der Glaube aber an die Liebe der Glaube an die Wahr- heit und Gottheit des menschlichen Herzens. Der sei- ner selbst bewußte, der denkende Mensch erkennt das Herz als Herz, den Verstand als Verstand, beide in der Einheit ih- rer Wesenheit und Wirklichkeit, als göttliche, absolute Mächte. Aber die Religion, ihrer sich nicht bewußt, und beruhend auf der Scheidung der Wesenheit von der Wirklichkeit des Wesens des Menschen, als eines andern Wesens, vom wirk- lichen individuellen Menschen, vergegenständlicht auch das Wesen des Herzens, wie des Verstandes, als ein andres, ob- jectives und zwar persönliches Wesen.
Eine Wesensbestimmung des menschgewordnen oder, was eins ist, des menschlichen Gottes, also Christi, ist die Passion. Die Liebe bewährt sich durch Leiden. Alle Gedanken und Empfindungen, die sich zunächst an Christus anschließen, con- centriren sich in dem Begriffe des Leidens. Gott als Gott ist der Inbegriff aller menschlichen Vollkommenheit, Christus der Inbegriff alles menschlichen Elends. Die heidnischen Phi- losophen feierten die Actuosität, die Spontaneität der Intelli- genz als die höchste, als die göttliche Thätigkeit; die Christen heiligten das Leiden, setzten das Leiden selbst in Gott. Wenn Gott als Actus purus der Gott der Philosophie, so ist dage- gen Christus, der Gott der Christen, die Passio pura -- der höchste metaphysische Gedanke, das etre supreme des Her- zens. Denn was macht mehr Eindruck auf das Herz als Leiden? und zwar das Leiden des an sich Leidlosen, des über alles Leiden Erhabenen, das Leiden des Unschuldigen, des Sün- denreinen, das Leiden lediglich zum Besten Anderer, das frei- willige Leiden, das Leiden der Liebe, der Selbstaufopferung? Aber eben deßwegen weil die Passionsgeschichte die ergreifendste
der Glaube aber an die Liebe der Glaube an die Wahr- heit und Gottheit des menſchlichen Herzens. Der ſei- ner ſelbſt bewußte, der denkende Menſch erkennt das Herz als Herz, den Verſtand als Verſtand, beide in der Einheit ih- rer Weſenheit und Wirklichkeit, als göttliche, abſolute Mächte. Aber die Religion, ihrer ſich nicht bewußt, und beruhend auf der Scheidung der Weſenheit von der Wirklichkeit des Weſens des Menſchen, als eines andern Weſens, vom wirk- lichen individuellen Menſchen, vergegenſtändlicht auch das Weſen des Herzens, wie des Verſtandes, als ein andres, ob- jectives und zwar perſönliches Weſen.
Eine Weſensbeſtimmung des menſchgewordnen oder, was eins iſt, des menſchlichen Gottes, alſo Chriſti, iſt die Paſſion. Die Liebe bewährt ſich durch Leiden. Alle Gedanken und Empfindungen, die ſich zunächſt an Chriſtus anſchließen, con- centriren ſich in dem Begriffe des Leidens. Gott als Gott iſt der Inbegriff aller menſchlichen Vollkommenheit, Chriſtus der Inbegriff alles menſchlichen Elends. Die heidniſchen Phi- loſophen feierten die Actuoſität, die Spontaneität der Intelli- genz als die höchſte, als die göttliche Thätigkeit; die Chriſten heiligten das Leiden, ſetzten das Leiden ſelbſt in Gott. Wenn Gott als Actus purus der Gott der Philoſophie, ſo iſt dage- gen Chriſtus, der Gott der Chriſten, die Passio pura — der höchſte metaphyſiſche Gedanke, das être suprême des Her- zens. Denn was macht mehr Eindruck auf das Herz als Leiden? und zwar das Leiden des an ſich Leidloſen, des über alles Leiden Erhabenen, das Leiden des Unſchuldigen, des Sün- denreinen, das Leiden lediglich zum Beſten Anderer, das frei- willige Leiden, das Leiden der Liebe, der Selbſtaufopferung? Aber eben deßwegen weil die Paſſionsgeſchichte die ergreifendſte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0079"n="61"/>
der Glaube aber an die Liebe der Glaube an die <hirendition="#g">Wahr-<lb/>
heit</hi> und <hirendition="#g">Gottheit des menſchlichen Herzens</hi>. Der ſei-<lb/>
ner ſelbſt bewußte, der denkende Menſch erkennt das Herz <hirendition="#g">als<lb/>
