Gräuel, weil er selbst nichts andres als das übernatürliche Gemüth ist.
Selbst die trocknen, so willkührlich kritischen protestanti- schen Orthodoxen betrachteten noch die Empfängniß der gott- gebärenden Jungfrau als ein großes, verehrungs- und an- staunungswürdiges, heiliges, übervernünftiges Glaubensmyste- rium*). Aber bei den Protestanten, welche den Christen nur auf den Glauben reducirten und beschränkten, im Leben aber Mensch sein ließen, hatte auch dieses Mysterium nur dogma- tische, nicht mehr praktische Bedeutung. Sie ließen sich durch dieses Mysterium in ihrer Heirathslust nicht irre ma- chen. Bei den Katholiken, überhaupt den alten unbeding- ten unkritischen Christen war, was ein Mysterium des Glaubens auch ein Mysterium des Lebens, der Mo- ral**). Die katholische Moral ist christlich, mystisch, die pro- testantische Moral war schon von Anfang an rationali- stisch. Die protestantische Moral ist und war eine fleischliche Ver- mischung des Christen mit dem Menschen -- dem natürlichen, politischen, bürgerlichen, socialen Menschen oder wie ihr ihn sonst im Unterschiede vom christlichen nennen wollt -- die katholische Moral bewahrte auf ihrem Herzen das Geheim- niß der unbefleckten Jungfräulichkeit. Die katholische Moral war die Mater dolorosa, die protestantische eine wohlbeleibte, kindergesegnete Hausfrau. Der Protestantismus ist von Grund aus der Widerspruch zwischen Glauben und Leben.
*) S. z. B. J. D. Winckler Philolog. Lactant. s. Brunsvigae. 1754. p. 247--254.
**) S. hierüber auch "Philos. und Christenthum" von L. Feuer- bach.
Gräuel, weil er ſelbſt nichts andres als das übernatürliche Gemüth iſt.
Selbſt die trocknen, ſo willkührlich kritiſchen proteſtanti- ſchen Orthodoxen betrachteten noch die Empfängniß der gott- gebärenden Jungfrau als ein großes, verehrungs- und an- ſtaunungswürdiges, heiliges, übervernünftiges Glaubensmyſte- rium*). Aber bei den Proteſtanten, welche den Chriſten nur auf den Glauben reducirten und beſchränkten, im Leben aber Menſch ſein ließen, hatte auch dieſes Myſterium nur dogma- tiſche, nicht mehr praktiſche Bedeutung. Sie ließen ſich durch dieſes Myſterium in ihrer Heirathsluſt nicht irre ma- chen. Bei den Katholiken, überhaupt den alten unbeding- ten unkritiſchen Chriſten war, was ein Myſterium des Glaubens auch ein Myſterium des Lebens, der Mo- ral**). Die katholiſche Moral iſt chriſtlich, myſtiſch, die pro- teſtantiſche Moral war ſchon von Anfang an rationali- ſtiſch. Die proteſtantiſche Moral iſt und war eine fleiſchliche Ver- miſchung des Chriſten mit dem Menſchen — dem natürlichen, politiſchen, bürgerlichen, ſocialen Menſchen oder wie ihr ihn ſonſt im Unterſchiede vom chriſtlichen nennen wollt — die katholiſche Moral bewahrte auf ihrem Herzen das Geheim- niß der unbefleckten Jungfräulichkeit. Die katholiſche Moral war die Mater dolorosa, die proteſtantiſche eine wohlbeleibte, kindergeſegnete Hausfrau. Der Proteſtantismus iſt von Grund aus der Widerſpruch zwiſchen Glauben und Leben.
*) S. z. B. J. D. Winckler Philolog. Lactant. s. Brunsvigae. 1754. p. 247—254.
**) S. hierüber auch „Philoſ. und Chriſtenthum“ von L. Feuer- bach.
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Gräuel, weil er ſelbſt nichts andres als das übernatürliche
Gemüth iſt.
Selbſt die trocknen, ſo willkührlich kritiſchen proteſtanti-
ſchen Orthodoxen betrachteten noch die Empfängniß der gott-
gebärenden Jungfrau als ein großes, verehrungs- und an-
ſtaunungswürdiges, heiliges, übervernünftiges Glaubensmyſte-
rium *). Aber bei den Proteſtanten, welche den Chriſten nur auf
den Glauben reducirten und beſchränkten, im Leben aber
Menſch ſein ließen, hatte auch dieſes Myſterium nur dogma-
tiſche, nicht mehr praktiſche Bedeutung. Sie ließen ſich
durch dieſes Myſterium in ihrer Heirathsluſt nicht irre ma-
chen. Bei den Katholiken, überhaupt den alten unbeding-
ten unkritiſchen Chriſten war, was ein Myſterium des
Glaubens auch ein Myſterium des Lebens, der Mo-
ral **). Die katholiſche Moral iſt chriſtlich, myſtiſch, die pro-
teſtantiſche Moral war ſchon von Anfang an rationali-
ſtiſch. Die proteſtantiſche Moral iſt und war eine fleiſchliche Ver-
miſchung des Chriſten mit dem Menſchen — dem natürlichen,
politiſchen, bürgerlichen, ſocialen Menſchen oder wie ihr ihn
ſonſt im Unterſchiede vom chriſtlichen nennen wollt — die
katholiſche Moral bewahrte auf ihrem Herzen das Geheim-
niß der unbefleckten Jungfräulichkeit. Die katholiſche Moral
war die Mater dolorosa, die proteſtantiſche eine wohlbeleibte,
kindergeſegnete Hausfrau. Der Proteſtantismus iſt von
Grund aus der Widerſpruch zwiſchen Glauben und Leben.
*) S. z. B. J. D. Winckler Philolog. Lactant. s. Brunsvigae.
1754. p. 247—254.
**) S. hierüber auch „Philoſ. und Chriſtenthum“ von L. Feuer-
bach.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/199>, abgerufen am 05.12.2024.
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