kommen, da ist Raum gegeben für noch unzählig viele andere; die Phantasie ist nicht beschränkt; da treten auch die bereits wirklichen in die Kategorie der nur möglichen oder vorstellba- ren, in die Kategorie von Phantasien oder von bloßen Er- scheinungen. Wo aber ausschließlich eine Persönlichkeit als die Incarnation der Gottheit geglaubt und angeschaut wird, da imponirt diese sogleich mit der Macht einer historischen Persönlichkeit; die Phantasie ist abgethan, die Freiheit, noch andere sich vorzustellen, aufgegeben. Diese Eine Persönlich- keit nöthigt mir den Glauben an ihre Wirklichkeit auf. Der Charakter der wirklichen Persönlichkeit ist eben die Ausschließ- lichkeit -- das Leibnitz'sche Principium des Unterschieds, daß nichts Existirendes dem andern vollkommen gleich ist. Der Ton, der Nachdruck, mit dem die Eine Persönlichkeit ausge- sprochen wird, macht einen solchen Effect auf das Gemüth, daß sie unmittelbar als eine wirkliche sich darstellt, aus einem Object der Phantasie zu einem Object der gemeinen histori- schen Anschauung wird.
Die Sehnsucht ist die Nothwendigkeit des Ge- müths; und das Gemüth sehnt sich nach einem persönlichen Gott. Aber diese Sehnsucht nach der Persönlichkeit Gottes ist nur eine wahre, ernste, tiefe, wenn sie die Sehnsucht nach Einer Persönlichkeit ist, wenn sie sich mit Einer begnügt. Mit der Mehrheit der Personen schwindet die Wahrheit des Bedürfnisses, wird die Persönlichkeit zu einem Luxusar- tikel der Phantasie. Was aber mit der Gewalt der Nothwendigkeit, das wirkt mit der Gewalt der Wirk- lichkeit auf den Menschen. Was namentlich dem Gemüth ein nothwendiges, das ist ihm unmittelbar auch ein wirk- liches Wesen. Die Sehnsucht sagt: es muß ein persönli-
kommen, da iſt Raum gegeben für noch unzählig viele andere; die Phantaſie iſt nicht beſchränkt; da treten auch die bereits wirklichen in die Kategorie der nur möglichen oder vorſtellba- ren, in die Kategorie von Phantaſien oder von bloßen Er- ſcheinungen. Wo aber ausſchließlich eine Perſönlichkeit als die Incarnation der Gottheit geglaubt und angeſchaut wird, da imponirt dieſe ſogleich mit der Macht einer hiſtoriſchen Perſönlichkeit; die Phantaſie iſt abgethan, die Freiheit, noch andere ſich vorzuſtellen, aufgegeben. Dieſe Eine Perſönlich- keit nöthigt mir den Glauben an ihre Wirklichkeit auf. Der Charakter der wirklichen Perſönlichkeit iſt eben die Ausſchließ- lichkeit — das Leibnitz’ſche Principium des Unterſchieds, daß nichts Exiſtirendes dem andern vollkommen gleich iſt. Der Ton, der Nachdruck, mit dem die Eine Perſönlichkeit ausge- ſprochen wird, macht einen ſolchen Effect auf das Gemüth, daß ſie unmittelbar als eine wirkliche ſich darſtellt, aus einem Object der Phantaſie zu einem Object der gemeinen hiſtori- ſchen Anſchauung wird.
Die Sehnſucht iſt die Nothwendigkeit des Ge- müths; und das Gemüth ſehnt ſich nach einem perſönlichen Gott. Aber dieſe Sehnſucht nach der Perſönlichkeit Gottes iſt nur eine wahre, ernſte, tiefe, wenn ſie die Sehnſucht nach Einer Perſönlichkeit iſt, wenn ſie ſich mit Einer begnügt. Mit der Mehrheit der Perſonen ſchwindet die Wahrheit des Bedürfniſſes, wird die Perſönlichkeit zu einem Luxusar- tikel der Phantaſie. Was aber mit der Gewalt der Nothwendigkeit, das wirkt mit der Gewalt der Wirk- lichkeit auf den Menſchen. Was namentlich dem Gemüth ein nothwendiges, das iſt ihm unmittelbar auch ein wirk- liches Weſen. Die Sehnſucht ſagt: es muß ein perſönli-
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kommen, da iſt Raum gegeben für noch unzählig viele andere;
die Phantaſie iſt nicht beſchränkt; da treten auch die bereits
wirklichen in die Kategorie der nur möglichen oder vorſtellba-
ren, in die Kategorie von Phantaſien oder von bloßen Er-
ſcheinungen. Wo aber ausſchließlich eine Perſönlichkeit als
die Incarnation der Gottheit geglaubt und angeſchaut wird,
da imponirt dieſe ſogleich mit der Macht einer hiſtoriſchen
Perſönlichkeit; die Phantaſie iſt abgethan, die Freiheit, noch
andere ſich vorzuſtellen, aufgegeben. Dieſe Eine Perſönlich-
keit nöthigt mir den Glauben an ihre Wirklichkeit auf. Der
Charakter der wirklichen Perſönlichkeit iſt eben die Ausſchließ-
lichkeit — das Leibnitz’ſche Principium des Unterſchieds, daß
nichts Exiſtirendes dem andern vollkommen gleich iſt. Der
Ton, der Nachdruck, mit dem die Eine Perſönlichkeit ausge-
ſprochen wird, macht einen ſolchen Effect auf das Gemüth,
daß ſie unmittelbar als eine wirkliche ſich darſtellt, aus einem
Object der Phantaſie zu einem Object der gemeinen hiſtori-
ſchen Anſchauung wird.
Die Sehnſucht iſt die Nothwendigkeit des Ge-
müths; und das Gemüth ſehnt ſich nach einem perſönlichen
Gott. Aber dieſe Sehnſucht nach der Perſönlichkeit Gottes iſt
nur eine wahre, ernſte, tiefe, wenn ſie die Sehnſucht nach
Einer Perſönlichkeit iſt, wenn ſie ſich mit Einer begnügt. Mit
der Mehrheit der Perſonen ſchwindet die Wahrheit des
Bedürfniſſes, wird die Perſönlichkeit zu einem Luxusar-
tikel der Phantaſie. Was aber mit der Gewalt der
Nothwendigkeit, das wirkt mit der Gewalt der Wirk-
lichkeit auf den Menſchen. Was namentlich dem Gemüth
ein nothwendiges, das iſt ihm unmittelbar auch ein wirk-
liches Weſen. Die Sehnſucht ſagt: es muß ein perſönli-
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/210>, abgerufen am 05.12.2024.
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