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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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cher Gott sein, d. h. er kann nicht nicht sein, das befriedigte
Gemüth: er ist. Die Bürgschaft seiner Existenz liegt für
das Gemüth in der Nothwendigkeit seiner Existenz -- die
Nothwendigkeit der Befriedigung in der Gewalt des Bedürf-
nisses. Die Noth kennt kein Gesetz außer sich. Die Noth
bricht Eisen. Das Gemüth kennt keine andere Nothwendig-
keit, als die Gemüthsnothwendigkeit, die Sehnsucht: es per-
horrescirt die Nothwendigkeit der Natur, die Nothwendigkeit
der Vernunft. Nothwendig ist also dem Gemüthe ein subjec-
tiver, gemüthlicher, persönlicher Gott; aber nothwendig nur
Eine Persönlichkeit, und diese Eine nothwendig eine historische,
wirkliche Persönlichkeit. Nur in der Einheit der Persönlich-
keit befriedigt, sammelt sich das Gemüth. Die Mehrheit zer-
streut.

Wie aber die Wahrheit der Persönlichkeit die Einheit,
die Wahrheit der Einheit die Wirklichkeit -- so ist die Wahr-
heit der wirklichen Persönlichkeit -- das Blut. Der letzte,
von dem Verfasser des vierten Evangeliums mit besonderm
Nachdruck hervorgehobne Beweis, daß die sichtbare Person
Gottes kein Phantasma, sondern wirklicher Mensch gewesen,
ist, daß Blut aus seiner Seite am Kreuze geflossen. Wo der
persönliche Gott eine wahre Herzensnoth ist, da muß er
selbst Noth leiden. Nur in seinem Leiden liegt die Gewißheit
seiner Wirklichkeit; nur darauf der wesentliche Ein- und Nach-
druck der Incarnation. Gott zu sehen genügt dem Gemüthe
nicht. Die Augen geben noch keine hinlängliche Bürgschaft.
Die Wahrheit der Gesichtsvorstellung bekräftigt nur das Ge-
fühl. Aber wie subjectiv das Gefühl, so ist auch objectiv die
Fühlbarkeit, Antastbarkeit, Passibilität das letzte Kriterium der
Wirklichkeit -- das Leiden Christi daher die höchste Wonne,

Feuerbach. 13

cher Gott ſein, d. h. er kann nicht nicht ſein, das befriedigte
Gemüth: er iſt. Die Bürgſchaft ſeiner Exiſtenz liegt für
das Gemüth in der Nothwendigkeit ſeiner Exiſtenz — die
Nothwendigkeit der Befriedigung in der Gewalt des Bedürf-
niſſes. Die Noth kennt kein Geſetz außer ſich. Die Noth
bricht Eiſen. Das Gemüth kennt keine andere Nothwendig-
keit, als die Gemüthsnothwendigkeit, die Sehnſucht: es per-
horrescirt die Nothwendigkeit der Natur, die Nothwendigkeit
der Vernunft. Nothwendig iſt alſo dem Gemüthe ein ſubjec-
tiver, gemüthlicher, perſönlicher Gott; aber nothwendig nur
Eine Perſönlichkeit, und dieſe Eine nothwendig eine hiſtoriſche,
wirkliche Perſönlichkeit. Nur in der Einheit der Perſönlich-
keit befriedigt, ſammelt ſich das Gemüth. Die Mehrheit zer-
ſtreut.

Wie aber die Wahrheit der Perſönlichkeit die Einheit,
die Wahrheit der Einheit die Wirklichkeit — ſo iſt die Wahr-
heit der wirklichen Perſönlichkeit — das Blut. Der letzte,
von dem Verfaſſer des vierten Evangeliums mit beſonderm
Nachdruck hervorgehobne Beweis, daß die ſichtbare Perſon
Gottes kein Phantasma, ſondern wirklicher Menſch geweſen,
iſt, daß Blut aus ſeiner Seite am Kreuze gefloſſen. Wo der
perſönliche Gott eine wahre Herzensnoth iſt, da muß er
ſelbſt Noth leiden. Nur in ſeinem Leiden liegt die Gewißheit
ſeiner Wirklichkeit; nur darauf der weſentliche Ein- und Nach-
druck der Incarnation. Gott zu ſehen genügt dem Gemüthe
nicht. Die Augen geben noch keine hinlängliche Bürgſchaft.
Die Wahrheit der Geſichtsvorſtellung bekräftigt nur das Ge-
fühl. Aber wie ſubjectiv das Gefühl, ſo iſt auch objectiv die
Fühlbarkeit, Antaſtbarkeit, Paſſibilität das letzte Kriterium der
Wirklichkeit — das Leiden Chriſti daher die höchſte Wonne,

Feuerbach. 13
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[193/0211] cher Gott ſein, d. h. er kann nicht nicht ſein, das befriedigte Gemüth: er iſt. Die Bürgſchaft ſeiner Exiſtenz liegt für das Gemüth in der Nothwendigkeit ſeiner Exiſtenz — die Nothwendigkeit der Befriedigung in der Gewalt des Bedürf- niſſes. Die Noth kennt kein Geſetz außer ſich. Die Noth bricht Eiſen. Das Gemüth kennt keine andere Nothwendig- keit, als die Gemüthsnothwendigkeit, die Sehnſucht: es per- horrescirt die Nothwendigkeit der Natur, die Nothwendigkeit der Vernunft. Nothwendig iſt alſo dem Gemüthe ein ſubjec- tiver, gemüthlicher, perſönlicher Gott; aber nothwendig nur Eine Perſönlichkeit, und dieſe Eine nothwendig eine hiſtoriſche, wirkliche Perſönlichkeit. Nur in der Einheit der Perſönlich- keit befriedigt, ſammelt ſich das Gemüth. Die Mehrheit zer- ſtreut. Wie aber die Wahrheit der Perſönlichkeit die Einheit, die Wahrheit der Einheit die Wirklichkeit — ſo iſt die Wahr- heit der wirklichen Perſönlichkeit — das Blut. Der letzte, von dem Verfaſſer des vierten Evangeliums mit beſonderm Nachdruck hervorgehobne Beweis, daß die ſichtbare Perſon Gottes kein Phantasma, ſondern wirklicher Menſch geweſen, iſt, daß Blut aus ſeiner Seite am Kreuze gefloſſen. Wo der perſönliche Gott eine wahre Herzensnoth iſt, da muß er ſelbſt Noth leiden. Nur in ſeinem Leiden liegt die Gewißheit ſeiner Wirklichkeit; nur darauf der weſentliche Ein- und Nach- druck der Incarnation. Gott zu ſehen genügt dem Gemüthe nicht. Die Augen geben noch keine hinlängliche Bürgſchaft. Die Wahrheit der Geſichtsvorſtellung bekräftigt nur das Ge- fühl. Aber wie ſubjectiv das Gefühl, ſo iſt auch objectiv die Fühlbarkeit, Antaſtbarkeit, Paſſibilität das letzte Kriterium der Wirklichkeit — das Leiden Chriſti daher die höchſte Wonne, Feuerbach. 13

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/211>, abgerufen am 22.11.2024.