bey jedem öf- fentlichen Verbrechen anerkennen, ſo lange nicht entweder beſondere Geſetze, oder ein Richterſpruch eine Ausnahme machen **) Vorbehaltung der Ehre. Zwey- *) Kleinſchrod a. O. Thl. III. §. 87. ff. **) Wer dagegen einwenden wollte: beruht nicht
Infamie auf der Volksmeynung? wie könnt Ihr alſo, wie kann ſelbſt ein Geſetzgeber über die Meynung des Volks gebieten? der würde nur beweiſen, daſs er das Weſen der Ehrloſigkeit im rechtlichen Sinne gar nicht kenne. Die Ehrloſigkeit beſteht in dem Verluſt des Rechts auf Ehre. Ein Recht aber kann ſeinem Daſeyn und ſeinem Verluſt nach blos von Rechtsgründen; nicht von des Pöbels Meynung an- hängig ſeyn und wenn ſich dieſe Meynung bis in das graneſte Alterthum verlöre. Der Richter kann freylich ſo wenig als ein Geſetzgeber gebieten, wen das Volk als infam verachten oder nicht verachten ſoll; das Recht auf bürgerliche Achtung aber kann er gar wohl gegen dieſe Meynung beſtimmen. Manchem Verbrecher wurde ſchon der Pranger zur Ehren- bühne; wird ihn darum ein Richter für weniger infam halten? — Nun? — und die Ehrloſigkeit ſoll doch von der Vollksmeynung abhängig ſeyn? — Laſst uns alſo immer mit Conſequenz behaupten, daſs die Geſetze, welche für jedes Verbrechen Infa- mie beſtimmen, in Deutſchland nicht aufgehoben ſind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0090" n="62"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">I. Buch. II. Theil. I. Titel. VII. Abſchnitt.</hi></fw><lb/> nen eine von dem <hi rendition="#i">Henkerknecht</hi> zu exequirende<lb/> Strafe ſteht <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Kleinſchrod</hi> a. O. Thl. III. §. 87. ff.</note>. Der Rechtsgelehrte kann aber<lb/> nicht nach dieſer Volksmeynung ſprechen,<lb/> ſondern muſs, nach den Geſetzen und nach<lb/> der Natur der Sache, den Verluſt des Rechts<lb/> auf Ehre und guten Namen, mit allen recht-<lb/> lichen Folgen dieſes Verluſtes bey jedem öf-<lb/> fentlichen Verbrechen anerkennen, ſo lange<lb/> nicht entweder beſondere Geſetze, oder ein<lb/> Richterſpruch eine Ausnahme machen <note place="foot" n="**)">Wer dagegen einwenden wollte: beruht nicht<lb/><hi rendition="#i">Infamie</hi> auf der Volksmeynung? wie könnt Ihr alſo,<lb/> wie kann ſelbſt ein Geſetzgeber über die Meynung<lb/> des Volks gebieten? der würde nur beweiſen, daſs<lb/> er das Weſen der Ehrloſigkeit im rechtlichen Sinne<lb/> gar nicht kenne. Die Ehrloſigkeit beſteht in dem<lb/> Verluſt des <hi rendition="#i">Rechts</hi> auf Ehre. Ein Recht aber kann<lb/> ſeinem Daſeyn und ſeinem Verluſt nach blos von<lb/><hi rendition="#i">Rechtsgründen</hi>; nicht von des Pöbels Meynung an-<lb/> hängig ſeyn und wenn ſich dieſe Meynung bis in<lb/> das graneſte Alterthum verlöre. Der Richter kann<lb/> freylich ſo wenig als ein Geſetzgeber gebieten, wen<lb/> das Volk als infam <hi rendition="#i">verachten</hi> oder nicht <hi rendition="#i">verachten</hi> ſoll;<lb/> das <hi rendition="#g">Recht</hi> auf bürgerliche Achtung aber kann er<lb/> gar wohl gegen dieſe Meynung beſtimmen. Manchem<lb/> Verbrecher wurde ſchon der Pranger zur Ehren-<lb/> bühne; wird ihn darum ein Richter für weniger<lb/> infam halten? — Nun? — und die Ehrloſigkeit<lb/> ſoll doch von der Vollksmeynung abhängig ſeyn? —<lb/> Laſst uns alſo immer mit Conſequenz behaupten,<lb/> daſs die Geſetze, welche für jedes Verbrechen Infa-<lb/> mie beſtimmen, in Deutſchland nicht aufgehoben<lb/> ſind.</note></p><lb/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#i">Vorbehaltung der Ehre</hi>.</hi> </p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#g">Zwey-</hi> </fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0090]
I. Buch. II. Theil. I. Titel. VII. Abſchnitt.
nen eine von dem Henkerknecht zu exequirende
Strafe ſteht *). Der Rechtsgelehrte kann aber
nicht nach dieſer Volksmeynung ſprechen,
ſondern muſs, nach den Geſetzen und nach
der Natur der Sache, den Verluſt des Rechts
auf Ehre und guten Namen, mit allen recht-
lichen Folgen dieſes Verluſtes bey jedem öf-
fentlichen Verbrechen anerkennen, ſo lange
nicht entweder beſondere Geſetze, oder ein
Richterſpruch eine Ausnahme machen **)
Vorbehaltung der Ehre.
Zwey-
*) Kleinſchrod a. O. Thl. III. §. 87. ff.
**) Wer dagegen einwenden wollte: beruht nicht
Infamie auf der Volksmeynung? wie könnt Ihr alſo,
wie kann ſelbſt ein Geſetzgeber über die Meynung
des Volks gebieten? der würde nur beweiſen, daſs
er das Weſen der Ehrloſigkeit im rechtlichen Sinne
gar nicht kenne. Die Ehrloſigkeit beſteht in dem
Verluſt des Rechts auf Ehre. Ein Recht aber kann
ſeinem Daſeyn und ſeinem Verluſt nach blos von
Rechtsgründen; nicht von des Pöbels Meynung an-
hängig ſeyn und wenn ſich dieſe Meynung bis in
das graneſte Alterthum verlöre. Der Richter kann
freylich ſo wenig als ein Geſetzgeber gebieten, wen
das Volk als infam verachten oder nicht verachten ſoll;
das Recht auf bürgerliche Achtung aber kann er
gar wohl gegen dieſe Meynung beſtimmen. Manchem
Verbrecher wurde ſchon der Pranger zur Ehren-
bühne; wird ihn darum ein Richter für weniger
infam halten? — Nun? — und die Ehrloſigkeit
ſoll doch von der Vollksmeynung abhängig ſeyn? —
Laſst uns alſo immer mit Conſequenz behaupten,
daſs die Geſetze, welche für jedes Verbrechen Infa-
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