Vorstellungen von ihm machen. In Beziehung auf Gott, sagt man, sind diese Prädicate freilich ohne objective Bedeu- tung, aber für mich kann er, weil und wenn er für mich sein soll, nicht anders erscheinen als so, wie er mir erscheint, nämlich als ein menschliches oder doch menschenähnliches Wesen. Allein diese Unterscheidung zwischen dem, was Gott an sich und dem, was er für mich ist, zerstört den Frieden der Religion, und ist überdem an sich selbst eine grund- und haltungslose Distinction. Ich kann gar nicht wissen, ob Gott etwas andres an sich oder für sich ist, als er für mich ist; wie er für mich ist, so ist er Alles für mich. Für mich liegt eben in diesen Prädicaten, unter welchen er für mich ist, sein Ansichselbstsein, sein Wesen selbst; er ist für mich so, wie er für mich nur immer sein kann. Der religiöse Mensch ist in dem, was Gott in Bezug auf ihn ist -- von einer andern Beziehung weiß er als Mensch nichts -- vollkommen be- friedigt, denn Gott ist ihm, was er dem Menschen über- haupt sein kann. In jener Distinction setzt sich der Mensch über sich selbst, d. h. über sein Wesen, sein absolutes Maaß hinweg; aber diese Hinwegsetzung ist nur eine Illusion. Den Unterschied nämlich zwischen dem Gegenstande, wie er an sich, und dem Gegenstand, wie er für mich ist, kann ich nur da ma- chen, wo ein Gegenstand mir wirklich anders erscheinen kann, als er erscheint; aber nicht, wo er mir so erscheint, wie er mir nach meinem absoluten Maaße erscheint, wie er mir erscheinen muß. Wohl kann meine Vorstellung eine sub- jective sein, d. h. eine solche, an welche die Gattung nicht gebunden ist. Aber wenn meine Vorstellung dem Maaße der Gattung entspricht, so fällt die Unterscheidung zwischen An- sichsein und Fürmichsein weg; denn diese Vorstellung ist selbst
Vorſtellungen von ihm machen. In Beziehung auf Gott, ſagt man, ſind dieſe Prädicate freilich ohne objective Bedeu- tung, aber für mich kann er, weil und wenn er für mich ſein ſoll, nicht anders erſcheinen als ſo, wie er mir erſcheint, nämlich als ein menſchliches oder doch menſchenähnliches Weſen. Allein dieſe Unterſcheidung zwiſchen dem, was Gott an ſich und dem, was er für mich iſt, zerſtört den Frieden der Religion, und iſt überdem an ſich ſelbſt eine grund- und haltungsloſe Diſtinction. Ich kann gar nicht wiſſen, ob Gott etwas andres an ſich oder für ſich iſt, als er für mich iſt; wie er für mich iſt, ſo iſt er Alles für mich. Für mich liegt eben in dieſen Prädicaten, unter welchen er für mich iſt, ſein Anſichſelbſtſein, ſein Weſen ſelbſt; er iſt für mich ſo, wie er für mich nur immer ſein kann. Der religiöſe Menſch iſt in dem, was Gott in Bezug auf ihn iſt — von einer andern Beziehung weiß er als Menſch nichts — vollkommen be- friedigt, denn Gott iſt ihm, was er dem Menſchen über- haupt ſein kann. In jener Diſtinction ſetzt ſich der Menſch über ſich ſelbſt, d. h. über ſein Weſen, ſein abſolutes Maaß hinweg; aber dieſe Hinwegſetzung iſt nur eine Illuſion. Den Unterſchied nämlich zwiſchen dem Gegenſtande, wie er an ſich, und dem Gegenſtand, wie er für mich iſt, kann ich nur da ma- chen, wo ein Gegenſtand mir wirklich anders erſcheinen kann, als er erſcheint; aber nicht, wo er mir ſo erſcheint, wie er mir nach meinem abſoluten Maaße erſcheint, wie er mir erſcheinen muß. Wohl kann meine Vorſtellung eine ſub- jective ſein, d. h. eine ſolche, an welche die Gattung nicht gebunden iſt. Aber wenn meine Vorſtellung dem Maaße der Gattung entſpricht, ſo fällt die Unterſcheidung zwiſchen An- ſichſein und Fürmichſein weg; denn dieſe Vorſtellung iſt ſelbſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0041"n="23"/>
Vorſtellungen von ihm machen. In Beziehung auf Gott,<lb/>ſagt man, ſind dieſe Prädicate freilich ohne objective Bedeu-<lb/>
tung, aber für mich kann er, weil und wenn er für mich ſein<lb/>ſoll, nicht anders erſcheinen als ſo, wie er mir erſcheint,<lb/>
nämlich als ein menſchliches oder doch menſchenähnliches<lb/>
