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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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weil der praktische Mensch der subjective ist, der also im Ge-
wissen, in der Vernunft, inwiefern er sie als die seinige weiß,
keine allgemeine, objective Macht erblickt; er muß daher das
Wesen, welches ihm moralische Gesetze gibt, von sich aus-
scheiden
und als ein eignes persönliches Wesen sich ent-
gegensetzen
.

Der Offenbarungsglaube ist ein kindlicher Glaube und
nur so lange respectabel, so lange er kindlich ist. Das
Kind wird aber von Außen bestimmt. Und die Offenbarung
hat eben den Zweck, durch Hülfe Gottes zu bewirken, was
der Mensch nicht durch sich selbst erreichen kann. Deßhalb
hat man die Offenbarung die Erziehung des Menschengeschlechts
genannt. Dieß ist richtig; nur muß man die Offenbarung
nicht außer die Natur des Menschen hinauslegen. So sehr
der Mensch von Innen dazu getrieben wird, in Form von
Erzählungen und Fabeln moralische und philosophische Lehren
darzustellen, so nothwendig stellt er als Offenbarung dar, was
ihm von Innen gegeben wird. Der Fabeldichter hat einen
Zweck -- den Zweck, die Menschen gut und gescheut zu ma-
chen; er wählt absichtlich die Form der Fabel als die zweck-
mäßigste, anschaulichste Methode; aber zugleich ist er selbst
durch seine Liebe zur Fabel, durch seine eigne innere Natur zu
dieser Lehrweise gedrungen. So ist es auch mit der Of-
fenbarung, an deren Spitze ein Individuum steht. Dieses
hat einen Zweck, aber zugleich lebt es selbst in den Vorstel-
lungen, vermittelst welcher es diesen Zweck realisirt. Der
Mensch veranschaulicht unwillkührlich durch die Ein-
bildungskraft sein innres Wesen
; er stellt es außer sich
dar. Dieses veranschaulichte, durch die unwiderstehliche
Macht
der Einbildungskraft auf ihn wirkende Wesen der

weil der praktiſche Menſch der ſubjective iſt, der alſo im Ge-
wiſſen, in der Vernunft, inwiefern er ſie als die ſeinige weiß,
keine allgemeine, objective Macht erblickt; er muß daher das
Weſen, welches ihm moraliſche Geſetze gibt, von ſich aus-
ſcheiden
und als ein eignes perſönliches Weſen ſich ent-
gegenſetzen
.

Der Offenbarungsglaube iſt ein kindlicher Glaube und
nur ſo lange reſpectabel, ſo lange er kindlich iſt. Das
Kind wird aber von Außen beſtimmt. Und die Offenbarung
hat eben den Zweck, durch Hülfe Gottes zu bewirken, was
der Menſch nicht durch ſich ſelbſt erreichen kann. Deßhalb
hat man die Offenbarung die Erziehung des Menſchengeſchlechts
genannt. Dieß iſt richtig; nur muß man die Offenbarung
nicht außer die Natur des Menſchen hinauslegen. So ſehr
der Menſch von Innen dazu getrieben wird, in Form von
Erzählungen und Fabeln moraliſche und philoſophiſche Lehren
darzuſtellen, ſo nothwendig ſtellt er als Offenbarung dar, was
ihm von Innen gegeben wird. Der Fabeldichter hat einen
Zweck — den Zweck, die Menſchen gut und geſcheut zu ma-
chen; er wählt abſichtlich die Form der Fabel als die zweck-
mäßigſte, anſchaulichſte Methode; aber zugleich iſt er ſelbſt
durch ſeine Liebe zur Fabel, durch ſeine eigne innere Natur zu
dieſer Lehrweiſe gedrungen. So iſt es auch mit der Of-
fenbarung, an deren Spitze ein Individuum ſteht. Dieſes
hat einen Zweck, aber zugleich lebt es ſelbſt in den Vorſtel-
lungen, vermittelſt welcher es dieſen Zweck realiſirt. Der
Menſch veranſchaulicht unwillkührlich durch die Ein-
bildungskraft ſein innres Weſen
; er ſtellt es außer ſich
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[284/0302] weil der praktiſche Menſch der ſubjective iſt, der alſo im Ge- wiſſen, in der Vernunft, inwiefern er ſie als die ſeinige weiß, keine allgemeine, objective Macht erblickt; er muß daher das Weſen, welches ihm moraliſche Geſetze gibt, von ſich aus- ſcheiden und als ein eignes perſönliches Weſen ſich ent- gegenſetzen. Der Offenbarungsglaube iſt ein kindlicher Glaube und nur ſo lange reſpectabel, ſo lange er kindlich iſt. Das Kind wird aber von Außen beſtimmt. Und die Offenbarung hat eben den Zweck, durch Hülfe Gottes zu bewirken, was der Menſch nicht durch ſich ſelbſt erreichen kann. Deßhalb hat man die Offenbarung die Erziehung des Menſchengeſchlechts genannt. Dieß iſt richtig; nur muß man die Offenbarung nicht außer die Natur des Menſchen hinauslegen. So ſehr der Menſch von Innen dazu getrieben wird, in Form von Erzählungen und Fabeln moraliſche und philoſophiſche Lehren darzuſtellen, ſo nothwendig ſtellt er als Offenbarung dar, was ihm von Innen gegeben wird. Der Fabeldichter hat einen Zweck — den Zweck, die Menſchen gut und geſcheut zu ma- chen; er wählt abſichtlich die Form der Fabel als die zweck- mäßigſte, anſchaulichſte Methode; aber zugleich iſt er ſelbſt durch ſeine Liebe zur Fabel, durch ſeine eigne innere Natur zu dieſer Lehrweiſe gedrungen. So iſt es auch mit der Of- fenbarung, an deren Spitze ein Individuum ſteht. Dieſes hat einen Zweck, aber zugleich lebt es ſelbſt in den Vorſtel- lungen, vermittelſt welcher es dieſen Zweck realiſirt. Der Menſch veranſchaulicht unwillkührlich durch die Ein- bildungskraft ſein innres Weſen; er ſtellt es außer ſich dar. Dieſes veranſchaulichte, durch die unwiderſtehliche Macht der Einbildungskraft auf ihn wirkende Weſen der

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/302>, abgerufen am 24.11.2024.