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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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seiner Natur, als der Orientale. Der Tadel der indischen
Kunst, der indischen Religion und Philosophie ist ein Tadel
der indischen Natur. Ihr beklagt euch über den Recensenten,
der eine Stelle in euren Werken aus dem Zusammenhang reißt,
um sie dadurch dem Spotte Preis zu geben. Warum thut
ihr selbst, was ihr an Andern tadelt? Warum reißt ihr die
indische Religion aus dem Zusammenhang, in welchem sie
eben so vernünftig ist als eure absolute Religion?

Der Glaube an ein Jenseits, an ein Leben nach dem
Tode ist daher bei den "wilden" Völkern im Wesentlichen
nichts weiter als der directe Glaube an das Dießseits, der
unmittelbare, ungebrochne Glaube an dieses Leben. Die-
ses Leben hat für sie, selbst mit seinen Localbeschränktheiten,
allen, absoluten Werth; sie können nicht davon abstrahiren,
sich keine Abbrechung denken; d. h. sie glauben geradezu
an die Unendlichkeit, die Unaufhörlichkeit dieses Le-
bens
. Erst dadurch, daß der Glaube der Unsterblichkeit ein
kritischer Glaube wird, daß man nämlich unterscheidet zwischen
dem, was hier zurück und dort übrig bleibt, hier vergehen,
dort bestehen soll, erst dadurch gestaltet sich der Glaube an das
Leben nach dem Tode zum Glauben an ein anderes Leben.
Aber gleichwohl fällt auch diese Kritik, diese Unterscheidung
schon in dieses Leben. So unterschieden die Christen zwischen
dem natürlichen und christlichen, dem sinnlichen, weltlichen
und geistlichen, heiligen Leben. Das himmlische, das andere
Leben ist kein andres Leben, als das hier schon von dem nur
natürlichen Leben unterschiedne, aber hier zugleich noch mit
demselben behaftete geistliche Leben. Was der Christ schon
hier von sich ausschließt, wie das Geschlechtsleben, das ist
auch vom andern Leben ausgeschlossen. Der Unterschied ist

ſeiner Natur, als der Orientale. Der Tadel der indiſchen
Kunſt, der indiſchen Religion und Philoſophie iſt ein Tadel
der indiſchen Natur. Ihr beklagt euch über den Recenſenten,
der eine Stelle in euren Werken aus dem Zuſammenhang reißt,
um ſie dadurch dem Spotte Preis zu geben. Warum thut
ihr ſelbſt, was ihr an Andern tadelt? Warum reißt ihr die
indiſche Religion aus dem Zuſammenhang, in welchem ſie
eben ſo vernünftig iſt als eure abſolute Religion?

Der Glaube an ein Jenſeits, an ein Leben nach dem
Tode iſt daher bei den „wilden“ Völkern im Weſentlichen
nichts weiter als der directe Glaube an das Dießſeits, der
unmittelbare, ungebrochne Glaube an dieſes Leben. Die-
ſes Leben hat für ſie, ſelbſt mit ſeinen Localbeſchränktheiten,
allen, abſoluten Werth; ſie können nicht davon abſtrahiren,
ſich keine Abbrechung denken; d. h. ſie glauben geradezu
an die Unendlichkeit, die Unaufhörlichkeit dieſes Le-
bens
. Erſt dadurch, daß der Glaube der Unſterblichkeit ein
kritiſcher Glaube wird, daß man nämlich unterſcheidet zwiſchen
dem, was hier zurück und dort übrig bleibt, hier vergehen,
dort beſtehen ſoll, erſt dadurch geſtaltet ſich der Glaube an das
Leben nach dem Tode zum Glauben an ein anderes Leben.
Aber gleichwohl fällt auch dieſe Kritik, dieſe Unterſcheidung
ſchon in dieſes Leben. So unterſchieden die Chriſten zwiſchen
dem natürlichen und chriſtlichen, dem ſinnlichen, weltlichen
und geiſtlichen, heiligen Leben. Das himmliſche, das andere
Leben iſt kein andres Leben, als das hier ſchon von dem nur
natürlichen Leben unterſchiedne, aber hier zugleich noch mit
demſelben behaftete geiſtliche Leben. Was der Chriſt ſchon
hier von ſich ausſchließt, wie das Geſchlechtsleben, das iſt
auch vom andern Leben ausgeſchloſſen. Der Unterſchied iſt

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[240/0258] ſeiner Natur, als der Orientale. Der Tadel der indiſchen Kunſt, der indiſchen Religion und Philoſophie iſt ein Tadel der indiſchen Natur. Ihr beklagt euch über den Recenſenten, der eine Stelle in euren Werken aus dem Zuſammenhang reißt, um ſie dadurch dem Spotte Preis zu geben. Warum thut ihr ſelbſt, was ihr an Andern tadelt? Warum reißt ihr die indiſche Religion aus dem Zuſammenhang, in welchem ſie eben ſo vernünftig iſt als eure abſolute Religion? Der Glaube an ein Jenſeits, an ein Leben nach dem Tode iſt daher bei den „wilden“ Völkern im Weſentlichen nichts weiter als der directe Glaube an das Dießſeits, der unmittelbare, ungebrochne Glaube an dieſes Leben. Die- ſes Leben hat für ſie, ſelbſt mit ſeinen Localbeſchränktheiten, allen, abſoluten Werth; ſie können nicht davon abſtrahiren, ſich keine Abbrechung denken; d. h. ſie glauben geradezu an die Unendlichkeit, die Unaufhörlichkeit dieſes Le- bens. Erſt dadurch, daß der Glaube der Unſterblichkeit ein kritiſcher Glaube wird, daß man nämlich unterſcheidet zwiſchen dem, was hier zurück und dort übrig bleibt, hier vergehen, dort beſtehen ſoll, erſt dadurch geſtaltet ſich der Glaube an das Leben nach dem Tode zum Glauben an ein anderes Leben. Aber gleichwohl fällt auch dieſe Kritik, dieſe Unterſcheidung ſchon in dieſes Leben. So unterſchieden die Chriſten zwiſchen dem natürlichen und chriſtlichen, dem ſinnlichen, weltlichen und geiſtlichen, heiligen Leben. Das himmliſche, das andere Leben iſt kein andres Leben, als das hier ſchon von dem nur natürlichen Leben unterſchiedne, aber hier zugleich noch mit demſelben behaftete geiſtliche Leben. Was der Chriſt ſchon hier von ſich ausſchließt, wie das Geſchlechtsleben, das iſt auch vom andern Leben ausgeſchloſſen. Der Unterſchied iſt

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/258>, abgerufen am 24.11.2024.