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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

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Relative Strafb. Milderungsgründe.
2); die ganze Voraussetzung, dass die Strafe
dem Grad der Strafbarkeit in concreto ange-
messen seyn müsse, beruht auf irrigen Begrif-
fen von Strafe und Strafzweck, nämlich der
Präventionstheorie oder der Idee einer mora-
lischen Vergeltung. Jede der Strafbarkeit der
Gattung angemessene und gesetzlich angedroh-
te Strafe, ist auch immer in concreto gerecht,
weil sie angedroht ist *). 3) Diese Vorstellungs-

art
dächte, nämlich an denjenigen (wenn wir conse-
quent seyn wollen -- wunderseltnen) Fall, wo sub
plena imputatione das Verbrechen begangen wor-
den ist. -- Noch sonderbarer ist, dass der Gesetz-
geber neben unbestimmte Gesetze bestimmte hingestellt
hat, da doch der Richter über diese so viel Macht
hat, wie über jene, jene dasselbe sagen, was diese
sagen: nemlich -- straft nach den allgemeinen
Principien der Strafbarkeit! Das allersonderbarste
aber betrifft die Rechtslehrer, die 1) einen gewissen
Grad der Selbstthätigkeit des Subjects bey der That,
als conditio sine qua non der ordentlichen Strafe
voraussetzen, und sich doch nicht die Mühe neh-
men (es liegt wohl nur daran, dass es unmöglich
ist) uns diese Voraussetzung, von der doch so viel
abhängt, näher kenntlich zu machen; die 2) volle
Selbstthätigkeit
(plena libertas) als Bedingung der
ordemlichen Strafe nennen, zugleich aber eine Schär-
fung annehmen, wenn die -- Selbstthätigkeit be-
sonders gross
war, so dass also (versuche es nachzu-
denken, wer kann!) eine Selbstthätigkeit angenom-
men wird, die noch selbstthätiger ist als volle (un-
beschränkte) Selbstthätigkeit.
*) Es ist daher schlechthin unmöglich zu begreifen,
wie Rechtslehrer jene Theorien verwerfen und die
von uns aufgestellte annehmen, gleichwohl aber eine
Milderung wegen verringerter Strafbarkeit begün-
stigen können. Diese ganze Milderungstheorie
beruht lediglich darauf, dass man ein Strafrecht
(ent-

Relative Strafb. Milderungsgründe.
2); die ganze Vorausſetzung, daſs die Strafe
dem Grad der Strafbarkeit in concreto ange-
meſſen ſeyn müſſe, beruht auf irrigen Begrif-
fen von Strafe und Strafzweck, nämlich der
Präventionstheorie oder der Idee einer mora-
liſchen Vergeltung. Jede der Strafbarkeit der
Gattung angemeſſene und geſetzlich angedroh-
te Strafe, iſt auch immer in concreto gerecht,
weil ſie angedroht iſt *). 3) Dieſe Vorſtellungs-

art
dächte, nämlich an denjenigen (wenn wir conſe-
quent ſeyn wollen — wunderſeltnen) Fall, wo ſub
plena imputatione das Verbrechen begangen wor-
den iſt. — Noch ſonderbarer iſt, daſs der Geſetz-
geber neben unbeſtimmte Geſetze beſtimmte hingeſtellt
hat, da doch der Richter über dieſe ſo viel Macht
hat, wie über jene, jene daſſelbe ſagen, was dieſe
ſagen: nemlich — ſtraft nach den allgemeinen
Principien der Strafbarkeit! Das allerſonderbarſte
aber betrifft die Rechtslehrer, die 1) einen gewiſſen
Grad der Selbſtthätigkeit des Subjects bey der That,
als conditio ſine qua non der ordentlichen Strafe
vorauſſetzen, und ſich doch nicht die Mühe neh-
men (es liegt wohl nur daran, daſs es unmöglich
iſt) uns dieſe Vorauſſetzung, von der doch ſo viel
abhängt, näher kenntlich zu machen; die 2) volle
Selbſtthätigkeit
(plena libertas) als Bedingung der
ordemlichen Strafe nennen, zugleich aber eine Schär-
fung annehmen, wenn die — Selbſtthätigkeit be-
ſonders groſs
war, ſo daſs alſo (verſuche es nachzu-
denken, wer kann!) eine Selbſtthätigkeit angenom-
men wird, die noch ſelbſtthätiger iſt als volle (un-
beſchränkte) Selbſtthätigkeit.
*) Es iſt daher ſchlechthin unmöglich zu begreifen,
wie Rechtslehrer jene Theorien verwerfen und die
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[89/0117] Relative Strafb. Milderungsgründe. 2); die ganze Vorausſetzung, daſs die Strafe dem Grad der Strafbarkeit in concreto ange- meſſen ſeyn müſſe, beruht auf irrigen Begrif- fen von Strafe und Strafzweck, nämlich der Präventionstheorie oder der Idee einer mora- liſchen Vergeltung. Jede der Strafbarkeit der Gattung angemeſſene und geſetzlich angedroh- te Strafe, iſt auch immer in concreto gerecht, weil ſie angedroht iſt *). 3) Dieſe Vorſtellungs- art **) *) Es iſt daher ſchlechthin unmöglich zu begreifen, wie Rechtslehrer jene Theorien verwerfen und die von uns aufgeſtellte annehmen, gleichwohl aber eine Milderung wegen verringerter Strafbarkeit begün- ſtigen können. Dieſe ganze Milderungstheorie beruht lediglich darauf, daſs man ein Strafrecht (ent- **) dächte, nämlich an denjenigen (wenn wir conſe- quent ſeyn wollen — wunderſeltnen) Fall, wo ſub plena imputatione das Verbrechen begangen wor- den iſt. — Noch ſonderbarer iſt, daſs der Geſetz- geber neben unbeſtimmte Geſetze beſtimmte hingeſtellt hat, da doch der Richter über dieſe ſo viel Macht hat, wie über jene, jene daſſelbe ſagen, was dieſe ſagen: nemlich — ſtraft nach den allgemeinen Principien der Strafbarkeit! Das allerſonderbarſte aber betrifft die Rechtslehrer, die 1) einen gewiſſen Grad der Selbſtthätigkeit des Subjects bey der That, als conditio ſine qua non der ordentlichen Strafe vorauſſetzen, und ſich doch nicht die Mühe neh- men (es liegt wohl nur daran, daſs es unmöglich iſt) uns dieſe Vorauſſetzung, von der doch ſo viel abhängt, näher kenntlich zu machen; die 2) volle Selbſtthätigkeit (plena libertas) als Bedingung der ordemlichen Strafe nennen, zugleich aber eine Schär- fung annehmen, wenn die — Selbſtthätigkeit be- ſonders groſs war, ſo daſs alſo (verſuche es nachzu- denken, wer kann!) eine Selbſtthätigkeit angenom- men wird, die noch ſelbſtthätiger iſt als volle (un- beſchränkte) Selbſtthätigkeit.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/117>, abgerufen am 23.11.2024.