eine menschliche Persönlichkeit, indem man sein Denken in ihm einschließt, das Gedachtwerden von ihm ausschließt, als in ein andres Wesen fallend. Diese Gleichgültigkeit gegen uns, gegen unser Denken ist das Zeugniß seiner selbststän- digen, d. i. äußerlichen, persönlichen Existenz. Die Re- ligion macht allerdings auch das Gedachtwerden Gottes zum Selbstdenken Gottes; aber weil dieser Proceß hinter ihrem Bewußtsein vorgeht, indem Gott unmittelbar vorausgesetzt ist als ein für sich existirendes, persönliches Wesen, so fällt in ihr Bewußtsein nur die Gleichgültigkeit der beiden Seiten. Die Speculation aber identificirt, was die Religion entzweit.
Da der Speculation zufolge das Gedachtwerden Gottes mit seinem Selbstdenken zusammenfällt, so fällt in der Wahr- heit beides in ein und dasselbe Wesen. Gott wird uns hier vindicirt, zurückgegeben als unser eignes Wesen: er wird von uns gedacht, von uns gewußt, und dieses Denken, dieses Wissen ist sein eignes Wissen und Denken, unsre subjective Thätigkeit objective Thätigkeit, unser Wesen also Gottes Wesen. Es wird hier also eingestanden, was die Religion ver- schweigt, durch die Phantasie umgeht, aber so, daß dieses Eingeständniß der Speculation selbst noch nur ein indirectes, unklares, unvollkommnes ist; denn es wird zugleich noch Gott im religiösen Sinne festgehalten, Gott als ein objectives, von uns unterschiednes Wesen gesetzt. Es ist daher außeror- dentlich schwer, diesen Gedanken der Speculation zu fassen, weil das göttliche und das menschliche Wesen doch noch als zwei Wesen vorgestellt werden und das Bewußtsein des Einen das Selbstbewußtsein des Andern sein soll, während doch das Selbstbewußtsein die innigste, einfachste Identität eines Wesens
eine menſchliche Perſönlichkeit, indem man ſein Denken in ihm einſchließt, das Gedachtwerden von ihm ausſchließt, als in ein andres Weſen fallend. Dieſe Gleichgültigkeit gegen uns, gegen unſer Denken iſt das Zeugniß ſeiner ſelbſtſtän- digen, d. i. äußerlichen, perſönlichen Exiſtenz. Die Re- ligion macht allerdings auch das Gedachtwerden Gottes zum Selbſtdenken Gottes; aber weil dieſer Proceß hinter ihrem Bewußtſein vorgeht, indem Gott unmittelbar vorausgeſetzt iſt als ein für ſich exiſtirendes, perſönliches Weſen, ſo fällt in ihr Bewußtſein nur die Gleichgültigkeit der beiden Seiten. Die Speculation aber identificirt, was die Religion entzweit.
Da der Speculation zufolge das Gedachtwerden Gottes mit ſeinem Selbſtdenken zuſammenfällt, ſo fällt in der Wahr- heit beides in ein und daſſelbe Weſen. Gott wird uns hier vindicirt, zurückgegeben als unſer eignes Weſen: er wird von uns gedacht, von uns gewußt, und dieſes Denken, dieſes Wiſſen iſt ſein eignes Wiſſen und Denken, unſre ſubjective Thätigkeit objective Thätigkeit, unſer Weſen alſo Gottes Weſen. Es wird hier alſo eingeſtanden, was die Religion ver- ſchweigt, durch die Phantaſie umgeht, aber ſo, daß dieſes Eingeſtändniß der Speculation ſelbſt noch nur ein indirectes, unklares, unvollkommnes iſt; denn es wird zugleich noch Gott im religiöſen Sinne feſtgehalten, Gott als ein objectives, von uns unterſchiednes Weſen geſetzt. Es iſt daher außeror- dentlich ſchwer, dieſen Gedanken der Speculation zu faſſen, weil das göttliche und das menſchliche Weſen doch noch als zwei Weſen vorgeſtellt werden und das Bewußtſein des Einen das Selbſtbewußtſein des Andern ſein ſoll, während doch das Selbſtbewußtſein die innigſte, einfachſte Identität eines Weſens
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0329"n="311"/>
eine menſchliche Perſönlichkeit, indem man ſein Denken in ihm<lb/><hirendition="#g">einſchließt</hi>, das Gedachtwerden von ihm <hirendition="#g">ausſchließt</hi>, als<lb/>
in ein <hirendition="#g">andres</hi> Weſen fallend. Dieſe Gleichgültigkeit gegen<lb/>
