digkeit, die Persönlichkeit aus Willkühr. Die Persön- lichkeit bewährt sich als Persönlichkeit nur durch Willkühr; die Persönlichkeit ist herrschsüchtig, ehrgeizig; sie will sich nur geltend machen. Die höchste Feier Gottes als eines persönli- chen Wesens ist daher die Feier Gottes als eines schlechthin unumschränkten, willkührlichen Wesens. Die Persönlichkeit als solche ist indifferent gegen alle substanziellen Bestimmun- gen; die innere Nothwendigkeit, der Wesensdrang erscheint ihr als Zwang. Hier haben wir das Geheimniß der christlichen Liebe. Die Liebe Gottes als Prädicat eines persönlichen Wesens hat hier die Bedeutung der Gnade: Gott ist ein gnädiger Herr, wie er im Judenthum ein strenger Herr war. Die Gnade ist die beliebige Liebe -- die Liebe, die nicht aus innerem Wesensdrang handelt, sondern was sie thut, auch nicht thun, ihren Gegenstand, wenn sie wollte, auch verdammen könnte -- also die grundlose, die unwe- sentliche, die willkührliche, die absolut subjective, die nur persönliche Liebe. Wo die Liebe in diesem Sinne er- faßt wird, da wird daher eifersüchtig darüber gewacht, daß der Mensch sich nichts zum Verdienste anrechne, daß der göttlichen Persönlichkeit allein das Verdienst bleibe; da wird sorgfältigst jeder Gedanke an eine Nothwendigkeit beseitigt, um auch sub- jectiv durch das Gefühl der Verbindlichkeit und Dankbarkeit ausschließlich die Persönlichkeit feiern und verherrlichen zu kön- nen. Die Juden vergötterten den Ahnenstolz; die Christen dagegen verklärten und verwandelten das jüdisch-aristokratische Princip des Geburtsadels in das demokratische Princip des Verdienstadels. Der Katholik macht die Seligkeit vom Ver- dienste des Werkes, der Protestant vom Verdienste des Glaubens abhängig. Aber der Begriff der Verbindlichkeit und Verdienstlichkeit verbindet sich nur mit einer Handlung, einem Werke, das nicht von mir gefordert werden kann oder nicht nothwendig aus meinem Wesen hervorgeht. Die Werke des Dichters, des Philosophen können nur äußerlich betrachtet unter den Gesichtspunkt der Verdienstlichkeit gestellt werden.
digkeit, die Perſönlichkeit aus Willkühr. Die Perſön- lichkeit bewährt ſich als Perſönlichkeit nur durch Willkühr; die Perſönlichkeit iſt herrſchſüchtig, ehrgeizig; ſie will ſich nur geltend machen. Die höchſte Feier Gottes als eines perſönli- chen Weſens iſt daher die Feier Gottes als eines ſchlechthin unumſchränkten, willkührlichen Weſens. Die Perſönlichkeit als ſolche iſt indifferent gegen alle ſubſtanziellen Beſtimmun- gen; die innere Nothwendigkeit, der Weſensdrang erſcheint ihr als Zwang. Hier haben wir das Geheimniß der chriſtlichen Liebe. Die Liebe Gottes als Prädicat eines perſönlichen Weſens hat hier die Bedeutung der Gnade: Gott iſt ein gnädiger Herr, wie er im Judenthum ein ſtrenger Herr war. Die Gnade iſt die beliebige Liebe — die Liebe, die nicht aus innerem Weſensdrang handelt, ſondern was ſie thut, auch nicht thun, ihren Gegenſtand, wenn ſie wollte, auch verdammen könnte — alſo die grundloſe, die unwe- ſentliche, die willkührliche, die abſolut ſubjective, die nur perſönliche Liebe. Wo die Liebe in dieſem Sinne er- faßt wird, da wird daher eiferſüchtig darüber gewacht, daß der Menſch ſich nichts zum Verdienſte anrechne, daß der göttlichen Perſönlichkeit allein das Verdienſt bleibe; da wird ſorgfältigſt jeder Gedanke an eine Nothwendigkeit beſeitigt, um auch ſub- jectiv durch das Gefühl der Verbindlichkeit und Dankbarkeit ausſchließlich die Perſönlichkeit feiern und verherrlichen zu kön- nen. Die Juden vergötterten den Ahnenſtolz; die Chriſten dagegen verklärten und verwandelten das jüdiſch-ariſtokratiſche Princip des Geburtsadels in das demokratiſche Princip des Verdienſtadels. Der Katholik macht die Seligkeit vom Ver- dienſte des Werkes, der Proteſtant vom Verdienſte des Glaubens abhängig. Aber der Begriff der Verbindlichkeit und Verdienſtlichkeit verbindet ſich nur mit einer Handlung, einem Werke, das nicht von mir gefordert werden kann oder nicht nothwendig aus meinem Weſen hervorgeht. Die Werke des Dichters, des Philoſophen können nur äußerlich betrachtet unter den Geſichtspunkt der Verdienſtlichkeit geſtellt werden.
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digkeit, die Perſönlichkeit aus Willkühr. Die Perſön-
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die Perſönlichkeit iſt herrſchſüchtig, ehrgeizig; ſie will ſich nur
geltend machen. Die höchſte Feier Gottes als eines perſönli-
chen Weſens iſt daher die Feier Gottes als eines ſchlechthin
unumſchränkten, willkührlichen Weſens. Die Perſönlichkeit
als ſolche iſt indifferent gegen alle ſubſtanziellen Beſtimmun-
gen; die innere Nothwendigkeit, der Weſensdrang erſcheint ihr
als Zwang. Hier haben wir das Geheimniß der chriſtlichen
Liebe. Die Liebe Gottes als Prädicat eines perſönlichen
Weſens hat hier die Bedeutung der Gnade: Gott iſt ein
gnädiger Herr, wie er im Judenthum ein ſtrenger
Herr war. Die Gnade iſt die beliebige Liebe — die Liebe,
die nicht aus innerem Weſensdrang handelt, ſondern was ſie
thut, auch nicht thun, ihren Gegenſtand, wenn ſie wollte,
auch verdammen könnte — alſo die grundloſe, die unwe-
ſentliche, die willkührliche, die abſolut ſubjective, die
nur perſönliche Liebe. Wo die Liebe in dieſem Sinne er-
faßt wird, da wird daher eiferſüchtig darüber gewacht, daß der
Menſch ſich nichts zum Verdienſte anrechne, daß der göttlichen
Perſönlichkeit allein das Verdienſt bleibe; da wird ſorgfältigſt
jeder Gedanke an eine Nothwendigkeit beſeitigt, um auch ſub-
jectiv durch das Gefühl der Verbindlichkeit und Dankbarkeit
ausſchließlich die Perſönlichkeit feiern und verherrlichen zu kön-
nen. Die Juden vergötterten den Ahnenſtolz; die Chriſten
dagegen verklärten und verwandelten das jüdiſch-ariſtokratiſche
Princip des Geburtsadels in das demokratiſche Princip des
Verdienſtadels. Der Katholik macht die Seligkeit vom Ver-
dienſte des Werkes, der Proteſtant vom Verdienſte des
Glaubens abhängig. Aber der Begriff der Verbindlichkeit
und Verdienſtlichkeit verbindet ſich nur mit einer Handlung,
einem Werke, das nicht von mir gefordert werden kann oder
nicht nothwendig aus meinem Weſen hervorgeht. Die Werke
des Dichters, des Philoſophen können nur äußerlich betrachtet
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/457>, abgerufen am 05.12.2024.
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