Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Verschönerung, die Verbesserung setzt einen Tadel,
ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen ist nur ein ober-
flächliches. Ich spreche der Sache nicht Werth ab; nur so,
wie sie ist, gefällt sie mir nicht; ich negire nur die Beschaffen-
heiten, nicht die Substanz, sonst würde ich auf Vertilgung
dringen. Ein Haus, das mir absolut mißfällt, lasse ich ab-
tragen, aber nicht verschönern. Der Glaube an das Jenseits
gibt die Welt auf, aber nicht ihr Wesen; nur so, wie sie ist,
gefällt sie nicht. Die Freude gefällt dem Jenseitsgläubiger --
wer sollte die Freude nicht als einen Positiv empfinden? --
aber es mißfällt ihm, daß hier auf die Freude entgegengesetzte
Empfindungen folgen, daß sie vergänglich ist. Er setzt daher
die Freude auch ins Jenseits, aber als ewige, ununterbrochne
göttliche Freude -- das Jenseits heißt darum das Freuden-
reich
-- wie er hier schon die Freude in Gott setzt; denn Gott
ist nichts als die ewige, ununterbrochene Freude als
Subject
. Die Individualität gefällt ihm, aber nur nicht die
mit objectiven Trieben belastete; er nimmt daher die Indivi-
dualität auch mit, aber die reine, die absolut subjective. Das
Licht gefällt; aber nicht die Schwere, weil sie als eine Schranke
dem Individuum erscheint, nicht die Nacht, weil in ihr der
Mensch der Natur gehorcht; dort ist Licht, aber keine Schwere,
keine Nacht -- reines, ungestörtes Licht.

Wie der Mensch in der Entfernung von sich, in Gott
immer wieder nur auf sich selbst zurückkommt, immer nur
sich um sich selbst dreht; so kommt der Mensch auch in der
Entfernung vom Dießseits immer wieder zuletzt nur auf das-
selbe zurück. Je außer- und übermenschlicher Gott im Anfang
erscheint, desto menschlicher zeigt er sich im Verlaufe oder
Schlusse. Ebenso: je übernatürlicher im Anfang oder in der

Die Verſchönerung, die Verbeſſerung ſetzt einen Tadel,
ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen iſt nur ein ober-
flächliches. Ich ſpreche der Sache nicht Werth ab; nur ſo,
wie ſie iſt, gefällt ſie mir nicht; ich negire nur die Beſchaffen-
heiten, nicht die Subſtanz, ſonſt würde ich auf Vertilgung
dringen. Ein Haus, das mir abſolut mißfällt, laſſe ich ab-
tragen, aber nicht verſchönern. Der Glaube an das Jenſeits
gibt die Welt auf, aber nicht ihr Weſen; nur ſo, wie ſie iſt,
gefällt ſie nicht. Die Freude gefällt dem Jenſeitsgläubiger —
wer ſollte die Freude nicht als einen Poſitiv empfinden? —
aber es mißfällt ihm, daß hier auf die Freude entgegengeſetzte
Empfindungen folgen, daß ſie vergänglich iſt. Er ſetzt daher
die Freude auch ins Jenſeits, aber als ewige, ununterbrochne
göttliche Freude — das Jenſeits heißt darum das Freuden-
reich
— wie er hier ſchon die Freude in Gott ſetzt; denn Gott
iſt nichts als die ewige, ununterbrochene Freude als
Subject
. Die Individualität gefällt ihm, aber nur nicht die
mit objectiven Trieben belaſtete; er nimmt daher die Indivi-
dualität auch mit, aber die reine, die abſolut ſubjective. Das
Licht gefällt; aber nicht die Schwere, weil ſie als eine Schranke
dem Individuum erſcheint, nicht die Nacht, weil in ihr der
Menſch der Natur gehorcht; dort iſt Licht, aber keine Schwere,
keine Nacht — reines, ungeſtörtes Licht.

