Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Zwiespalt, ein Unglück. Höhere Wesen wissen nichts
von diesem Unglück; sie haben keine Vorstellung von dem,
was sie nicht sind.

Du glaubst an die Liebe als eine göttliche Eigenschaft,
weil Du selbst liebst, Du glaubst, daß Gott ein weises, ein
gütiges Wesen ist, weil Du nichts Besseres von Dir kennst
als Güte und Verstand, und Du glaubst, daß Gott existirt,
daß er also Subject ist -- was existirt, ist ein Subject, werde
dieses Subject nun als Substanz oder Person oder Wesen oder
sonstwie bestimmt und bezeichnet -- weil Du selbst existirst,
selbst Subject bist. Du kennst kein höheres menschliches Gut,
als zu lieben, als gut und weise zu sein, und eben so kennst
Du kein höheres Glück, als überhaupt zu existiren, Subject
zu sein; denn das Bewußtsein aller Realität, alles Glückes ist
Dir an das Bewußtsein des Subjectseins, der Existenz gebun-
den. Gott ist Dir ein Existirendes, ein Subject aus demsel-
ben Grunde, aus welchem er Dir ein weises, ein seliges, ein
persönliches Wesen ist. Der Unterschied zwischen den göttli-
chen Prädicaten und dem göttlichen Subject ist nur dieser,
daß Dir das Subject, die Existenz nicht als ein Anthropo-
morphismus erscheint, weil in diesem Deinem Subjectsein
die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Existirendes,
ein Subject ist, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis-
men erscheinen, weil die Nothwendigkeit derselben, die
Nothwendigkeit, daß Gott weise, gut, bewußt u. s. w. ist, keine
unmittelbare, mit dem Sein des Menschen identische, sondern
durch sein Selbstbewußtsein, die Thätigkeit des Denkens ver-
mittelte Nothwendigkeit ist. Subject bin ich, ich existire, ich
mag weise oder unweise, gut oder schlecht sein. Existiren ist
dem Menschen das Erste, das Subject in seiner Vorstellung,

ein Zwieſpalt, ein Unglück. Höhere Weſen wiſſen nichts
von dieſem Unglück; ſie haben keine Vorſtellung von dem,
was ſie nicht ſind.

