Derselbe Fall ist auch hier. Es ist ein wirklicher Leib da; aber es fehlen ihm die nothwendigen Prädicate der Wirklichkeit. Einen wirklichen Leib unterscheide ich von einem eingebildeten Leibe nur dadurch, daß jener leibliche Wirkungen, unwillkührliche Wirkungen auf mich macht. Wenn also das Brot der wirkliche Leib Gottes wäre, so müßte der Genuß desselben unmittelbar, unwillkührlich heilige Wirkungen in mir hervorbringen; ich brauchte keine besondere Vorbereitung zu treffen, keine heilige Gesinnung mitzubringen. Wenn ich einen Apfel esse, so bringt mir der Apfel von selbst den Geschmack des Apfels bei. Ich brauche nichts weiter als höchstens einen nicht überladnen Magen, um den Apfel als Apfel zu empfinden. Die Katho- liken fordern von Seiten des Körpers Nüchternheit als Be- dingung des Genusses des Abendmahls. Dieß ist genug. Mit meinen Lippen ergreife ich den Leib, mit meinen Zähnen zermalme ich ihn, mit meiner Speiseröhre bringe ich ihn in den Magen; ich assimilire mir ihn nicht geistig, sondern leib- lich. Warum sollen also seine Wirkungen nicht körperlich sein? Warum soll dieser Leib, der leiblichen, aber zugleich himmli- schen, übernatürlichen Wesens ist, nicht auch körperliche und doch zugleich heilige, übernatürliche Wirkungen in mir hervor- bringen? Wenn meine Gesinnung, mein Glaube erst den Leib zu einem mich heiligenden Leib macht, das trockne Brot in pneumatisch animalische Substanz transsubstanziirt, wozu brauche ich noch ein äußerliches Object? Ich selbst bringe ja die Wirkung des Leibes auf mich, also die Realität desselben hervor; ich werde von mir selbst afficirt. Wo ist die ob- jective Kraft und Wahrheit? Wer unwürdig das Abendmahl genießt, der hat nichts weiter als den physischen Genuß von
Derſelbe Fall iſt auch hier. Es iſt ein wirklicher Leib da; aber es fehlen ihm die nothwendigen Prädicate der Wirklichkeit. Einen wirklichen Leib unterſcheide ich von einem eingebildeten Leibe nur dadurch, daß jener leibliche Wirkungen, unwillkührliche Wirkungen auf mich macht. Wenn alſo das Brot der wirkliche Leib Gottes wäre, ſo müßte der Genuß deſſelben unmittelbar, unwillkührlich heilige Wirkungen in mir hervorbringen; ich brauchte keine beſondere Vorbereitung zu treffen, keine heilige Geſinnung mitzubringen. Wenn ich einen Apfel eſſe, ſo bringt mir der Apfel von ſelbſt den Geſchmack des Apfels bei. Ich brauche nichts weiter als höchſtens einen nicht überladnen Magen, um den Apfel als Apfel zu empfinden. Die Katho- liken fordern von Seiten des Körpers Nüchternheit als Be- dingung des Genuſſes des Abendmahls. Dieß iſt genug. Mit meinen Lippen ergreife ich den Leib, mit meinen Zähnen zermalme ich ihn, mit meiner Speiſeröhre bringe ich ihn in den Magen; ich aſſimilire mir ihn nicht geiſtig, ſondern leib- lich. Warum ſollen alſo ſeine Wirkungen nicht körperlich ſein? Warum ſoll dieſer Leib, der leiblichen, aber zugleich himmli- ſchen, übernatürlichen Weſens iſt, nicht auch körperliche und doch zugleich heilige, übernatürliche Wirkungen in mir hervor- bringen? Wenn meine Geſinnung, mein Glaube erſt den Leib zu einem mich heiligenden Leib macht, das trockne Brot in pneumatiſch animaliſche Subſtanz transſubſtanziirt, wozu brauche ich noch ein äußerliches Object? Ich ſelbſt bringe ja die Wirkung des Leibes auf mich, alſo die Realität deſſelben hervor; ich werde von mir ſelbſt afficirt. Wo iſt die ob- jective Kraft und Wahrheit? Wer unwürdig das Abendmahl genießt, der hat nichts weiter als den phyſiſchen Genuß von
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Derſelbe Fall iſt auch hier. Es iſt ein wirklicher Leib
da; aber es fehlen ihm die nothwendigen Prädicate der
Wirklichkeit. Einen wirklichen Leib unterſcheide ich von
einem eingebildeten Leibe nur dadurch, daß jener leibliche
Wirkungen, unwillkührliche Wirkungen auf mich macht.
Wenn alſo das Brot der wirkliche Leib Gottes wäre,
ſo müßte der Genuß deſſelben unmittelbar, unwillkührlich
heilige Wirkungen in mir hervorbringen; ich brauchte keine
beſondere Vorbereitung zu treffen, keine heilige Geſinnung
mitzubringen. Wenn ich einen Apfel eſſe, ſo bringt mir
der Apfel von ſelbſt den Geſchmack des Apfels bei. Ich
brauche nichts weiter als höchſtens einen nicht überladnen
Magen, um den Apfel als Apfel zu empfinden. Die Katho-
liken fordern von Seiten des Körpers Nüchternheit als Be-
dingung des Genuſſes des Abendmahls. Dieß iſt genug.
Mit meinen Lippen ergreife ich den Leib, mit meinen Zähnen
zermalme ich ihn, mit meiner Speiſeröhre bringe ich ihn in
den Magen; ich aſſimilire mir ihn nicht geiſtig, ſondern leib-
lich. Warum ſollen alſo ſeine Wirkungen nicht körperlich ſein?
Warum ſoll dieſer Leib, der leiblichen, aber zugleich himmli-
ſchen, übernatürlichen Weſens iſt, nicht auch körperliche und
doch zugleich heilige, übernatürliche Wirkungen in mir hervor-
bringen? Wenn meine Geſinnung, mein Glaube erſt den Leib
zu einem mich heiligenden Leib macht, das trockne Brot in
pneumatiſch animaliſche Subſtanz transſubſtanziirt, wozu
brauche ich noch ein äußerliches Object? Ich ſelbſt bringe ja
die Wirkung des Leibes auf mich, alſo die Realität deſſelben
hervor; ich werde von mir ſelbſt afficirt. Wo iſt die ob-
jective Kraft und Wahrheit? Wer unwürdig das Abendmahl
genießt, der hat nichts weiter als den phyſiſchen Genuß von
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/345>, abgerufen am 28.11.2024.
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