Weſen. Allein dieſe Unterſcheidung zwiſchen dem, was Gott<lb/><hirendition="#g">an ſich</hi> und dem, was er <hirendition="#g">für mich</hi> iſt, zerſtört den Frieden<lb/>
der Religion, und iſt überdem an ſich ſelbſt eine grund- und<lb/>
haltungsloſe Diſtinction. Ich kann gar nicht wiſſen, ob Gott<lb/>
etwas <hirendition="#g">andres</hi> an ſich oder für ſich iſt, als er <hirendition="#g">für mich</hi> iſt;<lb/><hirendition="#g">wie</hi> er für mich iſt, <hirendition="#g">ſo</hi> iſt er <hirendition="#g">Alles</hi> für mich. Für mich liegt<lb/>
eben in dieſen Prädicaten, unter welchen er für mich iſt, ſein<lb/>
Anſichſelbſtſein, ſein <hirendition="#g">Weſen</hi>ſelbſt; er iſt für mich ſo, wie er<lb/>
für mich nur immer ſein kann. Der religiöſe Menſch iſt in<lb/>
dem, was Gott in Bezug auf ihn iſt — von einer andern<lb/>
Beziehung weiß er als Menſch nichts —<hirendition="#g">vollkommen</hi> be-<lb/>
friedigt, denn Gott iſt ihm, was er dem Menſchen <hirendition="#g">über-<lb/>
haupt ſein kann</hi>. In jener Diſtinction ſetzt ſich der Menſch<lb/>
über ſich ſelbſt, d. h. über ſein Weſen, ſein abſolutes Maaß<lb/>
hinweg; aber dieſe Hinwegſetzung iſt nur eine Illuſion. Den<lb/>
Unterſchied nämlich zwiſchen dem Gegenſtande, wie er an ſich,<lb/>
und dem Gegenſtand, wie er für mich iſt, kann ich nur da ma-<lb/>
chen, wo ein Gegenſtand mir <hirendition="#g">wirklich anders</hi> erſcheinen<lb/><hirendition="#g">kann</hi>, als er erſcheint; aber nicht, wo er mir ſo erſcheint, wie<lb/>
er mir nach meinem <hirendition="#g">abſoluten Maaße</hi> erſcheint, wie er<lb/>
mir erſcheinen <hirendition="#g">muß</hi>. Wohl kann meine Vorſtellung eine ſub-<lb/>
jective ſein, d. h. eine ſolche, an welche die <hirendition="#g">Gattung</hi> nicht<lb/>
gebunden iſt. Aber wenn meine Vorſtellung dem Maaße der<lb/>
Gattung entſpricht, ſo fällt die Unterſcheidung zwiſchen An-<lb/>ſichſein und Fürmichſein weg; denn dieſe Vorſtellung iſt ſelbſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[23/0041]
Vorſtellungen von ihm machen. In Beziehung auf Gott,
ſagt man, ſind dieſe Prädicate freilich ohne objective Bedeu-
tung, aber für mich kann er, weil und wenn er für mich ſein
ſoll, nicht anders erſcheinen als ſo, wie er mir erſcheint,
nämlich als ein menſchliches oder doch menſchenähnliches
Weſen. Allein dieſe Unterſcheidung zwiſchen dem, was Gott
an ſich und dem, was er für mich iſt, zerſtört den Frieden
der Religion, und iſt überdem an ſich ſelbſt eine grund- und
haltungsloſe Diſtinction. Ich kann gar nicht wiſſen, ob Gott
etwas andres an ſich oder für ſich iſt, als er für mich iſt;
wie er für mich iſt, ſo iſt er Alles für mich. Für mich liegt
eben in dieſen Prädicaten, unter welchen er für mich iſt, ſein
Anſichſelbſtſein, ſein Weſen ſelbſt; er iſt für mich ſo, wie er
für mich nur immer ſein kann. Der religiöſe Menſch iſt in
dem, was Gott in Bezug auf ihn iſt — von einer andern
Beziehung weiß er als Menſch nichts — vollkommen be-
friedigt, denn Gott iſt ihm, was er dem Menſchen über-
haupt ſein kann. In jener Diſtinction ſetzt ſich der Menſch
über ſich ſelbſt, d. h. über ſein Weſen, ſein abſolutes Maaß
hinweg; aber dieſe Hinwegſetzung iſt nur eine Illuſion. Den
Unterſchied nämlich zwiſchen dem Gegenſtande, wie er an ſich,
und dem Gegenſtand, wie er für mich iſt, kann ich nur da ma-
chen, wo ein Gegenſtand mir wirklich anders erſcheinen
kann, als er erſcheint; aber nicht, wo er mir ſo erſcheint, wie
er mir nach meinem abſoluten Maaße erſcheint, wie er
mir erſcheinen muß. Wohl kann meine Vorſtellung eine ſub-
jective ſein, d. h. eine ſolche, an welche die Gattung nicht
gebunden iſt. Aber wenn meine Vorſtellung dem Maaße der
Gattung entſpricht, ſo fällt die Unterſcheidung zwiſchen An-
ſichſein und Fürmichſein weg; denn dieſe Vorſtellung iſt ſelbſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/41>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.