Der Mensch ist nichts ohne Gegenstand. Große, exemplarische Menschen -- solche Menschen, die uns das We- sen des Menschen offenbaren, bestätigten diesen Satz durch ihr Leben. Sie hatten nur eine dominirende Grundleidenschaft: die Verwirklichung des Zwecks, welcher der wesentliche Ge- genstand ihrer Thätigkeit war. Aber der Gegenstand, auf welchen sich ein Subject wesentlich, nothwendig bezieht, ist nichts andres, als das eigne, aber gegenständliche Wesen dieses Subjects. Ist derselbe ein mehreren der Gattung nach gleichen, der Art nach aber unterschiedenen Individuen gemeinschaftlicher Gegenstand, so ist er wenigstens so, wie er diesen Individuen je nach ihrer Verschiedenheit Object ist, ihr eignes aber gegenständliches Wesen.
So ist die Sonne das gemeinschaftliche Object der Planeten, aber so, wie sie dem Merkur, der Venus, dem Saturn, dem Ura- nus, so ist sie nicht der Erde Gegenstand. Jeder Planet hat seine eigne Sonne. Die Sonne, die und wie sie den Ura- nus erleuchtet und erwärmt, hat kein physisches (nur ein astro- nomisches, wissenschaftliches) Dasein für die Erde; und die Sonne erscheint nicht nur anders, sie ist auch wirklich auf dem Uranus eine andere Sonne als auf der Erde. Das Ver- halten der Erde zur Sonne ist daher zugleich ein Verhalten der Erde zu sich selbst oder zu ihrem eignen Wesen, denn das Maaß der Größe und der Intensität des Lichts, in welchem die Sonne der Erde Gegenstand ist, ist das Maaß der Ent- fernung, welches die eigenthümliche Natur der Erde begrün- det. Die Sonne jedes Planeten ist der Spiegel seines eignen Wesens.
An dem Gegenstande wird daher der Mensch seiner selbst bewußt: das Bewußtsein des Gegenstands ist das
Der Menſch iſt nichts ohne Gegenſtand. Große, exemplariſche Menſchen — ſolche Menſchen, die uns das We- ſen des Menſchen offenbaren, beſtätigten dieſen Satz durch ihr Leben. Sie hatten nur eine dominirende Grundleidenſchaft: die Verwirklichung des Zwecks, welcher der weſentliche Ge- genſtand ihrer Thätigkeit war. Aber der Gegenſtand, auf welchen ſich ein Subject weſentlich, nothwendig bezieht, iſt nichts andres, als das eigne, aber gegenſtändliche Weſen dieſes Subjects. Iſt derſelbe ein mehreren der Gattung nach gleichen, der Art nach aber unterſchiedenen Individuen gemeinſchaftlicher Gegenſtand, ſo iſt er wenigſtens ſo, wie er dieſen Individuen je nach ihrer Verſchiedenheit Object iſt, ihr eignes aber gegenſtändliches Weſen.
So iſt die Sonne das gemeinſchaftliche Object der Planeten, aber ſo, wie ſie dem Merkur, der Venus, dem Saturn, dem Ura- nus, ſo iſt ſie nicht der Erde Gegenſtand. Jeder Planet hat ſeine eigne Sonne. Die Sonne, die und wie ſie den Ura- nus erleuchtet und erwärmt, hat kein phyſiſches (nur ein aſtro- nomiſches, wiſſenſchaftliches) Daſein für die Erde; und die Sonne erſcheint nicht nur anders, ſie iſt auch wirklich auf dem Uranus eine andere Sonne als auf der Erde. Das Ver- halten der Erde zur Sonne iſt daher zugleich ein Verhalten der Erde zu ſich ſelbſt oder zu ihrem eignen Weſen, denn das Maaß der Größe und der Intenſität des Lichts, in welchem die Sonne der Erde Gegenſtand iſt, iſt das Maaß der Ent- fernung, welches die eigenthümliche Natur der Erde begrün- det. Die Sonne jedes Planeten iſt der Spiegel ſeines eignen Weſens.
An dem Gegenſtande wird daher der Menſch ſeiner ſelbſt bewußt: das Bewußtſein des Gegenſtands iſt das
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Der Menſch iſt nichts ohne Gegenſtand. Große,
exemplariſche Menſchen — ſolche Menſchen, die uns das We-
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Leben. Sie hatten nur eine dominirende Grundleidenſchaft:
die Verwirklichung des Zwecks, welcher der weſentliche Ge-
genſtand ihrer Thätigkeit war. Aber der Gegenſtand, auf
welchen ſich ein Subject weſentlich, nothwendig bezieht,
iſt nichts andres, als das eigne, aber gegenſtändliche
Weſen dieſes Subjects. Iſt derſelbe ein mehreren der Gattung
nach gleichen, der Art nach aber unterſchiedenen Individuen
gemeinſchaftlicher Gegenſtand, ſo iſt er wenigſtens ſo, wie er
dieſen Individuen je nach ihrer Verſchiedenheit Object iſt, ihr
eignes aber gegenſtändliches Weſen.
So iſt die Sonne das gemeinſchaftliche Object der Planeten,
aber ſo, wie ſie dem Merkur, der Venus, dem Saturn, dem Ura-
nus, ſo iſt ſie nicht der Erde Gegenſtand. Jeder Planet hat
ſeine eigne Sonne. Die Sonne, die und wie ſie den Ura-
nus erleuchtet und erwärmt, hat kein phyſiſches (nur ein aſtro-
nomiſches, wiſſenſchaftliches) Daſein für die Erde; und die
Sonne erſcheint nicht nur anders, ſie iſt auch wirklich auf dem
Uranus eine andere Sonne als auf der Erde. Das Ver-
halten der Erde zur Sonne iſt daher zugleich ein Verhalten
der Erde zu ſich ſelbſt oder zu ihrem eignen Weſen, denn das
Maaß der Größe und der Intenſität des Lichts, in welchem
die Sonne der Erde Gegenſtand iſt, iſt das Maaß der Ent-
fernung, welches die eigenthümliche Natur der Erde begrün-
det. Die Sonne jedes Planeten iſt der Spiegel ſeines eignen
Weſens.
An dem Gegenſtande wird daher der Menſch ſeiner
ſelbſt bewußt: das Bewußtſein des Gegenſtands iſt das
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/24>, abgerufen am 24.11.2024.
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