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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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der Flöte von keinem andern Blasinstrument je etwas gehört
und gesehen hast, so wird es Dir freilich unbegreiflich sein,
wie aus der Flöte ein solcher Ton hervorkommen kann. So
ist es auch hier -- nur ist das Gleichniß insofern unpassend,
als die Flöte selbst ein bestimmtes Instrument ist. Aber stelle
Dir vor, wenn es möglich, ein schlechthin universales Instru-
ment, welches alle Instrumente in sich vereinigte, ohne selbst
ein bestimmtes zu sein, so wirst Du einsehen, daß es ein
thörichter Widerspruch ist, einen bestimmten Ton, der nur
einem bestimmten Instrument angehört, von einem Instrument
zu verlangen, wovon Du eben das Charakteristische aller be-
stimmten Instrumente weggelassen.

Es liegt aber zugleich dieser Unbegreiflichkeit der Zweck
zu Grunde, die göttliche Thätigkeit der menschlichen zu ent-
fremden, die Aehnlichkeit, Gleichförmigkeit oder vielmehr we-
sentliche Identität derselben mit der menschlichen zu beseitigen,
um sie zu einer wesentlich andern Thätigkeit zu machen.
Dieser Unterschied zwischen der göttlichen und menschlichen
Thätigkeit ist das Nichts. Gott macht -- er macht außer
sich Etwas, wie der Mensch. Machen ist ein ächt, ein grund-
menschlicher Begriff. Die Natur zeugt, bringt hervor, der
Mensch macht. Machen ist ein Thun, das ich unterlassen
kann, ein absichtliches, vorsätzliches, äußerliches Thun -- ein
Thun, bei dem nicht unmittelbar mein eigenstes innerstes We-
sen betheiligt ist, ich nicht zugleich leidend, angegriffen bin.
Eine nicht gleichgültige Thätigkeit dagegen ist eine mit mei-
nem Wesen identische, mir nothwendige, wie die geistige
Production, die mir ein inneres Bedürfniß ist und eben deß-
wegen mich aufs tiefste ergreift, pathologisch afficirt. Geistige
Werke werden nicht gemacht -- das Machen ist nur die äu-

der Flöte von keinem andern Blasinſtrument je etwas gehört
und geſehen haſt, ſo wird es Dir freilich unbegreiflich ſein,
wie aus der Flöte ein ſolcher Ton hervorkommen kann. So
iſt es auch hier — nur iſt das Gleichniß inſofern unpaſſend,
als die Flöte ſelbſt ein beſtimmtes Inſtrument iſt. Aber ſtelle
Dir vor, wenn es möglich, ein ſchlechthin univerſales Inſtru-
ment, welches alle Inſtrumente in ſich vereinigte, ohne ſelbſt
ein beſtimmtes zu ſein, ſo wirſt Du einſehen, daß es ein
thörichter Widerſpruch iſt, einen beſtimmten Ton, der nur
einem beſtimmten Inſtrument angehört, von einem Inſtrument
zu verlangen, wovon Du eben das Charakteriſtiſche aller be-
ſtimmten Inſtrumente weggelaſſen.

Es liegt aber zugleich dieſer Unbegreiflichkeit der Zweck
zu Grunde, die göttliche Thätigkeit der menſchlichen zu ent-
fremden, die Aehnlichkeit, Gleichförmigkeit oder vielmehr we-
ſentliche Identität derſelben mit der menſchlichen zu beſeitigen,
um ſie zu einer weſentlich andern Thätigkeit zu machen.
Dieſer Unterſchied zwiſchen der göttlichen und menſchlichen
Thätigkeit iſt das Nichts. Gott macht — er macht außer
ſich Etwas, wie der Menſch. Machen iſt ein ächt, ein grund-
menſchlicher Begriff. Die Natur zeugt, bringt hervor, der
Menſch macht. Machen iſt ein Thun, das ich unterlaſſen
kann, ein abſichtliches, vorſätzliches, äußerliches Thun — ein
Thun, bei dem nicht unmittelbar mein eigenſtes innerſtes We-
ſen betheiligt iſt, ich nicht zugleich leidend, angegriffen bin.
Eine nicht gleichgültige Thätigkeit dagegen iſt eine mit mei-
nem Weſen identiſche, mir nothwendige, wie die geiſtige
Production, die mir ein inneres Bedürfniß iſt und eben deß-
wegen mich aufs tiefſte ergreift, pathologiſch afficirt. Geiſtige
Werke werden nicht gemacht — das Machen iſt nur die äu-

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[300/0318] der Flöte von keinem andern Blasinſtrument je etwas gehört und geſehen haſt, ſo wird es Dir freilich unbegreiflich ſein, wie aus der Flöte ein ſolcher Ton hervorkommen kann. So iſt es auch hier — nur iſt das Gleichniß inſofern unpaſſend, als die Flöte ſelbſt ein beſtimmtes Inſtrument iſt. Aber ſtelle Dir vor, wenn es möglich, ein ſchlechthin univerſales Inſtru- ment, welches alle Inſtrumente in ſich vereinigte, ohne ſelbſt ein beſtimmtes zu ſein, ſo wirſt Du einſehen, daß es ein thörichter Widerſpruch iſt, einen beſtimmten Ton, der nur einem beſtimmten Inſtrument angehört, von einem Inſtrument zu verlangen, wovon Du eben das Charakteriſtiſche aller be- ſtimmten Inſtrumente weggelaſſen. Es liegt aber zugleich dieſer Unbegreiflichkeit der Zweck zu Grunde, die göttliche Thätigkeit der menſchlichen zu ent- fremden, die Aehnlichkeit, Gleichförmigkeit oder vielmehr we- ſentliche Identität derſelben mit der menſchlichen zu beſeitigen, um ſie zu einer weſentlich andern Thätigkeit zu machen. Dieſer Unterſchied zwiſchen der göttlichen und menſchlichen Thätigkeit iſt das Nichts. Gott macht — er macht außer ſich Etwas, wie der Menſch. Machen iſt ein ächt, ein grund- menſchlicher Begriff. Die Natur zeugt, bringt hervor, der Menſch macht. Machen iſt ein Thun, das ich unterlaſſen kann, ein abſichtliches, vorſätzliches, äußerliches Thun — ein Thun, bei dem nicht unmittelbar mein eigenſtes innerſtes We- ſen betheiligt iſt, ich nicht zugleich leidend, angegriffen bin. Eine nicht gleichgültige Thätigkeit dagegen iſt eine mit mei- nem Weſen identiſche, mir nothwendige, wie die geiſtige Production, die mir ein inneres Bedürfniß iſt und eben deß- wegen mich aufs tiefſte ergreift, pathologiſch afficirt. Geiſtige Werke werden nicht gemacht — das Machen iſt nur die äu-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/318>, abgerufen am 24.11.2024.