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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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kannte er seine Braut, längst sehnte er sich nach ihr; aber
äußere Verhältnisse, die gefühllose Wirklichkeit stand seiner
Verbindung mit ihr entgegen. Auf der Hochzeit wird seine
Geliebte nicht ein anderes Wesen; wie könnte er sonst so heiß
nach ihr sich sehnen? Sie wird nur die Seinige, sie wird jetzt
nur aus einem Gegenstand der Sehnsucht ein Gegenstand des
wirklichen Besitzes. Das Jenseits ist hienieden allerdings nur
ein Bild, aber nicht ein Bild eines fernen, unbekannten Dings,
sondern ein Porträt von dem Wesen, welches der Mensch vor
allen andern bevorzugt, liebt. Was der Mensch liebt, das ist
seine Seele. Die Asche geliebter Todten schloß der Heide in
Urnen ein; bei den Christen ist das himmlische Jenseits das
Mausoleum, in das er seine Seele verschließt.

Zur Erkenntniß eines Glaubens, überhaupt der Religion,
ist es nothwendig, selbst die untersten, rohsten Stufen der Re-
ligion zu beachten. Man muß die Religion nicht nur in einer
aufsteigenden Linie betrachten, sondern in der ganzen
Breite ihrer Existenz
überschauen. Man muß die verschie-
denen Religionen auch bei der absoluten Religion gegenwär-
tig
haben, nicht hinter ihr, in der Vergangenheit zurücklassen,
um eben sowohl die absolute als die andern Religionen rich-
tig würdigen und begreifen zu können. Die schrecklichsten Ver-
irrungen, die wildesten Ausschweifungen des religiösen Be-
wußtseins lassen oft die tiefsten Blicke auch in die Geheimnisse
der absoluten Religion werfen. Die scheinbar rohsten Vor-
stellungen sind oft nur die kindlichsten, unschuldigsten, wahr-
sten Vorstellungen. Dieß gilt auch von den Vorstellungen
des Jenseits. Der "Wilde," dessen Bewußtsein nicht über die
Gränzen seines Landes hinaus geht, der ganz mit ihm zusam-
mengewachsen ist, nimmt auch sein Land in das Jenseits auf

kannte er ſeine Braut, längſt ſehnte er ſich nach ihr; aber
äußere Verhältniſſe, die gefühlloſe Wirklichkeit ſtand ſeiner
Verbindung mit ihr entgegen. Auf der Hochzeit wird ſeine
Geliebte nicht ein anderes Weſen; wie könnte er ſonſt ſo heiß
nach ihr ſich ſehnen? Sie wird nur die Seinige, ſie wird jetzt
nur aus einem Gegenſtand der Sehnſucht ein Gegenſtand des
wirklichen Beſitzes. Das Jenſeits iſt hienieden allerdings nur
ein Bild, aber nicht ein Bild eines fernen, unbekannten Dings,
ſondern ein Porträt von dem Weſen, welches der Menſch vor
allen andern bevorzugt, liebt. Was der Menſch liebt, das iſt
ſeine Seele. Die Aſche geliebter Todten ſchloß der Heide in
Urnen ein; bei den Chriſten iſt das himmliſche Jenſeits das
Mauſoleum, in das er ſeine Seele verſchließt.

Zur Erkenntniß eines Glaubens, überhaupt der Religion,
iſt es nothwendig, ſelbſt die unterſten, rohſten Stufen der Re-
ligion zu beachten. Man muß die Religion nicht nur in einer
aufſteigenden Linie betrachten, ſondern in der ganzen
Breite ihrer Exiſtenz
überſchauen. Man muß die verſchie-
denen Religionen auch bei der abſoluten Religion gegenwär-
tig
haben, nicht hinter ihr, in der Vergangenheit zurücklaſſen,
um eben ſowohl die abſolute als die andern Religionen rich-
tig würdigen und begreifen zu können. Die ſchrecklichſten Ver-
irrungen, die wildeſten Ausſchweifungen des religiöſen Be-
wußtſeins laſſen oft die tiefſten Blicke auch in die Geheimniſſe
der abſoluten Religion werfen. Die ſcheinbar rohſten Vor-
ſtellungen ſind oft nur die kindlichſten, unſchuldigſten, wahr-
ſten Vorſtellungen. Dieß gilt auch von den Vorſtellungen
des Jenſeits. Der „Wilde,“ deſſen Bewußtſein nicht über die
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[238/0256] kannte er ſeine Braut, längſt ſehnte er ſich nach ihr; aber äußere Verhältniſſe, die gefühlloſe Wirklichkeit ſtand ſeiner Verbindung mit ihr entgegen. Auf der Hochzeit wird ſeine Geliebte nicht ein anderes Weſen; wie könnte er ſonſt ſo heiß nach ihr ſich ſehnen? Sie wird nur die Seinige, ſie wird jetzt nur aus einem Gegenſtand der Sehnſucht ein Gegenſtand des wirklichen Beſitzes. Das Jenſeits iſt hienieden allerdings nur ein Bild, aber nicht ein Bild eines fernen, unbekannten Dings, ſondern ein Porträt von dem Weſen, welches der Menſch vor allen andern bevorzugt, liebt. Was der Menſch liebt, das iſt ſeine Seele. Die Aſche geliebter Todten ſchloß der Heide in Urnen ein; bei den Chriſten iſt das himmliſche Jenſeits das Mauſoleum, in das er ſeine Seele verſchließt. Zur Erkenntniß eines Glaubens, überhaupt der Religion, iſt es nothwendig, ſelbſt die unterſten, rohſten Stufen der Re- ligion zu beachten. Man muß die Religion nicht nur in einer aufſteigenden Linie betrachten, ſondern in der ganzen Breite ihrer Exiſtenz überſchauen. Man muß die verſchie- denen Religionen auch bei der abſoluten Religion gegenwär- tig haben, nicht hinter ihr, in der Vergangenheit zurücklaſſen, um eben ſowohl die abſolute als die andern Religionen rich- tig würdigen und begreifen zu können. Die ſchrecklichſten Ver- irrungen, die wildeſten Ausſchweifungen des religiöſen Be- wußtſeins laſſen oft die tiefſten Blicke auch in die Geheimniſſe der abſoluten Religion werfen. Die ſcheinbar rohſten Vor- ſtellungen ſind oft nur die kindlichſten, unſchuldigſten, wahr- ſten Vorſtellungen. Dieß gilt auch von den Vorſtellungen des Jenſeits. Der „Wilde,“ deſſen Bewußtſein nicht über die Gränzen ſeines Landes hinaus geht, der ganz mit ihm zuſam- mengewachſen iſt, nimmt auch ſein Land in das Jenſeits auf

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/256>, abgerufen am 24.11.2024.