stimmten Gott, d. h. geradezu aus der menschlichen Vernunft, aus menschlichem Bedürfniß ist derselbe entsprungen. So geht auch in der Offenbarung der Mensch nur von sich fort, um auf einem Umweg wieder auf sich zurückzukom- men! So bestätigt sich auch an diesem Gegenstand aufs schlagendste, daß das Geheimniß der Theologie nichts andres als die Anthropologie ist!
Uebrigens gesteht das religiöse Bewußtsein selbst in Be- ziehung auf vergangne Zeiten die Menschlichkeit des geoffen- barten Inhalts ein. Dem religiösen Bewußtsein einer spätern Zeit genügt nicht mehr ein Jehovah, der von Kopf bis zu Fuß Mensch ist, ungescheut seine Menschheit zur Schau trägt. Das waren nur Vorstellungen, in welchen sich Gott der da- maligen Fassungsgabe der Menschen accommodirt, d. h. nur menschliche Vorstellungen. Aber in Beziehung auf seinen gegenwärtigen Inhalt weil es in ihn versenkt ist, läßt es dieß nicht gelten. Gleichwohl ist jede Offenbarung nur eine Offenbarung der Natur des Menschen an den existirenden Menschen. In der Offenbarung wird dem Menschen seine verborgene Natur aufgeschlossen, Gegen- stand. Er wird von seinem Wesen bestimmt, afficirt als von einem andern Wesen. Er empfängt aus den Händen Gottes was ihm sein eignes unbekanntes Wesen als eine Nothwen- digkeit unter gewissen Zeitbedingungen aufdringt. Die Ver- nunft, die Gattung wirkt auf den praktischen Menschen nur unter der Vorstellung eines persönlichen Wesens. Die Gesetze der Ethik haben für ihn nur Kraft als Gebote eines gött- lichen Willens, welcher zugleich die Macht hat, zu strafen und den Blick, welchem nichts entgeht. Was ihm sein eignes Wesen, seine Vernunft, sein Gewissen sagt, verbindet ihn nicht,
ſtimmten Gott, d. h. geradezu aus der menſchlichen Vernunft, aus menſchlichem Bedürfniß iſt derſelbe entſprungen. So geht auch in der Offenbarung der Menſch nur von ſich fort, um auf einem Umweg wieder auf ſich zurückzukom- men! So beſtätigt ſich auch an dieſem Gegenſtand aufs ſchlagendſte, daß das Geheimniß der Theologie nichts andres als die Anthropologie iſt!
Uebrigens geſteht das religiöſe Bewußtſein ſelbſt in Be- ziehung auf vergangne Zeiten die Menſchlichkeit des geoffen- barten Inhalts ein. Dem religiöſen Bewußtſein einer ſpätern Zeit genügt nicht mehr ein Jehovah, der von Kopf bis zu Fuß Menſch iſt, ungeſcheut ſeine Menſchheit zur Schau trägt. Das waren nur Vorſtellungen, in welchen ſich Gott der da- maligen Faſſungsgabe der Menſchen accommodirt, d. h. nur menſchliche Vorſtellungen. Aber in Beziehung auf ſeinen gegenwärtigen Inhalt weil es in ihn verſenkt iſt, läßt es dieß nicht gelten. Gleichwohl iſt jede Offenbarung nur eine Offenbarung der Natur des Menſchen an den exiſtirenden Menſchen. In der Offenbarung wird dem Menſchen ſeine verborgene Natur aufgeſchloſſen, Gegen- ſtand. Er wird von ſeinem Weſen beſtimmt, afficirt als von einem andern Weſen. Er empfängt aus den Händen Gottes was ihm ſein eignes unbekanntes Weſen als eine Nothwen- digkeit unter gewiſſen Zeitbedingungen aufdringt. Die Ver- nunft, die Gattung wirkt auf den praktiſchen Menſchen nur unter der Vorſtellung eines perſönlichen Weſens. Die Geſetze der Ethik haben für ihn nur Kraft als Gebote eines gött- lichen Willens, welcher zugleich die Macht hat, zu ſtrafen und den Blick, welchem nichts entgeht. Was ihm ſein eignes Weſen, ſeine Vernunft, ſein Gewiſſen ſagt, verbindet ihn nicht,
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ſtimmten Gott, d. h. geradezu aus der menſchlichen Vernunft,
aus menſchlichem Bedürfniß iſt derſelbe entſprungen. So
geht auch in der Offenbarung der Menſch nur von ſich fort,
um auf einem Umweg wieder auf ſich zurückzukom-
men! So beſtätigt ſich auch an dieſem Gegenſtand aufs
ſchlagendſte, daß das Geheimniß der Theologie nichts
andres als die Anthropologie iſt!
Uebrigens geſteht das religiöſe Bewußtſein ſelbſt in Be-
ziehung auf vergangne Zeiten die Menſchlichkeit des geoffen-
barten Inhalts ein. Dem religiöſen Bewußtſein einer ſpätern
Zeit genügt nicht mehr ein Jehovah, der von Kopf bis zu
Fuß Menſch iſt, ungeſcheut ſeine Menſchheit zur Schau trägt.
Das waren nur Vorſtellungen, in welchen ſich Gott der da-
maligen Faſſungsgabe der Menſchen accommodirt, d. h. nur
menſchliche Vorſtellungen. Aber in Beziehung auf ſeinen
gegenwärtigen Inhalt weil es in ihn verſenkt iſt, läßt es
dieß nicht gelten. Gleichwohl iſt jede Offenbarung nur
eine Offenbarung der Natur des Menſchen an den
exiſtirenden Menſchen. In der Offenbarung wird
dem Menſchen ſeine verborgene Natur aufgeſchloſſen, Gegen-
ſtand. Er wird von ſeinem Weſen beſtimmt, afficirt als von
einem andern Weſen. Er empfängt aus den Händen Gottes
was ihm ſein eignes unbekanntes Weſen als eine Nothwen-
digkeit unter gewiſſen Zeitbedingungen aufdringt. Die Ver-
nunft, die Gattung wirkt auf den praktiſchen Menſchen nur
unter der Vorſtellung eines perſönlichen Weſens. Die Geſetze
der Ethik haben für ihn nur Kraft als Gebote eines gött-
lichen Willens, welcher zugleich die Macht hat, zu ſtrafen
und den Blick, welchem nichts entgeht. Was ihm ſein eignes
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/301>, abgerufen am 28.11.2024.
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