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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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anderes als der Glaube an die Wahrheit der Phantasie, wie
der Glaube an Gott der Glaube an die Wahrheit und Unend-
lichkeit des menschlichen Gemüthes. Oder: wie der Glaube
an Gott nur der Glaube an das abstracte Wesen des Men-
schen ist, so der Glaube an das Jenseits nur der Glaube an
das abstracte Dießseits.

Aber der Inhalt des Jenseits ist die Seligkeit, die ewige
Seligkeit der Individualität oder Subjectivität, die hier durch
die Natur
beschränkt und beeinträchtigt existirt. Der Glaube
an das Jenseits ist daher der Glaube an die Freiheit der
Subjectivität von den Schranken der Natur
-- also
der Glaube an die Ewigkeit, Unendlichkeit, Absolutheit der
Subjectivität, und zwar nicht in ihrem Gattungsbegriffe, der
sich in immer neuen Individuen entfaltet, sondern dieser bereits
existirenden Individuen -- folglich der Glaube des Men-
schen an sich selbst
. Aber der Glaube an das Himmelreich
ist eins mit dem Glauben an Gott -- es ist derselbe Inhalt
in beiden -- Gott ist die reine, absolute, von allen Natur-
schranken erledigte Subjectivität: er ist schlechtweg, was die
menschlichen Individuen nur sein sollen, sein werden -- der
Glaube an Gott
ist daher der Glaube des Menschen an

necessitudo sit defutura. Divus Bernhardus. Tract. de dili-
gendo Deo
. Resurgent ergo sanctorum corpora sine ullo vitio,
sine ulla deformitate
, sicut sine ulla corruptione, onere,
difficultate
.... una erit aetas omnium resurgentium, sc. juvenilis.
Petrus
L. I. IV. dist. 44. c. 2
. Der himmlische Leib ist daher insofern,
nämlich als ein Leib ohne alle Beschwerlichkeit und Begierlichkeit, d. h. alle
Sinnlichkeit
, nicht der wiederhergestellte gegenwärtige, sondern ehe-
malige, ursprüngliche, adamitische Leib. Insofern ist die Auferstehung:
e eis to arkhaion tes phuseos emon apokatastasis. S. Gregorius de
anima et resurr
. (Lips. 1837. p. 142.)

anderes als der Glaube an die Wahrheit der Phantaſie, wie
der Glaube an Gott der Glaube an die Wahrheit und Unend-
lichkeit des menſchlichen Gemüthes. Oder: wie der Glaube
an Gott nur der Glaube an das abſtracte Weſen des Men-
ſchen iſt, ſo der Glaube an das Jenſeits nur der Glaube an
das abſtracte Dießſeits.

Aber der Inhalt des Jenſeits iſt die Seligkeit, die ewige
Seligkeit der Individualität oder Subjectivität, die hier durch
die Natur
beſchränkt und beeinträchtigt exiſtirt. Der Glaube
an das Jenſeits iſt daher der Glaube an die Freiheit der
Subjectivität von den Schranken der Natur
— alſo
der Glaube an die Ewigkeit, Unendlichkeit, Abſolutheit der
Subjectivität, und zwar nicht in ihrem Gattungsbegriffe, der
ſich in immer neuen Individuen entfaltet, ſondern dieſer bereits
exiſtirenden Individuen — folglich der Glaube des Men-
ſchen an ſich ſelbſt
. Aber der Glaube an das Himmelreich
iſt eins mit dem Glauben an Gott — es iſt derſelbe Inhalt
in beiden — Gott iſt die reine, abſolute, von allen Natur-
ſchranken erledigte Subjectivität: er iſt ſchlechtweg, was die
menſchlichen Individuen nur ſein ſollen, ſein werden — der
Glaube an Gott
iſt daher der Glaube des Menſchen an

necessitudo sit defutura. Divus Bernhardus. Tract. de dili-
gendo Deo
. Resurgent ergo sanctorum corpora sine ullo vitio,
sine ulla deformitate
, sicut sine ulla corruptione, onere,
difficultate
.... una erit aetas omnium resurgentium, sc. juvenilis.
Petrus
L. I. IV. dist. 44. c. 2
. Der himmliſche Leib iſt daher inſofern,
nämlich als ein Leib ohne alle Beſchwerlichkeit und Begierlichkeit, d. h. alle
Sinnlichkeit
, nicht der wiederhergeſtellte gegenwärtige, ſondern ehe-
malige, urſprüngliche, adamitiſche Leib. Inſofern iſt die Auferſtehung:
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anima et resurr
. (Lips. 1837. p. 142.)
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[246/0264] anderes als der Glaube an die Wahrheit der Phantaſie, wie der Glaube an Gott der Glaube an die Wahrheit und Unend- lichkeit des menſchlichen Gemüthes. Oder: wie der Glaube an Gott nur der Glaube an das abſtracte Weſen des Men- ſchen iſt, ſo der Glaube an das Jenſeits nur der Glaube an das abſtracte Dießſeits. Aber der Inhalt des Jenſeits iſt die Seligkeit, die ewige Seligkeit der Individualität oder Subjectivität, die hier durch die Natur beſchränkt und beeinträchtigt exiſtirt. Der Glaube an das Jenſeits iſt daher der Glaube an die Freiheit der Subjectivität von den Schranken der Natur — alſo der Glaube an die Ewigkeit, Unendlichkeit, Abſolutheit der Subjectivität, und zwar nicht in ihrem Gattungsbegriffe, der ſich in immer neuen Individuen entfaltet, ſondern dieſer bereits exiſtirenden Individuen — folglich der Glaube des Men- ſchen an ſich ſelbſt. Aber der Glaube an das Himmelreich iſt eins mit dem Glauben an Gott — es iſt derſelbe Inhalt in beiden — Gott iſt die reine, abſolute, von allen Natur- ſchranken erledigte Subjectivität: er iſt ſchlechtweg, was die menſchlichen Individuen nur ſein ſollen, ſein werden — der Glaube an Gott iſt daher der Glaube des Menſchen an **) **) necessitudo sit defutura. Divus Bernhardus. Tract. de dili- gendo Deo. Resurgent ergo sanctorum corpora sine ullo vitio, sine ulla deformitate, sicut sine ulla corruptione, onere, difficultate .... una erit aetas omnium resurgentium, sc. juvenilis. Petrus L. I. IV. dist. 44. c. 2. Der himmliſche Leib iſt daher inſofern, nämlich als ein Leib ohne alle Beſchwerlichkeit und Begierlichkeit, d. h. alle Sinnlichkeit, nicht der wiederhergeſtellte gegenwärtige, ſondern ehe- malige, urſprüngliche, adamitiſche Leib. Inſofern iſt die Auferſtehung: ἡ εἰς τὸ ἀϱχαῖον τῆς φύσεως ἡμῶν ἀποκατάστασις. S. Gregorius de anima et resurr. (Lips. 1837. p. 142.)

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/264>, abgerufen am 24.11.2024.