tasie. Dieß bestätigt vor Allem das unselige Zwittergeschöpf der Schelling'schen Identitätsphilosophie. Wenn wirklich Geist und Natur identisch sind, so ist die Wahrheit dieser Identität die Identität der Natur mit sich selber. Wir brauchen nichts weiter mehr als Natur: es gibt dann nicht mehr eine Natur- und Geistesphilosophie, sondern Alles ist Naturlehre. So nur bekommen wir ein System der Identität -- wahrer Identität im Gegensatze zu der scheinbaren, träumerischen Iden- titätslehre der Schelling'schen Philosophie, gleichwie wir nur dann ein wahres System der Identität des göttlichen und menschlichen Wesens bekommen, wenn wir nicht mehr eine be- sondre, von der Psychologie oder Anthropologie unterschiedne Religionsphilosophie oder Theologie haben, sondern die An- thropologie selbst als Theologie erkennen.
Die Religion realisirt oder verobjectivirt aber nicht nur das menschliche oder göttliche Wesen überhaupt als persönliches Wesen; sie realisirt auch die Grundbestimmungen oder Grund- unterschiede desselben wieder als Personen. Die Trinität ist daher ursprünglich nichts andres als der Inbegriff der wesentli- chen Grundunterschiede, welche der Mensch im Wesen des Menschen wahrnimmt. Je nachdem dieses erfaßt wird, je nachdem sind auch die Grundbestimmungen, worauf die Tri- nität gegründet wird, verschieden. So hat man in neuerer Zeit hauptsächlich die Trinität nur auf den Act des Bewußt- seins reducirt. Gott denkt sich, was Gott denkt, ist zwar auch Gedanke, aber als Gedanke Gottes zugleich Wesen. Das Wesentliche für uns ist aber hier nur dieß, daß Gedankenun-
taſie. Dieß beſtätigt vor Allem das unſelige Zwittergeſchöpf der Schelling’ſchen Identitätsphiloſophie. Wenn wirklich Geiſt und Natur identiſch ſind, ſo iſt die Wahrheit dieſer Identität die Identität der Natur mit ſich ſelber. Wir brauchen nichts weiter mehr als Natur: es gibt dann nicht mehr eine Natur- und Geiſtesphiloſophie, ſondern Alles iſt Naturlehre. So nur bekommen wir ein Syſtem der Identität — wahrer Identität im Gegenſatze zu der ſcheinbaren, träumeriſchen Iden- titätslehre der Schelling’ſchen Philoſophie, gleichwie wir nur dann ein wahres Syſtem der Identität des göttlichen und menſchlichen Weſens bekommen, wenn wir nicht mehr eine be- ſondre, von der Pſychologie oder Anthropologie unterſchiedne Religionsphiloſophie oder Theologie haben, ſondern die An- thropologie ſelbſt als Theologie erkennen.
Die Religion realiſirt oder verobjectivirt aber nicht nur das menſchliche oder göttliche Weſen überhaupt als perſönliches Weſen; ſie realiſirt auch die Grundbeſtimmungen oder Grund- unterſchiede deſſelben wieder als Perſonen. Die Trinität iſt daher urſprünglich nichts andres als der Inbegriff der weſentli- chen Grundunterſchiede, welche der Menſch im Weſen des Menſchen wahrnimmt. Je nachdem dieſes erfaßt wird, je nachdem ſind auch die Grundbeſtimmungen, worauf die Tri- nität gegründet wird, verſchieden. So hat man in neuerer Zeit hauptſächlich die Trinität nur auf den Act des Bewußt- ſeins reducirt. Gott denkt ſich, was Gott denkt, iſt zwar auch Gedanke, aber als Gedanke Gottes zugleich Weſen. Das Weſentliche für uns iſt aber hier nur dieß, daß Gedankenun-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0332"n="314"/><hirendition="#g">taſie</hi>. Dieß beſtätigt vor Allem das unſelige Zwittergeſchöpf<lb/>
der Schelling’ſchen Identitätsphiloſophie. Wenn wirklich Geiſt<lb/>