uns, gegen unſer Denken iſt das Zeugniß ſeiner <hirendition="#g">ſelbſtſtän-<lb/>
digen, d. i. äußerlichen, perſönlichen</hi> Exiſtenz. Die Re-<lb/>
ligion macht allerdings auch das Gedachtwerden Gottes zum<lb/>
Selbſtdenken Gottes; aber weil dieſer Proceß <hirendition="#g">hinter</hi> ihrem<lb/>
Bewußtſein vorgeht, indem Gott <hirendition="#g">unmittelbar</hi> vorausgeſetzt<lb/>
iſt als ein für ſich exiſtirendes, perſönliches Weſen, ſo fällt<lb/>
in ihr <hirendition="#g">Bewußtſein</hi> nur die Gleichgültigkeit der beiden<lb/>
Seiten. Die Speculation aber identificirt, was die Religion<lb/>
entzweit.</p><lb/><p>Da der Speculation zufolge das Gedachtwerden Gottes<lb/>
mit ſeinem Selbſtdenken zuſammenfällt, ſo fällt in der Wahr-<lb/>
heit beides in <hirendition="#g">ein und daſſelbe Weſen</hi>. Gott wird uns<lb/>
hier vindicirt, zurückgegeben als unſer eignes Weſen: er wird<lb/>
von uns gedacht, von uns gewußt, und dieſes Denken, dieſes<lb/>
Wiſſen iſt ſein eignes Wiſſen und Denken, unſre ſubjective<lb/>
Thätigkeit objective Thätigkeit, unſer Weſen alſo Gottes Weſen.<lb/>
Es wird hier alſo <hirendition="#g">eingeſtanden</hi>, was die Religion <hirendition="#g">ver-<lb/>ſchweigt</hi>, durch die Phantaſie umgeht, aber ſo, daß dieſes<lb/>
Eingeſtändniß der Speculation ſelbſt noch nur ein <hirendition="#g">indirectes,<lb/>
unklares, unvollkommnes</hi> iſt; denn es wird zugleich noch<lb/>
Gott im religiöſen Sinne feſtgehalten, Gott als ein objectives,<lb/>
von uns unterſchiednes Weſen geſetzt. Es iſt daher außeror-<lb/>
dentlich ſchwer, dieſen Gedanken der Speculation zu faſſen,<lb/>
weil das göttliche und das menſchliche Weſen doch noch als<lb/><hirendition="#g">zwei Weſen</hi> vorgeſtellt werden und das Bewußtſein des Einen<lb/>
das Selbſtbewußtſein des Andern ſein ſoll, während doch das<lb/>
Selbſtbewußtſein die innigſte, einfachſte Identität eines Weſens<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[311/0329]
eine menſchliche Perſönlichkeit, indem man ſein Denken in ihm
einſchließt, das Gedachtwerden von ihm ausſchließt, als
in ein andres Weſen fallend. Dieſe Gleichgültigkeit gegen
uns, gegen unſer Denken iſt das Zeugniß ſeiner ſelbſtſtän-
digen, d. i. äußerlichen, perſönlichen Exiſtenz. Die Re-
ligion macht allerdings auch das Gedachtwerden Gottes zum
Selbſtdenken Gottes; aber weil dieſer Proceß hinter ihrem
Bewußtſein vorgeht, indem Gott unmittelbar vorausgeſetzt
iſt als ein für ſich exiſtirendes, perſönliches Weſen, ſo fällt
in ihr Bewußtſein nur die Gleichgültigkeit der beiden
Seiten. Die Speculation aber identificirt, was die Religion
entzweit.
Da der Speculation zufolge das Gedachtwerden Gottes
mit ſeinem Selbſtdenken zuſammenfällt, ſo fällt in der Wahr-
heit beides in ein und daſſelbe Weſen. Gott wird uns
hier vindicirt, zurückgegeben als unſer eignes Weſen: er wird
von uns gedacht, von uns gewußt, und dieſes Denken, dieſes
Wiſſen iſt ſein eignes Wiſſen und Denken, unſre ſubjective
Thätigkeit objective Thätigkeit, unſer Weſen alſo Gottes Weſen.
Es wird hier alſo eingeſtanden, was die Religion ver-
ſchweigt, durch die Phantaſie umgeht, aber ſo, daß dieſes
Eingeſtändniß der Speculation ſelbſt noch nur ein indirectes,
unklares, unvollkommnes iſt; denn es wird zugleich noch
Gott im religiöſen Sinne feſtgehalten, Gott als ein objectives,
von uns unterſchiednes Weſen geſetzt. Es iſt daher außeror-
dentlich ſchwer, dieſen Gedanken der Speculation zu faſſen,
weil das göttliche und das menſchliche Weſen doch noch als
zwei Weſen vorgeſtellt werden und das Bewußtſein des Einen
das Selbſtbewußtſein des Andern ſein ſoll, während doch das
Selbſtbewußtſein die innigſte, einfachſte Identität eines Weſens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/329>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.