Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Bewußtsein des Menschen von sich in seiner Totalität ist
das Bewußtsein der Trinität. Das Geheimniß dieses Myste-
riums ist nichts andres als das Geheimniß des Menschen
selbst. Was als Abdruck, Bild, Aehnlichkeit, Gleichniß
von der Religion und Theologie bezeichnet wird, dürfen wir
nur als die Sache selbst, das Wesen, das Urbild, das
Original erfassen, so haben wir das Räthsel gelöst. Die
angeblichen Bilder, durch die man die Trinität zu veranschau-
lichen, begreiflich zu machen suchte, waren vorzüglich: Geist,
Verstand, Gedächtniß, Wille, Liebe, mens, intellectus, me-
moria, voluntas, amor
.

Gott denkt und zwar denkt er sich, erkennt er sich, und
das Gedachte, das Erkannte ist Gott selbst. Die Vergegen-
ständlichung des Selbstbewußtseins ist das Erste, was in der
Trinität uns begegnet. Das Selbstbewußtsein drängt sich
nothwendig, unwillkührlich dem Menschen als etwas Absolutes
auf. Sein ist für ihn eins mit Selbstbewußtsein, Sein mit
Bewußtsein ist für ihn Sein schlechtweg. Der Unterschied von
Sein und Nichtsein ist für ihn an das Bewußtsein gebunden.
Ob ich gar nicht bin, oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin,
ist gleich. Selbstbewußtsein hat für den Menschen, hat in der
That an sich selbst absolute Bedeutung. Ein Gott, der sich
nicht weiß, ein Gott ohne Bewußtsein, ist kein Gott. Wie
der Mensch sich nicht denken kann ohne Bewußtsein, so auch
nicht Gott. Das göttliche Selbstbewußtsein ist nichts
andres als das Bewußtsein des Bewußtseins als
absoluter Wesenheit
.

Uebrigens ist damit keineswegs die Trinität erschöpft.
Wir würden vielmehr ganz willkührlich verfahren, wenn wir
darauf allein das Geheimniß der Trinität zurückführen und

Bewußtſein des Menſchen von ſich in ſeiner Totalität iſt
das Bewußtſein der Trinität. Das Geheimniß dieſes Myſte-
riums iſt nichts andres als das Geheimniß des Menſchen
ſelbſt. Was als Abdruck, Bild, Aehnlichkeit, Gleichniß
von der Religion und Theologie bezeichnet wird, dürfen wir
nur als die Sache ſelbſt, das Weſen, das Urbild, das
Original erfaſſen, ſo haben wir das Räthſel gelöſt. Die
angeblichen Bilder, durch die man die Trinität zu veranſchau-
lichen, begreiflich zu machen ſuchte, waren vorzüglich: Geiſt,
Verſtand, Gedächtniß, Wille, Liebe, mens, intellectus, me-
moria, voluntas, amor
.

Gott denkt und zwar denkt er ſich, erkennt er ſich, und
das Gedachte, das Erkannte iſt Gott ſelbſt. Die Vergegen-
ſtändlichung des Selbſtbewußtſeins iſt das Erſte, was in der
Trinität uns begegnet. Das Selbſtbewußtſein drängt ſich
nothwendig, unwillkührlich dem Menſchen als etwas Abſolutes
auf. Sein iſt für ihn eins mit Selbſtbewußtſein, Sein mit
Bewußtſein iſt für ihn Sein ſchlechtweg. Der Unterſchied von
Sein und Nichtſein iſt für ihn an das Bewußtſein gebunden.
Ob ich gar nicht bin, oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin,
iſt gleich. Selbſtbewußtſein hat für den Menſchen, hat in der
That an ſich ſelbſt abſolute Bedeutung. Ein Gott, der ſich
nicht weiß, ein Gott ohne Bewußtſein, iſt kein Gott. Wie
der Menſch ſich nicht denken kann ohne Bewußtſein, ſo auch
nicht Gott. Das göttliche Selbſtbewußtſein iſt nichts
andres als das Bewußtſein des Bewußtſeins als
abſoluter Weſenheit
.

Uebrigens iſt damit keineswegs die Trinität erſchöpft.
Wir würden vielmehr ganz willkührlich verfahren, wenn wir
darauf allein das Geheimniß der Trinität zurückführen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="72"/>
Bewußt&#x017F;ein des Men&#x017F;chen von &#x017F;ich in &#x017F;einer <hi rendition="#g">Totalität</hi> i&#x017F;t<lb/>
das Bewußt&#x017F;ein der Trinität. Das Geheimniß die&#x017F;es My&#x017F;te-<lb/>
riums i&#x017F;t nichts andres als das Geheimniß des Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Was als <hi rendition="#g">Abdruck, Bild, Aehnlichkeit, Gleichniß</hi><lb/>
von der Religion und Theologie bezeichnet wird, dürfen wir<lb/>
nur als die <hi rendition="#g">Sache &#x017F;elb&#x017F;t</hi>, das <hi rendition="#g">We&#x017F;en</hi>, das <hi rendition="#g">Urbild</hi>, das<lb/><hi rendition="#g">Original</hi> erfa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o haben wir das Räth&#x017F;el gelö&#x017F;t. Die<lb/>
angeblichen Bilder, durch die man die Trinität zu veran&#x017F;chau-<lb/>
lichen, begreiflich zu machen &#x017F;uchte, waren vorzüglich: Gei&#x017F;t,<lb/>
Ver&#x017F;tand, Gedächtniß, Wille, Liebe, <hi rendition="#aq">mens, intellectus, me-<lb/>
moria, voluntas, amor</hi>.</p><lb/>
          <p>Gott denkt und zwar denkt er &#x017F;ich, erkennt er &#x017F;ich, und<lb/>
das Gedachte, das Erkannte i&#x017F;t Gott &#x017F;elb&#x017F;t. Die Vergegen-<lb/>
&#x017F;tändlichung des Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;eins i&#x017F;t das Er&#x017F;te, was in der<lb/>
Trinität uns begegnet. Das Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein drängt &#x017F;ich<lb/>
nothwendig, unwillkührlich dem Men&#x017F;chen als etwas Ab&#x017F;olutes<lb/>
auf. Sein i&#x017F;t für ihn eins mit Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein, Sein mit<lb/>
Bewußt&#x017F;ein i&#x017F;t für ihn Sein &#x017F;chlechtweg. Der Unter&#x017F;chied von<lb/>
Sein und Nicht&#x017F;ein i&#x017F;t für ihn an das Bewußt&#x017F;ein gebunden.<lb/>
Ob ich gar nicht bin, oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin,<lb/>
i&#x017F;t gleich. Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein hat für den Men&#x017F;chen, hat in der<lb/>
That an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ab&#x017F;olute Bedeutung. Ein Gott, der &#x017F;ich<lb/>
nicht weiß, ein Gott ohne Bewußt&#x017F;ein, i&#x017F;t kein Gott. Wie<lb/>
der Men&#x017F;ch &#x017F;ich nicht denken kann ohne Bewußt&#x017F;ein, &#x017F;o auch<lb/>
nicht Gott. Das <hi rendition="#g">göttliche Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein i&#x017F;t nichts<lb/>
andres als das Bewußt&#x017F;ein des Bewußt&#x017F;eins als<lb/>
ab&#x017F;oluter We&#x017F;enheit</hi>.</p><lb/>
          <p>Uebrigens i&#x017F;t damit keineswegs die Trinität er&#x017F;chöpft.<lb/>
Wir würden vielmehr ganz willkührlich verfahren, wenn wir<lb/>
darauf allein das Geheimniß der Trinität zurückführen und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0090] Bewußtſein des Menſchen von ſich in ſeiner Totalität iſt das Bewußtſein der Trinität. Das Geheimniß dieſes Myſte- riums iſt nichts andres als das Geheimniß des Menſchen ſelbſt. Was als Abdruck, Bild, Aehnlichkeit, Gleichniß von der Religion und Theologie bezeichnet wird, dürfen wir nur als die Sache ſelbſt, das Weſen, das Urbild, das Original erfaſſen, ſo haben wir das Räthſel gelöſt. Die angeblichen Bilder, durch die man die Trinität zu veranſchau- lichen, begreiflich zu machen ſuchte, waren vorzüglich: Geiſt, Verſtand, Gedächtniß, Wille, Liebe, mens, intellectus, me- moria, voluntas, amor. Gott denkt und zwar denkt er ſich, erkennt er ſich, und das Gedachte, das Erkannte iſt Gott ſelbſt. Die Vergegen- ſtändlichung des Selbſtbewußtſeins iſt das Erſte, was in der Trinität uns begegnet. Das Selbſtbewußtſein drängt ſich nothwendig, unwillkührlich dem Menſchen als etwas Abſolutes auf. Sein iſt für ihn eins mit Selbſtbewußtſein, Sein mit Bewußtſein iſt für ihn Sein ſchlechtweg. Der Unterſchied von Sein und Nichtſein iſt für ihn an das Bewußtſein gebunden. Ob ich gar nicht bin, oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin, iſt gleich. Selbſtbewußtſein hat für den Menſchen, hat in der That an ſich ſelbſt abſolute Bedeutung. Ein Gott, der ſich nicht weiß, ein Gott ohne Bewußtſein, iſt kein Gott. Wie der Menſch ſich nicht denken kann ohne Bewußtſein, ſo auch nicht Gott. Das göttliche Selbſtbewußtſein iſt nichts andres als das Bewußtſein des Bewußtſeins als abſoluter Weſenheit. Uebrigens iſt damit keineswegs die Trinität erſchöpft. Wir würden vielmehr ganz willkührlich verfahren, wenn wir darauf allein das Geheimniß der Trinität zurückführen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/90
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/90>, abgerufen am 11.12.2024.