ein Zwiespalt, ein Unglück. Höhere Wesen wissen nichts von diesem Unglück; sie haben keine Vorstellung von dem, was sie nicht sind.
Du glaubst an die Liebe als eine göttliche Eigenschaft, weil Du selbst liebst, Du glaubst, daß Gott ein weises, ein gütiges Wesen ist, weil Du nichts Besseres von Dir kennst als Güte und Verstand, und Du glaubst, daß Gott existirt, daß er also Subject ist -- was existirt, ist ein Subject, werde dieses Subject nun als Substanz oder Person oder Wesen oder sonstwie bestimmt und bezeichnet -- weil Du selbst existirst, selbst Subject bist. Du kennst kein höheres menschliches Gut, als zu lieben, als gut und weise zu sein, und eben so kennst Du kein höheres Glück, als überhaupt zu existiren, Subject zu sein; denn das Bewußtsein aller Realität, alles Glückes ist Dir an das Bewußtsein des Subjectseins, der Existenz gebun- den. Gott ist Dir ein Existirendes, ein Subject aus demsel- ben Grunde, aus welchem er Dir ein weises, ein seliges, ein persönliches Wesen ist. Der Unterschied zwischen den göttli- chen Prädicaten und dem göttlichen Subject ist nur dieser, daß Dir das Subject, die Existenz nicht als ein Anthropo- morphismus erscheint, weil in diesem Deinem Subjectsein die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Existirendes, ein Subject ist, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis- men erscheinen, weil die Nothwendigkeit derselben, die Nothwendigkeit, daß Gott weise, gut, bewußt u. s. w. ist, keine unmittelbare, mit dem Sein des Menschen identische, sondern durch sein Selbstbewußtsein, die Thätigkeit des Denkens ver- mittelte Nothwendigkeit ist. Subject bin ich, ich existire, ich mag weise oder unweise, gut oder schlecht sein. Existiren ist dem Menschen das Erste, das Subject in seiner Vorstellung,
ein Zwieſpalt, ein Unglück. Höhere Weſen wiſſen nichts von dieſem Unglück; ſie haben keine Vorſtellung von dem, was ſie nicht ſind.
Du glaubſt an die Liebe als eine göttliche Eigenſchaft, weil Du ſelbſt liebſt, Du glaubſt, daß Gott ein weiſes, ein gütiges Weſen iſt, weil Du nichts Beſſeres von Dir kennſt als Güte und Verſtand, und Du glaubſt, daß Gott exiſtirt, daß er alſo Subject iſt — was exiſtirt, iſt ein Subject, werde dieſes Subject nun als Subſtanz oder Perſon oder Weſen oder ſonſtwie beſtimmt und bezeichnet — weil Du ſelbſt exiſtirſt, ſelbſt Subject biſt. Du kennſt kein höheres menſchliches Gut, als zu lieben, als gut und weiſe zu ſein, und eben ſo kennſt Du kein höheres Glück, als überhaupt zu exiſtiren, Subject zu ſein; denn das Bewußtſein aller Realität, alles Glückes iſt Dir an das Bewußtſein des Subjectſeins, der Exiſtenz gebun- den. Gott iſt Dir ein Exiſtirendes, ein Subject aus demſel- ben Grunde, aus welchem er Dir ein weiſes, ein ſeliges, ein perſönliches Weſen iſt. Der Unterſchied zwiſchen den göttli- chen Prädicaten und dem göttlichen Subject iſt nur dieſer, daß Dir das Subject, die Exiſtenz nicht als ein Anthropo- morphismus erſcheint, weil in dieſem Deinem Subjectſein die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Exiſtirendes, ein Subject iſt, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis- men erſcheinen, weil die Nothwendigkeit derſelben, die Nothwendigkeit, daß Gott weiſe, gut, bewußt u. ſ. w. iſt, keine unmittelbare, mit dem Sein des Menſchen identiſche, ſondern durch ſein Selbſtbewußtſein, die Thätigkeit des Denkens ver- mittelte Nothwendigkeit iſt. Subject bin ich, ich exiſtire, ich mag weiſe oder unweiſe, gut oder ſchlecht ſein. Exiſtiren iſt dem Menſchen das Erſte, das Subject in ſeiner Vorſtellung,
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ein Zwieſpalt, ein Unglück. Höhere Weſen wiſſen nichts
von dieſem Unglück; ſie haben keine Vorſtellung von dem,
was ſie nicht ſind.
Du glaubſt an die Liebe als eine göttliche Eigenſchaft,
weil Du ſelbſt liebſt, Du glaubſt, daß Gott ein weiſes, ein
gütiges Weſen iſt, weil Du nichts Beſſeres von Dir kennſt
als Güte und Verſtand, und Du glaubſt, daß Gott exiſtirt,
daß er alſo Subject iſt — was exiſtirt, iſt ein Subject, werde
dieſes Subject nun als Subſtanz oder Perſon oder Weſen oder
ſonſtwie beſtimmt und bezeichnet — weil Du ſelbſt exiſtirſt,
ſelbſt Subject biſt. Du kennſt kein höheres menſchliches Gut,
als zu lieben, als gut und weiſe zu ſein, und eben ſo kennſt
Du kein höheres Glück, als überhaupt zu exiſtiren, Subject
zu ſein; denn das Bewußtſein aller Realität, alles Glückes iſt
Dir an das Bewußtſein des Subjectſeins, der Exiſtenz gebun-
den. Gott iſt Dir ein Exiſtirendes, ein Subject aus demſel-
ben Grunde, aus welchem er Dir ein weiſes, ein ſeliges, ein
perſönliches Weſen iſt. Der Unterſchied zwiſchen den göttli-
chen Prädicaten und dem göttlichen Subject iſt nur dieſer,
daß Dir das Subject, die Exiſtenz nicht als ein Anthropo-
morphismus erſcheint, weil in dieſem Deinem Subjectſein
die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Exiſtirendes,
ein Subject iſt, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis-
men erſcheinen, weil die Nothwendigkeit derſelben, die
Nothwendigkeit, daß Gott weiſe, gut, bewußt u. ſ. w. iſt, keine
unmittelbare, mit dem Sein des Menſchen identiſche, ſondern
durch ſein Selbſtbewußtſein, die Thätigkeit des Denkens ver-
mittelte Nothwendigkeit iſt. Subject bin ich, ich exiſtire, ich
mag weiſe oder unweiſe, gut oder ſchlecht ſein. Exiſtiren iſt
dem Menſchen das Erſte, das Subject in ſeiner Vorſtellung,
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/44>, abgerufen am 26.11.2024.
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