Herz</hi>, den Verſtand <hirendition="#g">als Verſtand</hi>, beide in der Einheit ih-<lb/>
rer Weſenheit und Wirklichkeit, als göttliche, abſolute Mächte.<lb/>
Aber die Religion, ihrer ſich nicht bewußt, und beruhend auf<lb/>
der <hirendition="#g">Scheidung</hi> der <hirendition="#g">Weſenheit</hi> von der <hirendition="#g">Wirklichkeit</hi> des<lb/><hirendition="#g">Weſens</hi> des Menſchen, als eines andern Weſens, vom wirk-<lb/>
lichen individuellen Menſchen, vergegenſtändlicht auch das<lb/>
Weſen des Herzens, wie des Verſtandes, als ein andres, ob-<lb/>
jectives und zwar perſönliches Weſen.</p><lb/><p>Eine Weſensbeſtimmung des menſchgewordnen oder, was<lb/>
eins iſt, des menſchlichen Gottes, alſo Chriſti, iſt die <hirendition="#g">Paſſion</hi>.<lb/>
Die Liebe <hirendition="#g">bewährt ſich durch Leiden</hi>. Alle Gedanken und<lb/>
Empfindungen, die ſich zunächſt an Chriſtus anſchließen, con-<lb/>
centriren ſich in dem Begriffe des Leidens. Gott als Gott<lb/>
iſt der Inbegriff aller menſchlichen Vollkommenheit, Chriſtus<lb/>
der Inbegriff alles menſchlichen Elends. Die heidniſchen Phi-<lb/>
loſophen feierten die Actuoſität, die Spontaneität der Intelli-<lb/>
genz als die höchſte, als die göttliche Thätigkeit; die Chriſten<lb/>
heiligten das Leiden, ſetzten das Leiden ſelbſt in Gott. Wenn<lb/>
Gott als <hirendition="#aq">Actus purus</hi> der Gott der Philoſophie, ſo iſt dage-<lb/>
gen Chriſtus, der Gott der Chriſten, die <hirendition="#aq">Passio pura</hi>— der<lb/>
höchſte metaphyſiſche Gedanke, das <hirendition="#g"><hirendition="#aq">être suprême</hi> des Her-<lb/>
zens</hi>. Denn was macht mehr Eindruck auf das Herz als<lb/>
Leiden? und zwar das Leiden des an ſich Leidloſen, des über<lb/>
alles Leiden Erhabenen, das Leiden des Unſchuldigen, des Sün-<lb/>
denreinen, das Leiden lediglich zum Beſten Anderer, das frei-<lb/>
willige Leiden, das Leiden der Liebe, der Selbſtaufopferung?<lb/>
Aber eben deßwegen weil die Paſſionsgeſchichte die ergreifendſte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[61/0079]
der Glaube aber an die Liebe der Glaube an die Wahr-
heit und Gottheit des menſchlichen Herzens. Der ſei-
ner ſelbſt bewußte, der denkende Menſch erkennt das Herz als
Herz, den Verſtand als Verſtand, beide in der Einheit ih-
rer Weſenheit und Wirklichkeit, als göttliche, abſolute Mächte.
Aber die Religion, ihrer ſich nicht bewußt, und beruhend auf
der Scheidung der Weſenheit von der Wirklichkeit des
Weſens des Menſchen, als eines andern Weſens, vom wirk-
lichen individuellen Menſchen, vergegenſtändlicht auch das
Weſen des Herzens, wie des Verſtandes, als ein andres, ob-
jectives und zwar perſönliches Weſen.
Eine Weſensbeſtimmung des menſchgewordnen oder, was
eins iſt, des menſchlichen Gottes, alſo Chriſti, iſt die Paſſion.
Die Liebe bewährt ſich durch Leiden. Alle Gedanken und
Empfindungen, die ſich zunächſt an Chriſtus anſchließen, con-
centriren ſich in dem Begriffe des Leidens. Gott als Gott
iſt der Inbegriff aller menſchlichen Vollkommenheit, Chriſtus
der Inbegriff alles menſchlichen Elends. Die heidniſchen Phi-
loſophen feierten die Actuoſität, die Spontaneität der Intelli-
genz als die höchſte, als die göttliche Thätigkeit; die Chriſten
heiligten das Leiden, ſetzten das Leiden ſelbſt in Gott. Wenn
Gott als Actus purus der Gott der Philoſophie, ſo iſt dage-
gen Chriſtus, der Gott der Chriſten, die Passio pura — der
höchſte metaphyſiſche Gedanke, das être suprême des Her-
zens. Denn was macht mehr Eindruck auf das Herz als
Leiden? und zwar das Leiden des an ſich Leidloſen, des über
alles Leiden Erhabenen, das Leiden des Unſchuldigen, des Sün-
denreinen, das Leiden lediglich zum Beſten Anderer, das frei-
willige Leiden, das Leiden der Liebe, der Selbſtaufopferung?
Aber eben deßwegen weil die Paſſionsgeſchichte die ergreifendſte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/79>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.