und Natur identiſch ſind, ſo iſt die Wahrheit dieſer Identität<lb/>
die <hirendition="#g">Identität der Natur mit ſich ſelber</hi>. Wir brauchen<lb/>
nichts weiter mehr als Natur: es gibt dann nicht mehr eine<lb/>
Natur- <hirendition="#g">und</hi> Geiſtesphiloſophie, ſondern Alles iſt Naturlehre.<lb/>
So nur bekommen wir ein Syſtem der Identität — wahrer<lb/>
Identität im Gegenſatze zu der ſcheinbaren, träumeriſchen Iden-<lb/>
titätslehre der Schelling’ſchen Philoſophie, gleichwie wir nur<lb/>
dann ein <hirendition="#g">wahres</hi> Syſtem der Identität des göttlichen und<lb/>
menſchlichen Weſens bekommen, wenn wir nicht mehr eine be-<lb/>ſondre, von der Pſychologie oder Anthropologie unterſchiedne<lb/>
Religionsphiloſophie oder Theologie haben, ſondern die An-<lb/>
thropologie ſelbſt als Theologie erkennen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Die Religion realiſirt oder verobjectivirt aber nicht nur<lb/>
das menſchliche oder göttliche Weſen überhaupt als perſönliches<lb/>
Weſen; ſie realiſirt auch die Grundbeſtimmungen oder Grund-<lb/>
unterſchiede deſſelben wieder als Perſonen. Die Trinität iſt<lb/>
daher urſprünglich nichts andres als der Inbegriff der weſentli-<lb/>
chen Grundunterſchiede, welche der Menſch im Weſen des<lb/>
Menſchen wahrnimmt. Je nachdem dieſes erfaßt wird, je<lb/>
nachdem ſind auch die Grundbeſtimmungen, worauf die Tri-<lb/>
nität gegründet wird, verſchieden. So hat man in neuerer<lb/>
Zeit hauptſächlich die Trinität nur auf den Act des Bewußt-<lb/>ſeins reducirt. Gott denkt ſich, was Gott denkt, iſt zwar auch<lb/>
Gedanke, aber als Gedanke Gottes zugleich Weſen. Das<lb/>
Weſentliche für uns iſt aber hier nur dieß, daß Gedankenun-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[314/0332]
taſie. Dieß beſtätigt vor Allem das unſelige Zwittergeſchöpf
der Schelling’ſchen Identitätsphiloſophie. Wenn wirklich Geiſt
und Natur identiſch ſind, ſo iſt die Wahrheit dieſer Identität
die Identität der Natur mit ſich ſelber. Wir brauchen
nichts weiter mehr als Natur: es gibt dann nicht mehr eine
Natur- und Geiſtesphiloſophie, ſondern Alles iſt Naturlehre.
So nur bekommen wir ein Syſtem der Identität — wahrer
Identität im Gegenſatze zu der ſcheinbaren, träumeriſchen Iden-
titätslehre der Schelling’ſchen Philoſophie, gleichwie wir nur
dann ein wahres Syſtem der Identität des göttlichen und
menſchlichen Weſens bekommen, wenn wir nicht mehr eine be-
ſondre, von der Pſychologie oder Anthropologie unterſchiedne
Religionsphiloſophie oder Theologie haben, ſondern die An-
thropologie ſelbſt als Theologie erkennen.
Die Religion realiſirt oder verobjectivirt aber nicht nur
das menſchliche oder göttliche Weſen überhaupt als perſönliches
Weſen; ſie realiſirt auch die Grundbeſtimmungen oder Grund-
unterſchiede deſſelben wieder als Perſonen. Die Trinität iſt
daher urſprünglich nichts andres als der Inbegriff der weſentli-
chen Grundunterſchiede, welche der Menſch im Weſen des
Menſchen wahrnimmt. Je nachdem dieſes erfaßt wird, je
nachdem ſind auch die Grundbeſtimmungen, worauf die Tri-
nität gegründet wird, verſchieden. So hat man in neuerer
Zeit hauptſächlich die Trinität nur auf den Act des Bewußt-
ſeins reducirt. Gott denkt ſich, was Gott denkt, iſt zwar auch
Gedanke, aber als Gedanke Gottes zugleich Weſen. Das
Weſentliche für uns iſt aber hier nur dieß, daß Gedankenun-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/332>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.