statim est naturalis .... Unicus itaque licet sit actus, unicumque organum, quo panem et corpus Christi, itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, modus (ja wohl der modus) nihilominus maximopere differt, cum panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san- guinem Christi simul equidem cum pane et vino, at modo supernaturali et insensibili, qui adeo etiam a nemine mortalium (sicherlich auch von keinem Gotte) expli- cari potest, revera interim et ore corporis accipia- mus. Jo. Fr. Buddeus (l. c. Lib. V. c. I. §. 15.) Welch' eine Heuchelei! Mit demselben Munde, womit er seinen Gott zwischen die Lippen preßt und sein Blut in sich saugt, um sich seiner wirklichen, d. i. fleischlichen Existenz zu versichern, mit demselben Munde läugnet der Christ und zwar im heiligsten Momente seiner Religion, die fleischliche Gegenwart, den fleischli- chen Genuß Gottes. So läugnet er also auch hier, daß er das Fleisch befriedigt, während er es in der That befriedigt.
Der Widerspruch der christlichen Religion ist der Widerspruch von Glaube und Liebe.
Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott als einem vom Menschen unterschiednen persönlichen Wesen auf. Wohl ist Gott der mystische Gattungsbegriff der Mensch- heit -- was die Religion dadurch ausspricht, daß sie Gott zum gemeinsamen Vater der Menschen macht -- und wer daher Gott liebt, liebt insofern die Menschen. Die Liebe zu Gott ist die mystische Liebe zum Menschen. Aber Gott ist nicht nur das gemeinsame -- er ist auch ein besondres Wesen, ein Wesen für sich -- ein Subject. Wie sich daher theore- tisch in dem Satze: Gott ist die Liebe, das Subject von dem Prädicat der Liebe unterscheidet, so scheidet sich auch nothwen- dig praktisch das Wesen, die Persönlichkeit Gottes von der Liebe. Wo sich das Wesen von der Liebe scheidet, ent- springt die Willkühr. Die Liebe handelt aus Nothwen-
statim est naturalis .... Unicus itaque licet sit actus, unicumque organum, quo panem et corpus Christi, itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, modus (ja wohl der modus) nihilominus maximopere differt, cum panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san- guinem Christi simul equidem cum pane et vino, at modo supernaturali et insensibili, qui adeo etiam a nemine mortalium (ſicherlich auch von keinem Gotte) expli- cari potest, revera interim et ore corporis accipia- mus. Jo. Fr. Buddeus (l. c. Lib. V. c. I. §. 15.) Welch’ eine Heuchelei! Mit demſelben Munde, womit er ſeinen Gott zwiſchen die Lippen preßt und ſein Blut in ſich ſaugt, um ſich ſeiner wirklichen, d. i. fleiſchlichen Exiſtenz zu verſichern, mit demſelben Munde läugnet der Chriſt und zwar im heiligſten Momente ſeiner Religion, die fleiſchliche Gegenwart, den fleiſchli- chen Genuß Gottes. So läugnet er alſo auch hier, daß er das Fleiſch befriedigt, während er es in der That befriedigt.
Der Widerſpruch der chriſtlichen Religion iſt der Widerſpruch von Glaube und Liebe.
Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott als einem vom Menſchen unterſchiednen perſönlichen Weſen auf. Wohl iſt Gott der myſtiſche Gattungsbegriff der Menſch- heit — was die Religion dadurch ausſpricht, daß ſie Gott zum gemeinſamen Vater der Menſchen macht — und wer daher Gott liebt, liebt inſofern die Menſchen. Die Liebe zu Gott iſt die myſtiſche Liebe zum Menſchen. Aber Gott iſt nicht nur das gemeinſame — er iſt auch ein beſondres Weſen, ein Weſen für ſich — ein Subject. Wie ſich daher theore- tiſch in dem Satze: Gott iſt die Liebe, das Subject von dem Prädicat der Liebe unterſcheidet, ſo ſcheidet ſich auch nothwen- dig praktiſch das Weſen, die Perſönlichkeit Gottes von der Liebe. Wo ſich das Weſen von der Liebe ſcheidet, ent- ſpringt die Willkühr. Die Liebe handelt aus Nothwen-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><hirendition="#aq"><pbfacs="#f0456"n="438"/>
statim est <hirendition="#g">naturalis</hi> .... Unicus itaque licet sit actus,<lb/><hirendition="#g">unicumque organum</hi>, quo panem et corpus Christi,<lb/>
itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, <hirendition="#g">modus</hi></hi><lb/>
(ja wohl der <hirendition="#aq">modus) nihilominus maximopere differt, cum<lb/>
panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san-<lb/>
guinem Christi <hirendition="#g">simul equidem cum pane</hi> et <hirendition="#g">vino</hi>, at<lb/><hirendition="#g">modo supernaturali</hi> et <hirendition="#g">insensibili</hi>, qui adeo etiam a<lb/>
nemine mortalium</hi> (ſicherlich auch von keinem Gotte) <hirendition="#aq">expli-<lb/>
cari potest, <hirendition="#g">revera interim</hi> et <hirendition="#g">ore corporis accipia-<lb/>
mus</hi>. Jo. Fr. <hirendition="#g">Buddeus</hi> (l. c. Lib. V. c. I.</hi> §. 15.) Welch’<lb/>
eine Heuchelei! Mit demſelben Munde, womit er ſeinen Gott<lb/>
zwiſchen die Lippen preßt und ſein Blut in ſich ſaugt, um ſich<lb/>ſeiner wirklichen, d. i. fleiſchlichen Exiſtenz zu verſichern, mit<lb/>
demſelben Munde läugnet der Chriſt und zwar im heiligſten<lb/>
Momente ſeiner Religion, die fleiſchliche Gegenwart, den fleiſchli-<lb/>
chen Genuß Gottes. So läugnet er alſo auch hier, daß er<lb/>
das Fleiſch befriedigt, während er es in der That befriedigt.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#g">Der Widerſpruch der chriſtlichen Religion iſt der<lb/>
Widerſpruch von Glaube und Liebe</hi>.</p><lb/><p>Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott<lb/>
als einem vom Menſchen unterſchiednen perſönlichen Weſen<lb/>
auf. Wohl iſt Gott der myſtiſche Gattungsbegriff der Menſch-<lb/>
heit — was die Religion dadurch ausſpricht, daß ſie Gott<lb/>
zum gemeinſamen Vater der Menſchen macht — und wer<lb/>
daher Gott liebt, liebt inſofern die Menſchen. Die Liebe zu<lb/>
Gott iſt die myſtiſche Liebe zum Menſchen. Aber Gott iſt<lb/>
nicht nur das gemeinſame — er iſt auch ein beſondres Weſen,<lb/>
ein Weſen für ſich — ein Subject. Wie ſich daher <hirendition="#g">theore-<lb/>
tiſch</hi> in dem Satze: Gott iſt die Liebe, das Subject von dem<lb/>
Prädicat der Liebe unterſcheidet, ſo ſcheidet ſich auch nothwen-<lb/>
dig <hirendition="#g">praktiſch</hi> das Weſen, die <hirendition="#g">Perſönlichkeit</hi> Gottes von<lb/>
der <hirendition="#g">Liebe</hi>. Wo ſich das Weſen von der Liebe ſcheidet, ent-<lb/>ſpringt die <hirendition="#g">Willkühr</hi>. Die <hirendition="#g">Liebe</hi> handelt aus <hirendition="#g">Nothwen-<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[438/0456]
statim est naturalis .... Unicus itaque licet sit actus,
unicumque organum, quo panem et corpus Christi,
itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, modus
(ja wohl der modus) nihilominus maximopere differt, cum
panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san-
guinem Christi simul equidem cum pane et vino, at
modo supernaturali et insensibili, qui adeo etiam a
nemine mortalium (ſicherlich auch von keinem Gotte) expli-
cari potest, revera interim et ore corporis accipia-
mus. Jo. Fr. Buddeus (l. c. Lib. V. c. I. §. 15.) Welch’
eine Heuchelei! Mit demſelben Munde, womit er ſeinen Gott
zwiſchen die Lippen preßt und ſein Blut in ſich ſaugt, um ſich
ſeiner wirklichen, d. i. fleiſchlichen Exiſtenz zu verſichern, mit
demſelben Munde läugnet der Chriſt und zwar im heiligſten
Momente ſeiner Religion, die fleiſchliche Gegenwart, den fleiſchli-
chen Genuß Gottes. So läugnet er alſo auch hier, daß er
das Fleiſch befriedigt, während er es in der That befriedigt.
Der Widerſpruch der chriſtlichen Religion iſt der
Widerſpruch von Glaube und Liebe.
Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott
als einem vom Menſchen unterſchiednen perſönlichen Weſen
auf. Wohl iſt Gott der myſtiſche Gattungsbegriff der Menſch-
heit — was die Religion dadurch ausſpricht, daß ſie Gott
zum gemeinſamen Vater der Menſchen macht — und wer
daher Gott liebt, liebt inſofern die Menſchen. Die Liebe zu
Gott iſt die myſtiſche Liebe zum Menſchen. Aber Gott iſt
nicht nur das gemeinſame — er iſt auch ein beſondres Weſen,
ein Weſen für ſich — ein Subject. Wie ſich daher theore-
tiſch in dem Satze: Gott iſt die Liebe, das Subject von dem
Prädicat der Liebe unterſcheidet, ſo ſcheidet ſich auch nothwen-
dig praktiſch das Weſen, die Perſönlichkeit Gottes von
der Liebe. Wo ſich das Weſen von der Liebe ſcheidet, ent-
ſpringt die Willkühr. Die Liebe handelt aus Nothwen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/456>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.