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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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"dort werden sie nicht freyen." Das ist natürlich, kann man
entgegnen, weil schon das Sein vorausgesetzt ist. Allein man
trägt hier schon eine Distinction der Reflexion in den ursprüng-
lich nichts von dieser Distinction wissenden religiösen Sinn
hinein. Freilich ist das Sein vorausgesetzt, aber nur weil die
Qualität schon das Sein ist, weil das ungebrochne reli-
giöse Gemüth nur in der Qualität lebt, gleichwie dem na-
türlichen Menschen nur in der Qualität, die er empfindet, das
wirkliche Sein, das Ding an sich liegt. So ist in jener neu-
testamentlichen Stelle das jungfräuliche oder vielmehr ge-
schlechtslose Leben als das wahre Leben vorausgesetzt, das
jedoch nothwendig zu einem zukünftigen wird, weil dieses wirk-
liche Leben dem Ideal des wahren Lebens widerspricht. Aber
die Gewißheit dieses zukünftigen Lebens liegt nur in der Ge-
wißheit von der Beschaffenheit
dieser Zukunft als des
wahren, höchsten, dem Ideal adäquaten Lebens.

Wo das jenseitige Leben wirklich geglaubt wird, wo es
ein gewisses Leben, da ist es; eben weil ein gewisses,
auch bestimmtes. Wenn ich nicht weiß, was und wie ich
einst bin, wenn ein wesentlicher, absoluter Unterschied zwischen
meiner Zukunft und Gegenwart ist; so weiß ich auch einst
nicht, was und wie ich ehedem war, so ist die Einheit des
Bewußtseins aufgehoben, ein andres Wesen dort an meine
Stelle getreten, mein künftiges Sein in der That nicht vom
Nichtsein unterschieden. Ist dagegen kein wesentlicher Unter-
schied, so ist auch das Jenseits ein von mir bestimmbarer und
erkennbarer Gegenstand. Und so ist es auch wirklich: ich bin
das bleibende Subject in dem Wechsel der Beschaffenheiten,
ich bin die Substanz, die Dießseits und Jenseits zur Einheit
verbindet. Wie sollte mir also das Jenseits unklar sein? Im

„dort werden ſie nicht freyen.“ Das iſt natürlich, kann man
entgegnen, weil ſchon das Sein vorausgeſetzt iſt. Allein man
trägt hier ſchon eine Diſtinction der Reflexion in den urſprüng-
lich nichts von dieſer Diſtinction wiſſenden religiöſen Sinn
hinein. Freilich iſt das Sein vorausgeſetzt, aber nur weil die
Qualität ſchon das Sein iſt, weil das ungebrochne reli-
giöſe Gemüth nur in der Qualität lebt, gleichwie dem na-
türlichen Menſchen nur in der Qualität, die er empfindet, das
wirkliche Sein, das Ding an ſich liegt. So iſt in jener neu-
teſtamentlichen Stelle das jungfräuliche oder vielmehr ge-
ſchlechtsloſe Leben als das wahre Leben vorausgeſetzt, das
jedoch nothwendig zu einem zukünftigen wird, weil dieſes wirk-
liche Leben dem Ideal des wahren Lebens widerſpricht. Aber
die Gewißheit dieſes zukünftigen Lebens liegt nur in der Ge-
wißheit von der Beſchaffenheit
dieſer Zukunft als des
wahren, höchſten, dem Ideal adäquaten Lebens.

Wo das jenſeitige Leben wirklich geglaubt wird, wo es
ein gewiſſes Leben, da iſt es; eben weil ein gewiſſes,
auch beſtimmtes. Wenn ich nicht weiß, was und wie ich
einſt bin, wenn ein weſentlicher, abſoluter Unterſchied zwiſchen
meiner Zukunft und Gegenwart iſt; ſo weiß ich auch einſt
nicht, was und wie ich ehedem war, ſo iſt die Einheit des
Bewußtſeins aufgehoben, ein andres Weſen dort an meine
Stelle getreten, mein künftiges Sein in der That nicht vom
Nichtſein unterſchieden. Iſt dagegen kein weſentlicher Unter-
ſchied, ſo iſt auch das Jenſeits ein von mir beſtimmbarer und
erkennbarer Gegenſtand. Und ſo iſt es auch wirklich: ich bin
das bleibende Subject in dem Wechſel der Beſchaffenheiten,
ich bin die Subſtanz, die Dießſeits und Jenſeits zur Einheit
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[235/0253] „dort werden ſie nicht freyen.“ Das iſt natürlich, kann man entgegnen, weil ſchon das Sein vorausgeſetzt iſt. Allein man trägt hier ſchon eine Diſtinction der Reflexion in den urſprüng- lich nichts von dieſer Diſtinction wiſſenden religiöſen Sinn hinein. Freilich iſt das Sein vorausgeſetzt, aber nur weil die Qualität ſchon das Sein iſt, weil das ungebrochne reli- giöſe Gemüth nur in der Qualität lebt, gleichwie dem na- türlichen Menſchen nur in der Qualität, die er empfindet, das wirkliche Sein, das Ding an ſich liegt. So iſt in jener neu- teſtamentlichen Stelle das jungfräuliche oder vielmehr ge- ſchlechtsloſe Leben als das wahre Leben vorausgeſetzt, das jedoch nothwendig zu einem zukünftigen wird, weil dieſes wirk- liche Leben dem Ideal des wahren Lebens widerſpricht. Aber die Gewißheit dieſes zukünftigen Lebens liegt nur in der Ge- wißheit von der Beſchaffenheit dieſer Zukunft als des wahren, höchſten, dem Ideal adäquaten Lebens. Wo das jenſeitige Leben wirklich geglaubt wird, wo es ein gewiſſes Leben, da iſt es; eben weil ein gewiſſes, auch beſtimmtes. Wenn ich nicht weiß, was und wie ich einſt bin, wenn ein weſentlicher, abſoluter Unterſchied zwiſchen meiner Zukunft und Gegenwart iſt; ſo weiß ich auch einſt nicht, was und wie ich ehedem war, ſo iſt die Einheit des Bewußtſeins aufgehoben, ein andres Weſen dort an meine Stelle getreten, mein künftiges Sein in der That nicht vom Nichtſein unterſchieden. Iſt dagegen kein weſentlicher Unter- ſchied, ſo iſt auch das Jenſeits ein von mir beſtimmbarer und erkennbarer Gegenſtand. Und ſo iſt es auch wirklich: ich bin das bleibende Subject in dem Wechſel der Beſchaffenheiten, ich bin die Subſtanz, die Dießſeits und Jenſeits zur Einheit verbindet. Wie ſollte mir alſo das Jenſeits unklar ſein? Im

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/253>, abgerufen am 24.11.2024.