Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.Unverstand und der Willkühr der Scribenten überlassen, warum So nothwendig aber mit dem Glauben an eine bestimmte *) Sehr richtig bemerkten schon die Jansenisten gegen die Jesuiten: Vouloir reconnoitre dans l'Ecriture quelque chose de la foiblesse et de l'esprit naturel de l'homme, c'est donner la liberte a chacun d'en faire le discernement et de rejetter ce qui lui plaira de l'Ecriture, comme venant plautot de la foiblesse de l'homme que de l'esprit de Dieu. Bayle Dict. Art. Adam (Jean) Rem. E. **) Nec in scriptura divina fas sit sentire aliquid contra-
rietatis. Petrus L. I. II. dist. II. c. I. Gleiche Gedanken bei den Kir- chenvätern. -- Zu bemerken ist noch, daß, wie der katholische Jesui- tismus hauptsächlich die Moral, so der protestantische Jesuitis- mus hauptsächlich die Bibel, die Exegese zum Tummelplatz seiner So- phistik hat. Unverſtand und der Willkühr der Scribenten überlaſſen, warum So nothwendig aber mit dem Glauben an eine beſtimmte *) Sehr richtig bemerkten ſchon die Janſeniſten gegen die Jeſuiten: Vouloir reconnoitre dans l’Ecriture quelque chose de la foiblesse et de l’esprit naturel de l’homme, c’est donner la liberté à chacun d’en faire le discernement et de rejetter ce qui lui plaira de l’Ecriture, comme venant plûtot de la foiblesse de l’homme que de l’esprit de Dieu. Bayle Dict. Art. Adam (Jean) Rem. E. **) Nec in scriptura divina fas sit sentire aliquid contra-
rietatis. Petrus L. I. II. dist. II. c. I. Gleiche Gedanken bei den Kir- chenvätern. — Zu bemerken iſt noch, daß, wie der katholiſche Jeſui- tismus hauptſächlich die Moral, ſo der proteſtantiſche Jeſuitis- mus hauptſächlich die Bibel, die Exegeſe zum Tummelplatz ſeiner So- phiſtik hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0306" n="288"/> Unverſtand und der Willkühr der Scribenten überlaſſen, warum<lb/> ſollte er ihnen nicht ſeine Gedanken, um ſie vor jeder Ent-<lb/> ſtellung zu bewahren, in die Feder dictiren? „Aber wenn der<lb/> Menſch ein bloßes Organ des heiligen Geiſtes wäre, ſo würde<lb/> ja damit die menſchliche Freiheit aufgehoben<note place="foot" n="*)">Sehr richtig bemerkten ſchon die Janſeniſten gegen die Jeſuiten:<lb/><hi rendition="#aq">Vouloir reconnoitre dans l’Ecriture quelque chose de la foiblesse et de<lb/> l’esprit naturel de l’homme, c’est donner la liberté à chacun d’en faire<lb/> le discernement et de rejetter ce qui lui plaira de l’Ecriture, comme<lb/> venant plûtot de la foiblesse de l’homme que de l’esprit de Dieu. <hi rendition="#g">Bayle</hi><lb/> Dict. Art. Adam (Jean) Rem. E.</hi></note>!“ O welch<lb/> ein erbärmlicher Grund! Iſt denn die menſchliche Freiheit<lb/> mehr werth als die göttliche Wahrheit? Oder beſteht die menſch-<lb/> liche Freiheit nur in der Entſtellung der göttlichen Wahrheit?</p><lb/> <p>So nothwendig aber mit dem Glauben an eine beſtimmte<lb/> hiſtoriſche Offenbarung als die abſolute Wahrheit Aberglaube,<lb/> ſo nothwendig iſt mit ihm die <hi rendition="#g">Sophiſtik</hi> verbunden. Die Bibel<lb/> widerſpricht der Moral, widerſpricht der Vernunft, widerſpricht<lb/> ſich ſelbſt unzählige Male; aber ſie iſt das Wort Gottes, die<lb/> ewige Wahrheit, und „die Wahrheit kann und darf ſich nicht<lb/> widerſprechen<note place="foot" n="**)"><hi rendition="#aq">Nec in scriptura divina <hi rendition="#g">fas sit sentire aliquid contra-<lb/> rietatis</hi>. Petrus L. I. II. dist. II. c. I.