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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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als den Traum. Aber was ist der Traum? Die Umkeh-
rung des wachen Bewußtseins. Im Traume ist das Han-
delnde das Leidende, das Leidende das Handelnde; im Traume
nehme ich meine Selbstaffectionen als Affectionen von Außen,
die Gemüthsbewegungen als Ereignisse, meine Vorstellungen
und Empfindungen als Wesen außer mir wahr, leide ich,
was ich außerdem thue. Der Traum bricht die Strahlen des
Lichts doppelt -- daher sein unbeschreiblicher Reiz. Es ist
dasselbe Ich, dasselbe Wesen im Traume, wie im Wachen; der
Unterschied ist nur, daß im Wachen das Ich sich selbst af-
ficirt
, im Traume von sich selbst, als wie von einem andern
Wesen afficirt wird. Ich denke mich -- ist gemüthlos,
rationalistisch; ich bin gedacht von Gott und denke mich
nur als gedacht von Gott -- ist gemüthvoll, ist religiös.
Das Gemüth ist der Traum mit offnen Augen; die Religion
der Traum des wahren Bewußtseins; der Traum der Schlüs-
sel zu den Geheimnissen der Religion.

Das höchste Gesetz des Gemüths ist die unmittelbare
Einheit des Willens und der That, des Wunsches und der
Wirklichkeit. Dieses Gesetz erfüllt der Erlöser. Wie das
äußerliche Wunder im Gegensatz zur natürlichen Thätigkeit
die physischen Bedürfnisse und Wünsche des Menschen unmit-
telbar realisirt; so befriedigt der Erlöser, der Versöhner, der
Gottmensch im Gegensatze zur moralischen Selbstthätigkeit des
natürlichen oder rationalistischen Menschen unmittelbar die
innern moralischen Bedürfnisse und Wünsche, indem er den
Menschen der Vermittlungsthätigkeit seinerseits überhebt.
Was Du wünschest, ist bereits ein Perfectum. Du willst Dir
die Seligkeit erwerben, verdienen. Du kannst es nicht -- d.
h. in Wahrheit: Du brauchst es nicht. Es ist schon

als den Traum. Aber was iſt der Traum? Die Umkeh-
rung des wachen Bewußtſeins. Im Traume iſt das Han-
delnde das Leidende, das Leidende das Handelnde; im Traume
nehme ich meine Selbſtaffectionen als Affectionen von Außen,
die Gemüthsbewegungen als Ereigniſſe, meine Vorſtellungen
und Empfindungen als Weſen außer mir wahr, leide ich,
was ich außerdem thue. Der Traum bricht die Strahlen des
Lichts doppelt — daher ſein unbeſchreiblicher Reiz. Es iſt
daſſelbe Ich, daſſelbe Weſen im Traume, wie im Wachen; der
Unterſchied iſt nur, daß im Wachen das Ich ſich ſelbſt af-
ficirt
, im Traume von ſich ſelbſt, als wie von einem andern
Weſen afficirt wird. Ich denke mich — iſt gemüthlos,
rationaliſtiſch; ich bin gedacht von Gott und denke mich
nur als gedacht von Gott — iſt gemüthvoll, iſt religiös.
Das Gemüth iſt der Traum mit offnen Augen; die Religion
der Traum des wahren Bewußtſeins; der Traum der Schlüſ-
ſel zu den Geheimniſſen der Religion.

Das höchſte Geſetz des Gemüths iſt die unmittelbare
Einheit des Willens und der That, des Wunſches und der
Wirklichkeit. Dieſes Geſetz erfüllt der Erlöſer. Wie das
äußerliche Wunder im Gegenſatz zur natürlichen Thätigkeit
die phyſiſchen Bedürfniſſe und Wünſche des Menſchen unmit-
telbar realiſirt; ſo befriedigt der Erlöſer, der Verſöhner, der
Gottmenſch im Gegenſatze zur moraliſchen Selbſtthätigkeit des
natürlichen oder rationaliſtiſchen Menſchen unmittelbar die
innern moraliſchen Bedürfniſſe und Wünſche, indem er den
Menſchen der Vermittlungsthätigkeit ſeinerſeits überhebt.
Was Du wünſcheſt, iſt bereits ein Perfectum. Du willſt Dir
die Seligkeit erwerben, verdienen. Du kannſt es nicht — d.
h. in Wahrheit: Du brauchſt es nicht. Es iſt ſchon

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[184/0202] als den Traum. Aber was iſt der Traum? Die Umkeh- rung des wachen Bewußtſeins. Im Traume iſt das Han- delnde das Leidende, das Leidende das Handelnde; im Traume nehme ich meine Selbſtaffectionen als Affectionen von Außen, die Gemüthsbewegungen als Ereigniſſe, meine Vorſtellungen und Empfindungen als Weſen außer mir wahr, leide ich, was ich außerdem thue. Der Traum bricht die Strahlen des Lichts doppelt — daher ſein unbeſchreiblicher Reiz. Es iſt daſſelbe Ich, daſſelbe Weſen im Traume, wie im Wachen; der Unterſchied iſt nur, daß im Wachen das Ich ſich ſelbſt af- ficirt, im Traume von ſich ſelbſt, als wie von einem andern Weſen afficirt wird. Ich denke mich — iſt gemüthlos, rationaliſtiſch; ich bin gedacht von Gott und denke mich nur als gedacht von Gott — iſt gemüthvoll, iſt religiös. Das Gemüth iſt der Traum mit offnen Augen; die Religion der Traum des wahren Bewußtſeins; der Traum der Schlüſ- ſel zu den Geheimniſſen der Religion. Das höchſte Geſetz des Gemüths iſt die unmittelbare Einheit des Willens und der That, des Wunſches und der Wirklichkeit. Dieſes Geſetz erfüllt der Erlöſer. Wie das äußerliche Wunder im Gegenſatz zur natürlichen Thätigkeit die phyſiſchen Bedürfniſſe und Wünſche des Menſchen unmit- telbar realiſirt; ſo befriedigt der Erlöſer, der Verſöhner, der Gottmenſch im Gegenſatze zur moraliſchen Selbſtthätigkeit des natürlichen oder rationaliſtiſchen Menſchen unmittelbar die innern moraliſchen Bedürfniſſe und Wünſche, indem er den Menſchen der Vermittlungsthätigkeit ſeinerſeits überhebt. Was Du wünſcheſt, iſt bereits ein Perfectum. Du willſt Dir die Seligkeit erwerben, verdienen. Du kannſt es nicht — d. h. in Wahrheit: Du brauchſt es nicht. Es iſt ſchon

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/202>, abgerufen am 22.11.2024.