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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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das, was er ist, schon sein Gott ist. Gott ist sein Ich; darum
muß er sich verläugnen. So negirt der Mensch auch das
Dießseits, aber nur um am Ende es als Jenseits wieder
zu setzen
*). Das verlorne aber wiedergefundne und in der
Freude des Wiedersehens um so heller strahlende Dießseits ist
das Jenseits. Der religiöse Mensch gibt die Freuden dieser
Welt auf; aber nur um dafür die himmlischen Freuden zu ge-
winnen, oder vielmehr er gibt sie deßwegen auf, weil er schon
in dem wenigstens idealen Besitze der himmlischen Freuden
ist. Die himmlischen Freuden sind allerdings andere Freuden,
als die irdischen, aber es sind doch immerhin Freuden; die
Gattung, die Substanz haben sie gemein mit den irdischen;
sie sind nur anderer, höherer Art. Die Religion kommt so,
aber auf einem Umweg zu dem Ziele, dem Ziele der Freude,
worauf der natürliche Mensch in gerader Linie zueilt. Das
Wesen im Bilde ist das Wesen der Religion. Die Re-
ligion opfert die Sache dem Bilde auf. Das Jenseits ist das
Dießseits im Spiegel der Phantasie -- das bezaubernde Bild,
im Sinne der Religion das Urbild des Dießseits: dieses wirk-
liche Leben nur ein Schein, ein Schimmer jenes idealen bild-
lichen Lebens. Das Jenseits ist das im Bilde angeschaute,
von aller groben Materie gereinigte -- das verschönerte Dieß-
seits, oder positiv ausgedrückt: das schöne Dießseits kat
exokhen.

*) Dort wird daher Alles wieder hergestellt. Qui modo vi-
vit, erit
, nec me vel dente, vel ungue Fraudatum revomet pa-
tefacti fossa sepulchri. Aurelius Prud. (Apotheos. de resurr.
carnis hum
.) Und dieser in euren Augen rohe, fleischliche und deß-
wegen von euch desavouirte Glaube ist der allein consequente, der
allein redliche, der allein wahre Glaube. Zur Identität der Person
gehört die Identität des Leibes.
16*

das, was er iſt, ſchon ſein Gott iſt. Gott iſt ſein Ich; darum
muß er ſich verläugnen. So negirt der Menſch auch das
Dießſeits, aber nur um am Ende es als Jenſeits wieder
zu ſetzen
*). Das verlorne aber wiedergefundne und in der
Freude des Wiederſehens um ſo heller ſtrahlende Dießſeits iſt
das Jenſeits. Der religiöſe Menſch gibt die Freuden dieſer
Welt auf; aber nur um dafür die himmliſchen Freuden zu ge-
winnen, oder vielmehr er gibt ſie deßwegen auf, weil er ſchon
in dem wenigſtens idealen Beſitze der himmliſchen Freuden
iſt. Die himmliſchen Freuden ſind allerdings andere Freuden,
als die irdiſchen, aber es ſind doch immerhin Freuden; die
Gattung, die Subſtanz haben ſie gemein mit den irdiſchen;
ſie ſind nur anderer, höherer Art. Die Religion kommt ſo,
aber auf einem Umweg zu dem Ziele, dem Ziele der Freude,
worauf der natürliche Menſch in gerader Linie zueilt. Das
Weſen im Bilde iſt das Weſen der Religion. Die Re-
ligion opfert die Sache dem Bilde auf. Das Jenſeits iſt das
Dießſeits im Spiegel der Phantaſie — das bezaubernde Bild,
im Sinne der Religion das Urbild des Dießſeits: dieſes wirk-
liche Leben nur ein Schein, ein Schimmer jenes idealen bild-
lichen Lebens. Das Jenſeits iſt das im Bilde angeſchaute,
von aller groben Materie gereinigte — das verſchönerte Dieß-
ſeits, oder poſitiv ausgedrückt: das ſchöne Dießſeits κατ̕
ἐξοχην.

*) Dort wird daher Alles wieder hergeſtellt. Qui modo vi-
vit, erit
, nec me vel dente, vel ungue Fraudatum revomet pa-
tefacti fossa sepulchri. Aurelius Prud. (Apotheos. de resurr.
carnis hum
.) Und dieſer in euren Augen rohe, fleiſchliche und deß-
wegen von euch desavouirte Glaube iſt der allein conſequente, der
allein redliche, der allein wahre Glaube. Zur Identität der Perſon
gehört die Identität des Leibes.
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[243/0261] das, was er iſt, ſchon ſein Gott iſt. Gott iſt ſein Ich; darum muß er ſich verläugnen. So negirt der Menſch auch das Dießſeits, aber nur um am Ende es als Jenſeits wieder zu ſetzen *). Das verlorne aber wiedergefundne und in der Freude des Wiederſehens um ſo heller ſtrahlende Dießſeits iſt das Jenſeits. Der religiöſe Menſch gibt die Freuden dieſer Welt auf; aber nur um dafür die himmliſchen Freuden zu ge- winnen, oder vielmehr er gibt ſie deßwegen auf, weil er ſchon in dem wenigſtens idealen Beſitze der himmliſchen Freuden iſt. Die himmliſchen Freuden ſind allerdings andere Freuden, als die irdiſchen, aber es ſind doch immerhin Freuden; die Gattung, die Subſtanz haben ſie gemein mit den irdiſchen; ſie ſind nur anderer, höherer Art. Die Religion kommt ſo, aber auf einem Umweg zu dem Ziele, dem Ziele der Freude, worauf der natürliche Menſch in gerader Linie zueilt. Das Weſen im Bilde iſt das Weſen der Religion. Die Re- ligion opfert die Sache dem Bilde auf. Das Jenſeits iſt das Dießſeits im Spiegel der Phantaſie — das bezaubernde Bild, im Sinne der Religion das Urbild des Dießſeits: dieſes wirk- liche Leben nur ein Schein, ein Schimmer jenes idealen bild- lichen Lebens. Das Jenſeits iſt das im Bilde angeſchaute, von aller groben Materie gereinigte — das verſchönerte Dieß- ſeits, oder poſitiv ausgedrückt: das ſchöne Dießſeits κατ̕ ἐξοχην. *) Dort wird daher Alles wieder hergeſtellt. Qui modo vi- vit, erit, nec me vel dente, vel ungue Fraudatum revomet pa- tefacti fossa sepulchri. Aurelius Prud. (Apotheos. de resurr. carnis hum.) Und dieſer in euren Augen rohe, fleiſchliche und deß- wegen von euch desavouirte Glaube iſt der allein conſequente, der allein redliche, der allein wahre Glaube. Zur Identität der Perſon gehört die Identität des Leibes. 16*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/261>, abgerufen am 24.11.2024.