</hi> Gleiche Gedanken bei den Kir-<lb/> chenvätern. — Zu bemerken iſt noch, daß, wie der <hi rendition="#g">katholiſche Jeſui-<lb/> tismus</hi> hauptſächlich die <hi rendition="#g">Moral</hi>, ſo der <hi rendition="#g">proteſtantiſche Jeſuitis-<lb/> mus</hi> hauptſächlich die <hi rendition="#g">Bibel</hi>, die <hi rendition="#g">Exegeſe</hi> zum Tummelplatz ſeiner So-<lb/> phiſtik hat.</note>.“ Wie kommt der Offenbarungsgläubige aus<lb/> dieſem Widerſpruch zwiſchen der Idee der Offenbarung als<lb/> göttlicher, harmoniſcher Wahrheit und der vermeintlichen wirk-<lb/> lichen Offenbarung heraus? Nur durch Selbſttäuſchungen,<lb/> nur durch die albernſten Scheingründe, nur durch die ſchlech-<lb/> teſten, wahrheitsloſeſten Sophismen. Die <hi rendition="#g">chriſtliche So-<lb/></hi></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [288/0306]
Unverſtand und der Willkühr der Scribenten überlaſſen, warum
ſollte er ihnen nicht ſeine Gedanken, um ſie vor jeder Ent-
ſtellung zu bewahren, in die Feder dictiren? „Aber wenn der
Menſch ein bloßes Organ des heiligen Geiſtes wäre, ſo würde
ja damit die menſchliche Freiheit aufgehoben *)!“ O welch
ein erbärmlicher Grund! Iſt denn die menſchliche Freiheit
mehr werth als die göttliche Wahrheit? Oder beſteht die menſch-
liche Freiheit nur in der Entſtellung der göttlichen Wahrheit?
So nothwendig aber mit dem Glauben an eine beſtimmte
hiſtoriſche Offenbarung als die abſolute Wahrheit Aberglaube,
ſo nothwendig iſt mit ihm die Sophiſtik verbunden. Die Bibel
widerſpricht der Moral, widerſpricht der Vernunft, widerſpricht
ſich ſelbſt unzählige Male; aber ſie iſt das Wort Gottes, die
ewige Wahrheit, und „die Wahrheit kann und darf ſich nicht
widerſprechen **).“ Wie kommt der Offenbarungsgläubige aus
dieſem Widerſpruch zwiſchen der Idee der Offenbarung als
göttlicher, harmoniſcher Wahrheit und der vermeintlichen wirk-
lichen Offenbarung heraus? Nur durch Selbſttäuſchungen,
nur durch die albernſten Scheingründe, nur durch die ſchlech-
teſten, wahrheitsloſeſten Sophismen. Die chriſtliche So-
*) Sehr richtig bemerkten ſchon die Janſeniſten gegen die Jeſuiten:
Vouloir reconnoitre dans l’Ecriture quelque chose de la foiblesse et de
l’esprit naturel de l’homme, c’est donner la liberté à chacun d’en faire
le discernement et de rejetter ce qui lui plaira de l’Ecriture, comme
venant plûtot de la foiblesse de l’homme que de l’esprit de Dieu. Bayle
Dict. Art. Adam (Jean) Rem. E.
**) Nec in scriptura divina fas sit sentire aliquid contra-
rietatis. Petrus L. I. II. dist. II. c. I. Gleiche Gedanken bei den Kir-
chenvätern. — Zu bemerken iſt noch, daß, wie der katholiſche Jeſui-
tismus hauptſächlich die Moral, ſo der proteſtantiſche Jeſuitis-
mus hauptſächlich die Bibel, die Exegeſe zum Tummelplatz ſeiner So-
phiſtik hat.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |