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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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schen ausmachen, die Menschen nur zusammen das sind und
so sind, was und wie der Mensch sein soll und sein kann.
Alle Menschen sind Sünder. Ich gebe es zu; aber sie sind
nicht Sünder alle auf gleiche Weise; es findet vielmehr ein
sehr großer, ja wesentlicher Unterschied statt. Der eine Mensch
hat Neigung zur Lüge, der Andere aber nicht: er würde eher
sein Leben lassen, als sein Wort brechen oder lügen; der
Dritte hat Neigung zur Trinklust, der Vierte zur Geschlechts-
lust, der Fünfte aber hat alle diese Neigungen nicht -- sei es
nun durch die Gnade der Natur oder die Energie seines Cha-
rakters. Es compensiren sich also auch im Moralischen,
wie im Physischen und Intellectuellen, gegenseitig die Men-
schen, so daß sie im Ganzen zusammengenommen so sind, wie
sie sein sollen, den vollkommnen Menschen darstellen.

Darum bessert und hebt der Umgang unwillkührlich, ohne
Verstellung ist der Mensch ein anderer im Umgang, als allein
für sich. Wunder wirkt namentlich die Liebe und zwar die
Geschlechterliebe. Mann und Weib berichten und ergänzen
sich gegenseitig, um so vereint erst die Gattung, den vollkomm-
nen Menschen darzustellen *). Ohne Gattung ist die Liebe
undenkbar. Die Liebe ist nichts andres als das Selbstge-
fühl der Gattung
innerhalb der Geschlechtsdifferenz. In

*) Bei den Indern (Menu Ges.) ist erst derjenige "ein voll-
ständiger Mann, der aus drei vereinigten Personen, seinem Weibe,
sich selbst und seinem Sohne besteht. Denn Mann und Weib und
Vater und Sohn sind Eins." Auch der alttestamentliche, irdische Adam
ist unvollständig ohne das Weib, sehnt sich nach ihm. Aber der neu-
testamentliche, der christliche, der himmlische, der auf den Untergang
dieser Welt berechnete Adam hat keine geschlechtlichen Triebe und
Functionen mehr.

ſchen ausmachen, die Menſchen nur zuſammen das ſind und
ſo ſind, was und wie der Menſch ſein ſoll und ſein kann.
Alle Menſchen ſind Sünder. Ich gebe es zu; aber ſie ſind
nicht Sünder alle auf gleiche Weiſe; es findet vielmehr ein
ſehr großer, ja weſentlicher Unterſchied ſtatt. Der eine Menſch
hat Neigung zur Lüge, der Andere aber nicht: er würde eher
ſein Leben laſſen, als ſein Wort brechen oder lügen; der
Dritte hat Neigung zur Trinkluſt, der Vierte zur Geſchlechts-
luſt, der Fünfte aber hat alle dieſe Neigungen nicht — ſei es
nun durch die Gnade der Natur oder die Energie ſeines Cha-
rakters. Es compenſiren ſich alſo auch im Moraliſchen,
wie im Phyſiſchen und Intellectuellen, gegenſeitig die Men-
ſchen, ſo daß ſie im Ganzen zuſammengenommen ſo ſind, wie
ſie ſein ſollen, den vollkommnen Menſchen darſtellen.

Darum beſſert und hebt der Umgang unwillkührlich, ohne
Verſtellung iſt der Menſch ein anderer im Umgang, als allein
für ſich. Wunder wirkt namentlich die Liebe und zwar die
Geſchlechterliebe. Mann und Weib berichten und ergänzen
ſich gegenſeitig, um ſo vereint erſt die Gattung, den vollkomm-
nen Menſchen darzuſtellen *). Ohne Gattung iſt die Liebe
undenkbar. Die Liebe iſt nichts andres als das Selbſtge-
fühl der Gattung
innerhalb der Geſchlechtsdifferenz. In

*) Bei den Indern (Menu Geſ.) iſt erſt derjenige „ein voll-
ſtändiger Mann, der aus drei vereinigten Perſonen, ſeinem Weibe,
ſich ſelbſt und ſeinem Sohne beſteht. Denn Mann und Weib und
Vater und Sohn ſind Eins.“ Auch der altteſtamentliche, irdiſche Adam
iſt unvollſtändig ohne das Weib, ſehnt ſich nach ihm. Aber der neu-
teſtamentliche, der chriſtliche, der himmliſche, der auf den Untergang
dieſer Welt berechnete Adam hat keine geſchlechtlichen Triebe und
Functionen mehr.
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[206/0224] ſchen ausmachen, die Menſchen nur zuſammen das ſind und ſo ſind, was und wie der Menſch ſein ſoll und ſein kann. Alle Menſchen ſind Sünder. Ich gebe es zu; aber ſie ſind nicht Sünder alle auf gleiche Weiſe; es findet vielmehr ein ſehr großer, ja weſentlicher Unterſchied ſtatt. Der eine Menſch hat Neigung zur Lüge, der Andere aber nicht: er würde eher ſein Leben laſſen, als ſein Wort brechen oder lügen; der Dritte hat Neigung zur Trinkluſt, der Vierte zur Geſchlechts- luſt, der Fünfte aber hat alle dieſe Neigungen nicht — ſei es nun durch die Gnade der Natur oder die Energie ſeines Cha- rakters. Es compenſiren ſich alſo auch im Moraliſchen, wie im Phyſiſchen und Intellectuellen, gegenſeitig die Men- ſchen, ſo daß ſie im Ganzen zuſammengenommen ſo ſind, wie ſie ſein ſollen, den vollkommnen Menſchen darſtellen. Darum beſſert und hebt der Umgang unwillkührlich, ohne Verſtellung iſt der Menſch ein anderer im Umgang, als allein für ſich. Wunder wirkt namentlich die Liebe und zwar die Geſchlechterliebe. Mann und Weib berichten und ergänzen ſich gegenſeitig, um ſo vereint erſt die Gattung, den vollkomm- nen Menſchen darzuſtellen *). Ohne Gattung iſt die Liebe undenkbar. Die Liebe iſt nichts andres als das Selbſtge- fühl der Gattung innerhalb der Geſchlechtsdifferenz. In *) Bei den Indern (Menu Geſ.) iſt erſt derjenige „ein voll- ſtändiger Mann, der aus drei vereinigten Perſonen, ſeinem Weibe, ſich ſelbſt und ſeinem Sohne beſteht. Denn Mann und Weib und Vater und Sohn ſind Eins.“ Auch der altteſtamentliche, irdiſche Adam iſt unvollſtändig ohne das Weib, ſehnt ſich nach ihm. Aber der neu- teſtamentliche, der chriſtliche, der himmliſche, der auf den Untergang dieſer Welt berechnete Adam hat keine geſchlechtlichen Triebe und Functionen mehr.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/224>, abgerufen am 22.11.2024.