Du glaubſt an die Liebe als eine göttliche Eigenſchaft,
weil Du ſelbſt liebſt, Du glaubſt, daß Gott ein weiſes, ein
gütiges Weſen iſt, weil Du nichts Beſſeres von Dir kennſt
als Güte und Verſtand, und Du glaubſt, daß Gott exiſtirt,
daß er alſo Subject iſt — was exiſtirt, iſt ein Subject, werde
dieſes Subject nun als Subſtanz oder Perſon oder Weſen oder
ſonſtwie beſtimmt und bezeichnet — weil Du ſelbſt exiſtirſt,
ſelbſt Subject biſt. Du kennſt kein höheres menſchliches Gut,
als zu lieben, als gut und weiſe zu ſein, und eben ſo kennſt
Du kein höheres Glück, als überhaupt zu exiſtiren, Subject
zu ſein; denn das Bewußtſein aller Realität, alles Glückes iſt
Dir an das Bewußtſein des Subjectſeins, der Exiſtenz gebun-
den. Gott iſt Dir ein Exiſtirendes, ein Subject aus demſel-
ben Grunde, aus welchem er Dir ein weiſes, ein ſeliges, ein
perſönliches Weſen iſt. Der Unterſchied zwiſchen den göttli-
chen Prädicaten und dem göttlichen Subject iſt nur dieſer,
daß Dir das Subject, die Exiſtenz nicht als ein Anthropo-
morphismus erſcheint, weil in dieſem Deinem Subjectſein
die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Exiſtirendes,
ein Subject iſt, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis-
men erſcheinen, weil die Nothwendigkeit derſelben, die
Nothwendigkeit, daß Gott weiſe, gut, bewußt u. ſ. w. iſt, keine
unmittelbare, mit dem Sein des Menſchen identiſche, ſondern
durch ſein Selbſtbewußtſein, die Thätigkeit des Denkens ver-
mittelte Nothwendigkeit iſt. Subject bin ich, ich exiſtire, ich
mag weiſe oder unweiſe, gut oder ſchlecht ſein. Exiſtiren iſt
dem Menſchen das Erſte, das Subject in ſeiner Vorſtellung,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="26"/>
ein Zwie&#x017F;palt, ein Unglück. Höhere We&#x017F;en wi&#x017F;&#x017F;en nichts<lb/>
von die&#x017F;em Unglück; &#x017F;ie haben keine Vor&#x017F;tellung von dem,<lb/>
was &#x017F;ie <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Du glaub&#x017F;t an die Liebe als eine göttliche Eigen&#x017F;chaft,<lb/>
weil Du &#x017F;elb&#x017F;t lieb&#x017F;t, Du glaub&#x017F;t, daß Gott ein wei&#x017F;es, ein<lb/>
gütiges We&#x017F;en i&#x017F;t, weil Du nichts Be&#x017F;&#x017F;eres von Dir kenn&#x017F;t<lb/>
als Güte und Ver&#x017F;tand, und Du glaub&#x017F;t, daß Gott exi&#x017F;tirt,<lb/>
daß er al&#x017F;o Subject i&#x017F;t &#x2014; was exi&#x017F;tirt, i&#x017F;t ein Subject, werde<lb/>
die&#x017F;es Subject nun als Sub&#x017F;tanz oder Per&#x017F;on oder We&#x017F;en oder<lb/>
&#x017F;on&#x017F;twie be&#x017F;timmt und bezeichnet &#x2014; weil Du &#x017F;elb&#x017F;t exi&#x017F;tir&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Subject bi&#x017F;t. Du kenn&#x017F;t kein höheres men&#x017F;chliches Gut,<lb/>
als zu lieben, als gut und wei&#x017F;e zu &#x017F;ein, und eben &#x017F;o kenn&#x017F;t<lb/>
Du kein höheres Glück, als überhaupt zu exi&#x017F;tiren, Subject<lb/>
zu &#x017F;ein; denn das Bewußt&#x017F;ein aller Realität, alles Glückes i&#x017F;t<lb/>
Dir an das Bewußt&#x017F;ein des Subject&#x017F;eins, der Exi&#x017F;tenz gebun-<lb/>
den. Gott i&#x017F;t Dir ein Exi&#x017F;tirendes, ein Subject aus dem&#x017F;el-<lb/>
ben Grunde, aus welchem er Dir ein wei&#x017F;es, ein &#x017F;eliges, ein<lb/>
per&#x017F;önliches We&#x017F;en i&#x017F;t. Der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen den göttli-<lb/>
chen Prädicaten und dem göttlichen Subject i&#x017F;t nur die&#x017F;er,<lb/>
daß Dir das Subject, die Exi&#x017F;tenz <hi rendition="#g">nicht</hi> als ein Anthropo-<lb/>
morphismus <hi rendition="#g">er&#x017F;cheint</hi>, weil in die&#x017F;em Deinem <hi rendition="#g">Subject&#x017F;ein</hi><lb/>
die <hi rendition="#g">Nothwendigkeit</hi> liegt, daß Dir Gott ein Exi&#x017F;tirendes,<lb/>
ein Subject i&#x017F;t, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis-<lb/>
men <hi rendition="#g">er&#x017F;cheinen</hi>, weil die Nothwendigkeit der&#x017F;elben, die<lb/>
Nothwendigkeit, daß Gott wei&#x017F;e, gut, bewußt u. &#x017F;. w. i&#x017F;t, keine<lb/>
unmittelbare, mit dem Sein des Men&#x017F;chen identi&#x017F;che, &#x017F;ondern<lb/>
durch &#x017F;ein Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein, die Thätigkeit des Denkens ver-<lb/>
mittelte Nothwendigkeit i&#x017F;t. Subject bin ich, ich exi&#x017F;tire, ich<lb/>
mag wei&#x017F;e oder unwei&#x017F;e, gut oder &#x017F;chlecht &#x017F;ein. Exi&#x017F;tiren i&#x017F;t<lb/>
dem Men&#x017F;chen das Er&#x017F;te, das Subject in &#x017F;einer Vor&#x017F;tellung,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0044] ein Zwieſpalt, ein Unglück. Höhere Weſen wiſſen nichts von dieſem Unglück; ſie haben keine Vorſtellung von dem, was ſie nicht ſind. Du glaubſt an die Liebe als eine göttliche Eigenſchaft, weil Du ſelbſt liebſt, Du glaubſt, daß Gott ein weiſes, ein gütiges Weſen iſt, weil Du nichts Beſſeres von Dir kennſt als Güte und Verſtand, und Du glaubſt, daß Gott exiſtirt, daß er alſo Subject iſt — was exiſtirt, iſt ein Subject, werde dieſes Subject nun als Subſtanz oder Perſon oder Weſen oder ſonſtwie beſtimmt und bezeichnet — weil Du ſelbſt exiſtirſt, ſelbſt Subject biſt. Du kennſt kein höheres menſchliches Gut, als zu lieben, als gut und weiſe zu ſein, und eben ſo kennſt Du kein höheres Glück, als überhaupt zu exiſtiren, Subject zu ſein; denn das Bewußtſein aller Realität, alles Glückes iſt Dir an das Bewußtſein des Subjectſeins, der Exiſtenz gebun- den. Gott iſt Dir ein Exiſtirendes, ein Subject aus demſel- ben Grunde, aus welchem er Dir ein weiſes, ein ſeliges, ein perſönliches Weſen iſt. Der Unterſchied zwiſchen den göttli- chen Prädicaten und dem göttlichen Subject iſt nur dieſer, daß Dir das Subject, die Exiſtenz nicht als ein Anthropo- morphismus erſcheint, weil in dieſem Deinem Subjectſein die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Exiſtirendes, ein Subject iſt, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis- men erſcheinen, weil die Nothwendigkeit derſelben, die Nothwendigkeit, daß Gott weiſe, gut, bewußt u. ſ. w. iſt, keine unmittelbare, mit dem Sein des Menſchen identiſche, ſondern durch ſein Selbſtbewußtſein, die Thätigkeit des Denkens ver- mittelte Nothwendigkeit iſt. Subject bin ich, ich exiſtire, ich mag weiſe oder unweiſe, gut oder ſchlecht ſein. Exiſtiren iſt dem Menſchen das Erſte, das Subject in ſeiner Vorſtellung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/44
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/44>, abgerufen am 26.11.2024.