Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.nicht das geistlose Punctum, welches die Reflexion so oft setzt, *) Dieß zeigt sich besonders auch in dem Superlativ und in der Prä-
position: Ueber, uper, die den göttlichen Prädicaten vorgesetzt werden und von jeher -- wie z. B. bei den Neuplatonikern, den Christen unter den heid- nischen Philosophen -- eine Hauptrolle in der Theologie spielten. nicht das geiſtloſe Punctum, welches die Reflexion ſo oft ſetzt, *) Dieß zeigt ſich beſonders auch in dem Superlativ und in der Prä-
poſition: Ueber, ὑπεϱ, die den göttlichen Prädicaten vorgeſetzt werden und von jeher — wie z. B. bei den Neuplatonikern, den Chriſten unter den heid- niſchen Philoſophen — eine Hauptrolle in der Theologie ſpielten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0310" n="292"/> nicht das geiſtloſe Punctum, welches die Reflexion ſo oft ſetzt,<lb/> als ihr der Verſtand ausgeht, ſondern ein pathetiſches Aus-<lb/> rufungszeichen von dem Eindruck, welchen die Phantaſie auf<lb/> das Gemüth macht. Die Phantaſie iſt das urſprüngliche<lb/> Organ und Weſen der Religion. Im urſprünglichen Sinne<lb/> der Religion iſt zwiſchen Gott und Menſch einerſeits nur ein<lb/> Unterſchied der <hi rendition="#g">Exiſtenz</hi> nach, inwiefern Gott als ſelbſtſtän-<lb/> diges Weſen dem Menſchen gegenüberſteht, andererſeits nur<lb/> ein <hi rendition="#g">quantitativer</hi>, d. h. ein Unterſchied der <hi rendition="#g">Phantaſie<lb/> nach</hi>, denn die Unterſchiede der Phantaſie ſind nur quantita-<lb/> tive. Die Unendlichkeit Gottes in der Religion iſt <hi rendition="#g">quanti-<lb/> tative</hi> Unendlichkeit. Gott iſt und hat Alles, was der<lb/> Menſch, aber in unendlich vergrößertem Maaßſtabe — daher<lb/> der entzückende Eindruck, den die religiöſen Vorſtellungen auf<lb/> das Gemüth machen. <hi rendition="#g">Gottes Weſen</hi> iſt das <hi rendition="#g">explicirte,<lb/> objective</hi> oder vergegenſtändlichte <hi rendition="#g">Weſen der Phanta-<lb/> ſie</hi><note place="foot" n="*)">Dieß zeigt ſich beſonders auch in dem Superlativ und in der Prä-<lb/> poſition: Ueber, ὑπεϱ, die den göttlichen Prädicaten vorgeſetzt werden und<lb/> von jeher — wie z. B. bei den Neuplatonikern, den Chriſten unter den heid-<lb/> niſchen Philoſophen — eine Hauptrolle in der Theologie ſpielten.</note>. Gott iſt ein <hi rendition="#g">ſinnliches Weſen</hi>, aber befreit von den<lb/><hi rendition="#g">Schranken der Sinnlichkeit</hi> — das <hi rendition="#g">unbeſchränkte ſinn-<lb/> liche Weſen</hi>. Aber was iſt die Phantaſie? — die ſchran-<lb/> kenloſe, die <hi rendition="#g">unbeſchränkte Sinnlichkeit</hi>. Gott iſt die ewige<lb/> Exiſtenz, d. h. die immerwährende, die Exiſtenz <hi rendition="#g">zu allen<lb/> Zeiten</hi>: Gott iſt die allgegenwärtige Exiſtenz, d. h. die Exi-<lb/> ſten <hi rendition="#g">an allen Orten</hi>: Gott iſt das <hi rendition="#g">allwiſſende</hi> Weſen, d.<lb/> h. das Weſen, dem <hi rendition="#g">alles Einzelne, alles Sinnliche</hi>,<lb/> ohne Unterſchied, ohne Zeit und Ortsbeſchränkung Gegen-<lb/> ſtand iſt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [292/0310]
nicht das geiſtloſe Punctum, welches die Reflexion ſo oft ſetzt,
als ihr der Verſtand ausgeht, ſondern ein pathetiſches Aus-
rufungszeichen von dem Eindruck, welchen die Phantaſie auf
das Gemüth macht. Die Phantaſie iſt das urſprüngliche
Organ und Weſen der Religion. Im urſprünglichen Sinne
der Religion iſt zwiſchen Gott und Menſch einerſeits nur ein
Unterſchied der Exiſtenz nach, inwiefern Gott als ſelbſtſtän-
diges Weſen dem Menſchen gegenüberſteht, andererſeits nur
ein quantitativer, d. h. ein Unterſchied der Phantaſie
nach, denn die Unterſchiede der Phantaſie ſind nur quantita-
tive. Die Unendlichkeit Gottes in der Religion iſt quanti-
tative Unendlichkeit. Gott iſt und hat Alles, was der
Menſch, aber in unendlich vergrößertem Maaßſtabe — daher
der entzückende Eindruck, den die religiöſen Vorſtellungen auf
das Gemüth machen. Gottes Weſen iſt das explicirte,
objective oder vergegenſtändlichte Weſen der Phanta-
ſie *). Gott iſt ein ſinnliches Weſen, aber befreit von den
Schranken der Sinnlichkeit — das unbeſchränkte ſinn-
liche Weſen. Aber was iſt die Phantaſie? — die ſchran-
kenloſe, die unbeſchränkte Sinnlichkeit. Gott iſt die ewige
Exiſtenz, d. h. die immerwährende, die Exiſtenz zu allen
Zeiten: Gott iſt die allgegenwärtige Exiſtenz, d. h. die Exi-
ſten an allen Orten: Gott iſt das allwiſſende Weſen, d.
h. das Weſen, dem alles Einzelne, alles Sinnliche,
ohne Unterſchied, ohne Zeit und Ortsbeſchränkung Gegen-
ſtand iſt.
*) Dieß zeigt ſich beſonders auch in dem Superlativ und in der Prä-
poſition: Ueber, ὑπεϱ, die den göttlichen Prädicaten vorgeſetzt werden und
von jeher — wie z. B. bei den Neuplatonikern, den Chriſten unter den heid-
niſchen Philoſophen — eine Hauptrolle in der Theologie ſpielten.
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