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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Brot und Wein. Wer nichts mitbringt, nimmt nichts mit
fort. Die specifische Differenz dieses Brotes von gemeinem
natürlichen beruht daher nur auf dem Unterschiede der Gesin-
nung beim Tische des Herrn von der Gesinnung bei irgend
einem andern Tische. "Welcher unwürdig isset und trinket,
der isset und trinket ihm selber das Gericht, daß er nicht un-
terscheidet
den Leib des Herrn *). Diese Gesinnung hängt
aber selbst wieder nur ab von der Bedeutung, die ich diesem
Brote gebe. Hat es für mich die Bedeutung, daß es nicht
Brot, sondern der Leib Christi selbst ist, so hat es auch nicht
die Wirkung von gemeinem Brote. In der Bedeutung liegt
die Wirkung. Ich esse nicht, um mich zu sättigen; ich ver-
zehre deßwegen nur ein geringes Quantum. So wird also
schon hinsichtlich der Quantität, die bei jedem andern mate-
riellen Genusse eine wesentliche Rolle spielt, die Bedeutung
gemeinen Brotes äußerlich beseitigt.

Aber diese Bedeutung existirt nur in der Phantasie;
den Sinnen nach bleibt der Wein Wein, das Brot Brot.
Die Scholastiker halfen sich darum mit der köstlichen Distinc-
tion von Substanz und Accidenzen. Alle Accidenzen, welche
die Natur von Wein und Brot constituiren, sind noch da;
nur das, was diese Accidenzen ausmachen, das Subject, die
Substanz fehlt, ist verwandelt in Fleisch und Blut. Aber alle
Eigenschaften zusammen, diese Einheit ist die Substanz selbst.
Was ist Wein und Brot, wenn ich ihnen die Eigenschaften
nehme, die sie zu dem machen, was sie sind? Nichts. Fleisch
und Blut haben daher keine objective Existenz: sonst müß-
ten sie ja auch den ungläubigen Sinnen Gegenstand sein.

*) 1. Korinther 11, 29.

Brot und Wein. Wer nichts mitbringt, nimmt nichts mit
fort. Die ſpecifiſche Differenz dieſes Brotes von gemeinem
natürlichen beruht daher nur auf dem Unterſchiede der Geſin-
nung beim Tiſche des Herrn von der Geſinnung bei irgend
einem andern Tiſche. „Welcher unwürdig iſſet und trinket,
der iſſet und trinket ihm ſelber das Gericht, daß er nicht un-
terſcheidet
den Leib des Herrn *). Dieſe Geſinnung hängt
aber ſelbſt wieder nur ab von der Bedeutung, die ich dieſem
Brote gebe. Hat es für mich die Bedeutung, daß es nicht
Brot, ſondern der Leib Chriſti ſelbſt iſt, ſo hat es auch nicht
die Wirkung von gemeinem Brote. In der Bedeutung liegt
die Wirkung. Ich eſſe nicht, um mich zu ſättigen; ich ver-
zehre deßwegen nur ein geringes Quantum. So wird alſo
ſchon hinſichtlich der Quantität, die bei jedem andern mate-
riellen Genuſſe eine weſentliche Rolle ſpielt, die Bedeutung
gemeinen Brotes äußerlich beſeitigt.

Aber dieſe Bedeutung exiſtirt nur in der Phantaſie;
den Sinnen nach bleibt der Wein Wein, das Brot Brot.
Die Scholaſtiker halfen ſich darum mit der köſtlichen Diſtinc-
tion von Subſtanz und Accidenzen. Alle Accidenzen, welche
die Natur von Wein und Brot conſtituiren, ſind noch da;
nur das, was dieſe Accidenzen ausmachen, das Subject, die
Subſtanz fehlt, iſt verwandelt in Fleiſch und Blut. Aber alle
Eigenſchaften zuſammen, dieſe Einheit iſt die Subſtanz ſelbſt.
Was iſt Wein und Brot, wenn ich ihnen die Eigenſchaften
nehme, die ſie zu dem machen, was ſie ſind? Nichts. Fleiſch
und Blut haben daher keine objective Exiſtenz: ſonſt müß-
ten ſie ja auch den ungläubigen Sinnen Gegenſtand ſein.

*) 1. Korinther 11, 29.
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[328/0346] Brot und Wein. Wer nichts mitbringt, nimmt nichts mit fort. Die ſpecifiſche Differenz dieſes Brotes von gemeinem natürlichen beruht daher nur auf dem Unterſchiede der Geſin- nung beim Tiſche des Herrn von der Geſinnung bei irgend einem andern Tiſche. „Welcher unwürdig iſſet und trinket, der iſſet und trinket ihm ſelber das Gericht, daß er nicht un- terſcheidet den Leib des Herrn *). Dieſe Geſinnung hängt aber ſelbſt wieder nur ab von der Bedeutung, die ich dieſem Brote gebe. Hat es für mich die Bedeutung, daß es nicht Brot, ſondern der Leib Chriſti ſelbſt iſt, ſo hat es auch nicht die Wirkung von gemeinem Brote. In der Bedeutung liegt die Wirkung. Ich eſſe nicht, um mich zu ſättigen; ich ver- zehre deßwegen nur ein geringes Quantum. So wird alſo ſchon hinſichtlich der Quantität, die bei jedem andern mate- riellen Genuſſe eine weſentliche Rolle ſpielt, die Bedeutung gemeinen Brotes äußerlich beſeitigt. Aber dieſe Bedeutung exiſtirt nur in der Phantaſie; den Sinnen nach bleibt der Wein Wein, das Brot Brot. Die Scholaſtiker halfen ſich darum mit der köſtlichen Diſtinc- tion von Subſtanz und Accidenzen. Alle Accidenzen, welche die Natur von Wein und Brot conſtituiren, ſind noch da; nur das, was dieſe Accidenzen ausmachen, das Subject, die Subſtanz fehlt, iſt verwandelt in Fleiſch und Blut. Aber alle Eigenſchaften zuſammen, dieſe Einheit iſt die Subſtanz ſelbſt. Was iſt Wein und Brot, wenn ich ihnen die Eigenſchaften nehme, die ſie zu dem machen, was ſie ſind? Nichts. Fleiſch und Blut haben daher keine objective Exiſtenz: ſonſt müß- ten ſie ja auch den ungläubigen Sinnen Gegenſtand ſein. *) 1. Korinther 11, 29.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/346>, abgerufen am 24.11.2024.