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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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sönlichkeit schlägt sich die religiöse Reflexion die Identität
des göttlichen und menschlichen Wesens aus dem Kopfe.
Der rohe, aber immerhin bezeichnende Ausdruck des Pantheis-
mus' ist: der Mensch ist ein Ausfluß oder Theil des göttli-
chen Wesens; der religiöse dagegen: der Mensch ist ein Bild
Gottes; oder auch: ein Gott verwandtes Wesen; denn der
Mensch stammt der Religion zufolge nicht aus der Natur, son-
dern ist göttlichen Geschlechts, göttlicher Abkunft. Verwandt-
schaft ist aber ein unbestimmter, ausweichender Ausdruck. Es
gibt Grade der Verwandtschaft -- nahe und ferne Verwandt-
schaft. Was für eine Verwandtschaft ist gemeint? Für das
Verhältniß des Menschen zu Gott im Sinne der Religion
paßt jedoch nur ein einziges Verwandtschaftsverhältniß --
das nächste, innigste, heiligste, das sich nur immer vorstellen
läßt -- das Verhältniß des Kindes zum Vater. Gott und
Mensch unterscheiden sich demnach also: Gott ist der Vater
des Menschen, der Mensch der Sohn, das Kind Gottes.
Hier ist zugleich die Selbstständigkeit Gottes und die Abhän-
gigkeit des Menschen, und zwar unmittelbar als ein Gegen-
stand des Gefühls gesetzt, während im Pantheismus der Theil
eben so selbstständig erscheint als das Ganze, welches als ein
aus seinen Theilen Zusammengesetztes vorgestellt wird. Aber
gleichwohl ist dieser Unterschied nur ein Schein. Der Vater
ist nicht Vater ohne Kind; beide zusammen bilden ein gemein-
schaftliches Wesen. In der Liebe gibt eben der Mensch seine
Selbstständigkeit auf, sich zu einem Theile herabsetzend --
eine Selbsterniedrigung, eine Selbstdemüthigung, die nur da-
durch sich ausgleicht, daß der Andere sich gleichfalls zu einem
Theile herabsetzt, daß sich beide einer höhern Macht -- der
Macht des Familiengeistes, der Liebe unterwerfen. Es findet

Feuerbach. 20

ſönlichkeit ſchlägt ſich die religiöſe Reflexion die Identität
des göttlichen und menſchlichen Weſens aus dem Kopfe.
Der rohe, aber immerhin bezeichnende Ausdruck des Pantheis-
mus’ iſt: der Menſch iſt ein Ausfluß oder Theil des göttli-
chen Weſens; der religiöſe dagegen: der Menſch iſt ein Bild
Gottes; oder auch: ein Gott verwandtes Weſen; denn der
Menſch ſtammt der Religion zufolge nicht aus der Natur, ſon-
dern iſt göttlichen Geſchlechts, göttlicher Abkunft. Verwandt-
ſchaft iſt aber ein unbeſtimmter, ausweichender Ausdruck. Es
gibt Grade der Verwandtſchaft — nahe und ferne Verwandt-
ſchaft. Was für eine Verwandtſchaft iſt gemeint? Für das
Verhältniß des Menſchen zu Gott im Sinne der Religion
paßt jedoch nur ein einziges Verwandtſchaftsverhältniß —
das nächſte, innigſte, heiligſte, das ſich nur immer vorſtellen
läßt — das Verhältniß des Kindes zum Vater. Gott und
Menſch unterſcheiden ſich demnach alſo: Gott iſt der Vater
des Menſchen, der Menſch der Sohn, das Kind Gottes.
Hier iſt zugleich die Selbſtſtändigkeit Gottes und die Abhän-
gigkeit des Menſchen, und zwar unmittelbar als ein Gegen-
ſtand des Gefühls geſetzt, während im Pantheismus der Theil
eben ſo ſelbſtſtändig erſcheint als das Ganze, welches als ein
aus ſeinen Theilen Zuſammengeſetztes vorgeſtellt wird. Aber
gleichwohl iſt dieſer Unterſchied nur ein Schein. Der Vater
iſt nicht Vater ohne Kind; beide zuſammen bilden ein gemein-
ſchaftliches Weſen. In der Liebe gibt eben der Menſch ſeine
Selbſtſtändigkeit auf, ſich zu einem Theile herabſetzend —
eine Selbſterniedrigung, eine Selbſtdemüthigung, die nur da-
durch ſich ausgleicht, daß der Andere ſich gleichfalls zu einem
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Macht des Familiengeiſtes, der Liebe unterwerfen. Es findet

Feuerbach. 20
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[305/0323] ſönlichkeit ſchlägt ſich die religiöſe Reflexion die Identität des göttlichen und menſchlichen Weſens aus dem Kopfe. Der rohe, aber immerhin bezeichnende Ausdruck des Pantheis- mus’ iſt: der Menſch iſt ein Ausfluß oder Theil des göttli- chen Weſens; der religiöſe dagegen: der Menſch iſt ein Bild Gottes; oder auch: ein Gott verwandtes Weſen; denn der Menſch ſtammt der Religion zufolge nicht aus der Natur, ſon- dern iſt göttlichen Geſchlechts, göttlicher Abkunft. Verwandt- ſchaft iſt aber ein unbeſtimmter, ausweichender Ausdruck. Es gibt Grade der Verwandtſchaft — nahe und ferne Verwandt- ſchaft. Was für eine Verwandtſchaft iſt gemeint? Für das Verhältniß des Menſchen zu Gott im Sinne der Religion paßt jedoch nur ein einziges Verwandtſchaftsverhältniß — das nächſte, innigſte, heiligſte, das ſich nur immer vorſtellen läßt — das Verhältniß des Kindes zum Vater. Gott und Menſch unterſcheiden ſich demnach alſo: Gott iſt der Vater des Menſchen, der Menſch der Sohn, das Kind Gottes. Hier iſt zugleich die Selbſtſtändigkeit Gottes und die Abhän- gigkeit des Menſchen, und zwar unmittelbar als ein Gegen- ſtand des Gefühls geſetzt, während im Pantheismus der Theil eben ſo ſelbſtſtändig erſcheint als das Ganze, welches als ein aus ſeinen Theilen Zuſammengeſetztes vorgeſtellt wird. Aber gleichwohl iſt dieſer Unterſchied nur ein Schein. Der Vater iſt nicht Vater ohne Kind; beide zuſammen bilden ein gemein- ſchaftliches Weſen. In der Liebe gibt eben der Menſch ſeine Selbſtſtändigkeit auf, ſich zu einem Theile herabſetzend — eine Selbſterniedrigung, eine Selbſtdemüthigung, die nur da- durch ſich ausgleicht, daß der Andere ſich gleichfalls zu einem Theile herabſetzt, daß ſich beide einer höhern Macht — der Macht des Familiengeiſtes, der Liebe unterwerfen. Es findet Feuerbach. 20

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/323>, abgerufen am 28.11.2024.