dem religiösen Atheismus Deines Herzens und zerstörst in diesem Schrecken die Einheit Deines Gefühls mit sich selbst, indem Du Dir ein vom Gefühl unterschiednes, objecti- ves Wesen vorspiegelst, und Dich so nothwendig wieder zu- rückwirfst in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott ist oder nicht ist? Fragen und Zweifel, die doch da verschwun- den, ja unmöglich sind, wo das Gefühl als das Wesen der Religion bestimmt wird. Das Gefühl ist Deine innigste und doch zugleich eine von Dir unterschiedene, unabhängige Macht, es ist in Dir über Dir: es ist selbst schon das Objective in Dir, Dein eigenstes Wesen, das Dich als und wie ein an- deres Wesen ergreift, kurz Dein Gott -- wie willst Du also von diesem objectiven Wesen in Dir noch ein an- deres objectives Wesen unterscheiden? wie über Dein Gefühl hinaus?
Das Gefühl wurde aber hier nur als Beispiel hervorge- hoben. Dieselbe Bewandtniß hat es mit jeder andern Kraft, Fähigkeit, Potenz, Realität, Thätigkeit -- der Name ist gleich- gültig -- welche man als das wesentliche Organ eines Gegenstandes bestimmt. Was subjectiv die Bedeutung des Wesens, das hat eben damit auch objectiv die Bedeutung des Wesens. Der Mensch kann nun einmal nicht über sein wahres Wesen hinaus. Wohl mag er sich vermittelst der Phantasie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorstel- len, aber von seiner Gattung, seinem Wesen kann er nimmer- mehr abstrahiren; die Wesensbestimmungen, die positiven letz- ten Prädicate, die er diesen andern Individuen gibt, sind im- mer aus seinem eignen Wesen geschöpfte Bestimmungen -- Bestimmungen, in denen er in Wahrheit nur sich selbst abbil- det und vergegenständlicht.
dem religiöſen Atheismus Deines Herzens und zerſtörſt in dieſem Schrecken die Einheit Deines Gefühls mit ſich ſelbſt, indem Du Dir ein vom Gefühl unterſchiednes, objecti- ves Weſen vorſpiegelſt, und Dich ſo nothwendig wieder zu- rückwirfſt in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott iſt oder nicht iſt? Fragen und Zweifel, die doch da verſchwun- den, ja unmöglich ſind, wo das Gefühl als das Weſen der Religion beſtimmt wird. Das Gefühl iſt Deine innigſte und doch zugleich eine von Dir unterſchiedene, unabhängige Macht, es iſt in Dir über Dir: es iſt ſelbſt ſchon das Objective in Dir, Dein eigenſtes Weſen, das Dich als und wie ein an- deres Weſen ergreift, kurz Dein Gott — wie willſt Du alſo von dieſem objectiven Weſen in Dir noch ein an- deres objectives Weſen unterſcheiden? wie über Dein Gefühl hinaus?
Das Gefühl wurde aber hier nur als Beiſpiel hervorge- hoben. Dieſelbe Bewandtniß hat es mit jeder andern Kraft, Fähigkeit, Potenz, Realität, Thätigkeit — der Name iſt gleich- gültig — welche man als das weſentliche Organ eines Gegenſtandes beſtimmt. Was ſubjectiv die Bedeutung des Weſens, das hat eben damit auch objectiv die Bedeutung des Weſens. Der Menſch kann nun einmal nicht über ſein wahres Weſen hinaus. Wohl mag er ſich vermittelſt der Phantaſie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorſtel- len, aber von ſeiner Gattung, ſeinem Weſen kann er nimmer- mehr abſtrahiren; die Weſensbeſtimmungen, die poſitiven letz- ten Prädicate, die er dieſen andern Individuen gibt, ſind im- mer aus ſeinem eignen Weſen geſchöpfte Beſtimmungen — Beſtimmungen, in denen er in Wahrheit nur ſich ſelbſt abbil- det und vergegenſtändlicht.
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dem religiöſen Atheismus Deines Herzens und zerſtörſt in
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rückwirfſt in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott iſt
oder nicht iſt? Fragen und Zweifel, die doch da verſchwun-
den, ja unmöglich ſind, wo das Gefühl als das Weſen der
Religion beſtimmt wird. Das Gefühl iſt Deine innigſte und
doch zugleich eine von Dir unterſchiedene, unabhängige Macht,
es iſt in Dir über Dir: es iſt ſelbſt ſchon das Objective in
Dir, Dein eigenſtes Weſen, das Dich als und wie ein an-
deres Weſen ergreift, kurz Dein Gott — wie willſt Du
alſo von dieſem objectiven Weſen in Dir noch ein an-
deres objectives Weſen unterſcheiden? wie über Dein Gefühl
hinaus?
Das Gefühl wurde aber hier nur als Beiſpiel hervorge-
hoben. Dieſelbe Bewandtniß hat es mit jeder andern Kraft,
Fähigkeit, Potenz, Realität, Thätigkeit — der Name iſt gleich-
gültig — welche man als das weſentliche Organ eines
Gegenſtandes beſtimmt. Was ſubjectiv die Bedeutung des
Weſens, das hat eben damit auch objectiv die Bedeutung
des Weſens. Der Menſch kann nun einmal nicht über ſein
wahres Weſen hinaus. Wohl mag er ſich vermittelſt der
Phantaſie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorſtel-
len, aber von ſeiner Gattung, ſeinem Weſen kann er nimmer-
mehr abſtrahiren; die Weſensbeſtimmungen, die poſitiven letz-
ten Prädicate, die er dieſen andern Individuen gibt, ſind im-
mer aus ſeinem eignen Weſen geſchöpfte Beſtimmungen —
Beſtimmungen, in denen er in Wahrheit nur ſich ſelbſt abbil-
det und vergegenſtändlicht.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/34>, abgerufen am 25.11.2024.
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