Wie der Menſch in der Entfernung von ſich, in Gott
immer wieder nur auf ſich ſelbſt zurückkommt, immer nur
ſich um ſich ſelbſt dreht; ſo kommt der Menſch auch in der
Entfernung vom Dießſeits immer wieder zuletzt nur auf daſ-
ſelbe zurück. Je außer- und übermenſchlicher Gott im Anfang
erſcheint, deſto menſchlicher zeigt er ſich im Verlaufe oder
Schluſſe. Ebenſo: je übernatürlicher im Anfang oder in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0262" n="244"/>
          <p>Die Ver&#x017F;chönerung, die Verbe&#x017F;&#x017F;erung &#x017F;etzt einen Tadel,<lb/>
ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen i&#x017F;t nur ein ober-<lb/>
flächliches. Ich &#x017F;preche der Sache nicht Werth ab; nur &#x017F;o,<lb/>
wie &#x017F;ie i&#x017F;t, gefällt &#x017F;ie mir nicht; ich negire nur die Be&#x017F;chaffen-<lb/>
heiten, nicht die Sub&#x017F;tanz, &#x017F;on&#x017F;t würde ich auf Vertilgung<lb/>
dringen. Ein Haus, das mir ab&#x017F;olut mißfällt, la&#x017F;&#x017F;e ich ab-<lb/>
tragen, aber nicht ver&#x017F;chönern. Der Glaube an das Jen&#x017F;eits<lb/>
gibt die Welt auf, aber nicht <hi rendition="#g">ihr We&#x017F;en</hi>; nur &#x017F;o, wie &#x017F;ie i&#x017F;t,<lb/>
gefällt &#x017F;ie nicht. Die Freude gefällt dem Jen&#x017F;eitsgläubiger &#x2014;<lb/>
wer &#x017F;ollte die Freude nicht als einen Po&#x017F;itiv empfinden? &#x2014;<lb/>
aber es mißfällt ihm, daß hier auf die Freude entgegenge&#x017F;etzte<lb/>
Empfindungen folgen, daß &#x017F;ie <hi rendition="#g">vergänglich</hi> i&#x017F;t. Er &#x017F;etzt daher<lb/>
die Freude auch ins Jen&#x017F;eits, aber als ewige, ununterbrochne<lb/>
göttliche Freude &#x2014; das Jen&#x017F;eits heißt darum das <hi rendition="#g">Freuden-<lb/>
reich</hi> &#x2014; wie er hier &#x017F;chon die Freude in <hi rendition="#g">Gott</hi> &#x017F;etzt; denn <hi rendition="#g">Gott</hi><lb/>
i&#x017F;t nichts als die ewige, <hi rendition="#g">ununterbrochene Freude als<lb/>
Subject</hi>. Die Individualität gefällt ihm, aber nur nicht die<lb/>
mit objectiven Trieben bela&#x017F;tete; er nimmt daher die Indivi-<lb/>
dualität auch mit, aber die reine, die ab&#x017F;olut &#x017F;ubjective. Das<lb/>
Licht gefällt; aber nicht die Schwere, weil &#x017F;ie als eine Schranke<lb/>
dem Individuum er&#x017F;cheint, nicht die Nacht, weil in ihr der<lb/>
Men&#x017F;ch der Natur gehorcht; dort i&#x017F;t Licht, aber keine Schwere,<lb/>
keine Nacht &#x2014; reines, unge&#x017F;törtes Licht.</p><lb/>
          <p>Wie der Men&#x017F;ch in der Entfernung von &#x017F;ich, in Gott<lb/>
immer wieder nur auf <hi rendition="#g">&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi> zurückkommt, immer nur<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ich um &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t dreht</hi>; &#x017F;o kommt der Men&#x017F;ch auch in der<lb/>
Entfernung vom Dieß&#x017F;eits immer wieder zuletzt nur auf da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe zurück. Je außer- und übermen&#x017F;chlicher Gott im Anfang<lb/>
er&#x017F;cheint, de&#x017F;to men&#x017F;chlicher zeigt er &#x017F;ich im Verlaufe oder<lb/>
Schlu&#x017F;&#x017F;e. Eben&#x017F;o: je übernatürlicher im Anfang oder in der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0262] Die Verſchönerung, die Verbeſſerung ſetzt einen Tadel, ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen iſt nur ein ober- flächliches. Ich ſpreche der Sache nicht Werth ab; nur ſo, wie ſie iſt, gefällt ſie mir nicht; ich negire nur die Beſchaffen- heiten, nicht die Subſtanz, ſonſt würde ich auf Vertilgung dringen. Ein Haus, das mir abſolut mißfällt, laſſe ich ab- tragen, aber nicht verſchönern. Der Glaube an das Jenſeits gibt die Welt auf, aber nicht ihr Weſen; nur ſo, wie ſie iſt, gefällt ſie nicht. Die Freude gefällt dem Jenſeitsgläubiger — wer ſollte die Freude nicht als einen Poſitiv empfinden? — aber es mißfällt ihm, daß hier auf die Freude entgegengeſetzte Empfindungen folgen, daß ſie vergänglich iſt. Er ſetzt daher die Freude auch ins Jenſeits, aber als ewige, ununterbrochne göttliche Freude — das Jenſeits heißt darum das Freuden- reich — wie er hier ſchon die Freude in Gott ſetzt; denn Gott iſt nichts als die ewige, ununterbrochene Freude als Subject. Die Individualität gefällt ihm, aber nur nicht die mit objectiven Trieben belaſtete; er nimmt daher die Indivi- dualität auch mit, aber die reine, die abſolut ſubjective. Das Licht gefällt; aber nicht die Schwere, weil ſie als eine Schranke dem Individuum erſcheint, nicht die Nacht, weil in ihr der Menſch der Natur gehorcht; dort iſt Licht, aber keine Schwere, keine Nacht — reines, ungeſtörtes Licht. Wie der Menſch in der Entfernung von ſich, in Gott immer wieder nur auf ſich ſelbſt zurückkommt, immer nur ſich um ſich ſelbſt dreht; ſo kommt der Menſch auch in der Entfernung vom Dießſeits immer wieder zuletzt nur auf daſ- ſelbe zurück. Je außer- und übermenſchlicher Gott im Anfang erſcheint, deſto menſchlicher zeigt er ſich im Verlaufe oder Schluſſe. Ebenſo: je übernatürlicher im Anfang oder in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/262
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/262>, abgerufen am 24.11.2024.