haftigkeit, wenn die Gründe für die Thatsache den Gründen gegen dieselbe gleich sind, 3) die Unwahrscheinlichkeit, wenn wir weni- ger Gründe für die Thatsache, als gegen die- selbe haben. Der Zustand des Gemüths bey der Wahrscheinlichkeit und Zweifelhaftigkeit heisst Vermuthung, welche mit der Muth- massung nicht verwechselt werden darf. Man muthmasst eine Thatsache, wenn man die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit der- selben annimmt, ohne sich der Gründe dafür bewusst zu seyn. Der Muthmassung geht das Rathen (Conjecturiren) vorher.
§. 574.
Eine Thatsache, welche die Vermuthung für eine andere Thatsache begründet, von der die Anwendung eines Strafgesetzes abhängt, heisst Anzeigung, Indicium. Dieses besteht daher in einer Thatsache, welche den Grund für die Wahrheit einer andern, die Anwen- dung eines Strafgesetzes bestimmenden That- sache enthält, ohne dass in derselben alle Gründe zur vollständigen Gewissheit gegeben sind. Aus Indicien kann Gewissheit hervor- gehen, ein Indicium selbst aber bestimmt die- selbe nicht.
Indicia auctoris -- indicia delicti.
§. 575.
Ein Indicium muss eine solche Thatsache seyn, von welcher man auf das Verbrechen oder dessen Urheber schliessen kann. Dieses
ist
III. Buch. I. Titel. I. Abſchn. II. Abth.
haftigkeit, wenn die Gründe für die Thatſache den Gründen gegen dieſelbe gleich ſind, 3) die Unwahrſcheinlichkeit, wenn wir weni- ger Gründe für die Thatſache, als gegen die- ſelbe haben. Der Zuſtand des Gemüths bey der Wahrſcheinlichkeit und Zweifelhaftigkeit heiſst Vermuthung, welche mit der Muth- maſsung nicht verwechſelt werden darf. Man muthmaſst eine Thatſache, wenn man die Möglichkeit oder Wahrſcheinlichkeit der- ſelben annimmt, ohne ſich der Gründe dafür bewuſst zu ſeyn. Der Muthmaſsung geht das Rathen (Conjecturiren) vorher.
§. 574.
Eine Thatſache, welche die Vermuthung für eine andere Thatſache begründet, von der die Anwendung eines Strafgeſetzes abhängt, heiſst Anzeigung, Indicium. Dieſes beſteht daher in einer Thatſache, welche den Grund für die Wahrheit einer andern, die Anwen- dung eines Strafgeſetzes beſtimmenden That- ſache enthält, ohne daſs in derſelben alle Gründe zur vollſtändigen Gewiſsheit gegeben ſind. Aus Indicien kann Gewiſsheit hervor- gehen, ein Indicium ſelbſt aber beſtimmt die- ſelbe nicht.
Indicia auctoris — indicia delicti.
§. 575.
Ein Indicium muſs eine ſolche Thatſache ſeyn, von welcher man auf das Verbrechen oder deſſen Urheber ſchlieſsen kann. Dieſes
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III. Buch. I. Titel. I. Abſchn. II. Abth.
haftigkeit, wenn die Gründe für die Thatſache
den Gründen gegen dieſelbe gleich ſind, 3) die
Unwahrſcheinlichkeit, wenn wir weni-
ger Gründe für die Thatſache, als gegen die-
ſelbe haben. Der Zuſtand des Gemüths bey
der Wahrſcheinlichkeit und Zweifelhaftigkeit
heiſst Vermuthung, welche mit der Muth-
maſsung nicht verwechſelt werden darf.
Man muthmaſst eine Thatſache, wenn man
die Möglichkeit oder Wahrſcheinlichkeit der-
ſelben annimmt, ohne ſich der Gründe dafür
bewuſst zu ſeyn. Der Muthmaſsung geht das
Rathen (Conjecturiren) vorher.
§. 574.
Eine Thatſache, welche die Vermuthung für
eine andere Thatſache begründet, von der die
Anwendung eines Strafgeſetzes abhängt, heiſst
Anzeigung, Indicium. Dieſes beſteht
daher in einer Thatſache, welche den Grund
für die Wahrheit einer andern, die Anwen-
dung eines Strafgeſetzes beſtimmenden That-
ſache enthält, ohne daſs in derſelben alle
Gründe zur vollſtändigen Gewiſsheit gegeben
ſind. Aus Indicien kann Gewiſsheit hervor-
gehen, ein Indicium ſelbſt aber beſtimmt die-
ſelbe nicht.
Indicia auctoris — indicia delicti.
§. 575.
Ein Indicium muſs eine ſolche Thatſache
ſeyn, von welcher man auf das Verbrechen
oder deſſen Urheber ſchlieſsen kann. Dieſes
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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/486>, abgerufen am 23.02.2025.
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