ser Eindruck liegt nur in dem vorübergehenden Act des Thuns -- der bleibende, wesenhafte Eindruck ist der gemüthliche. In dem Momente, wo der geliebte Todte aufgeweckt wird, erschrecken wohl die umstehenden Verwandten und Freunde über die au- ßerordentliche, allmächtige Kraft, die Todte in Lebende ver- wandelt; aber in demselben ungetheilten Momente -- denn die Wirkungen der Wundermacht sind absolut schnell -- wo er aufersteht, wo das Wunder vollbracht ist, da fallen auch schon die Verwandten dem Wiedererstandnen in die Arme und füh- ren ihn unter Freudenthränen nach Hause, um hier ein ge- müthliches Fest zu feiern. Aus dem Gemüthe entspringt das Wunder, auf das Gemüth geht es wieder zurück. Selbst in der Darstellung verläugnet es nicht seinen Ursprung. Die adäquate Darstellung ist allein die gemüthliche. Wer sollte in der Erzählung von der Erweckung des Lazarus, des größten Wunders, den gemüthlichen, behaglichen Legendenton verkennen*)? Gemüthlich ist aber eben das Wunder, weil es, wie gesagt, ohne Arbeit, ohne Anstrengung die Wünsche des Menschen befriedigt. Arbeit ist gemüthlos, ungläubig, ratio- nalistisch; denn der Mensch macht hier sein Dasein abhängig von der Zweckthätigkeit, die selbst wieder lediglich durch den Begriff der gegenständlichen Welt vermittelt ist. Aber das Gemüth kümmert sich nichts um die objective Welt; es geht nicht außer und über sich hinaus; es ist selig in sich. Das Element der Bildung, das nordische Princip der Selbstentäu-
*) Die Legenden des Katholicismus -- natürlich nur die bessern, wahrhaft gemüthlichen -- sind gleichsam nur das Echo von dem Grundton, der schon in dieser neutestamentlichen Erzählung herrscht. -- Das Wun- der könnte man füglich auch definiren als den religiösen Humor. Be- sonders hat der Katholicismus das Wunder von dieser seiner humoristischen Seite ausgebildet.
ſer Eindruck liegt nur in dem vorübergehenden Act des Thuns — der bleibende, weſenhafte Eindruck iſt der gemüthliche. In dem Momente, wo der geliebte Todte aufgeweckt wird, erſchrecken wohl die umſtehenden Verwandten und Freunde über die au- ßerordentliche, allmächtige Kraft, die Todte in Lebende ver- wandelt; aber in demſelben ungetheilten Momente — denn die Wirkungen der Wundermacht ſind abſolut ſchnell — wo er auferſteht, wo das Wunder vollbracht iſt, da fallen auch ſchon die Verwandten dem Wiedererſtandnen in die Arme und füh- ren ihn unter Freudenthränen nach Hauſe, um hier ein ge- müthliches Feſt zu feiern. Aus dem Gemüthe entſpringt das Wunder, auf das Gemüth geht es wieder zurück. Selbſt in der Darſtellung verläugnet es nicht ſeinen Urſprung. Die adäquate Darſtellung iſt allein die gemüthliche. Wer ſollte in der Erzählung von der Erweckung des Lazarus, des größten Wunders, den gemüthlichen, behaglichen Legendenton verkennen*)? Gemüthlich iſt aber eben das Wunder, weil es, wie geſagt, ohne Arbeit, ohne Anſtrengung die Wünſche des Menſchen befriedigt. Arbeit iſt gemüthlos, ungläubig, ratio- naliſtiſch; denn der Menſch macht hier ſein Daſein abhängig von der Zweckthätigkeit, die ſelbſt wieder lediglich durch den Begriff der gegenſtändlichen Welt vermittelt iſt. Aber das Gemüth kümmert ſich nichts um die objective Welt; es geht nicht außer und über ſich hinaus; es iſt ſelig in ſich. Das Element der Bildung, das nordiſche Princip der Selbſtentäu-
*) Die Legenden des Katholicismus — natürlich nur die beſſern, wahrhaft gemüthlichen — ſind gleichſam nur das Echo von dem Grundton, der ſchon in dieſer neuteſtamentlichen Erzählung herrſcht. — Das Wun- der könnte man füglich auch definiren als den religiöſen Humor. Be- ſonders hat der Katholicismus das Wunder von dieſer ſeiner humoriſtiſchen Seite ausgebildet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0189"n="171"/>ſer Eindruck liegt nur in dem vorübergehenden Act des Thuns —<lb/>
der bleibende, weſenhafte Eindruck iſt der gemüthliche. In dem<lb/>
Momente, wo der geliebte Todte aufgeweckt wird, erſchrecken<lb/>
wohl die umſtehenden Verwandten und Freunde über die au-<lb/>
ßerordentliche, allmächtige Kraft, die Todte in Lebende ver-<lb/>
wandelt; aber in demſelben ungetheilten Momente — denn die<lb/>
Wirkungen der Wundermacht ſind abſolut ſchnell — wo er<lb/>
auferſteht, wo das Wunder vollbracht iſt, da fallen auch ſchon<lb/>
die Verwandten dem Wiedererſtandnen in die Arme und füh-<lb/>
ren ihn unter Freudenthränen nach Hauſe, um hier ein ge-<lb/>
müthliches Feſt zu feiern. <hirendition="#g">Aus dem Gemüthe entſpringt<lb/>
das Wunder, auf das Gemüth geht es wieder zurück</hi>.<lb/>
Selbſt in der Darſtellung verläugnet es nicht ſeinen Urſprung.<lb/>
Die adäquate Darſtellung iſt allein die gemüthliche. Wer<lb/>ſollte in der Erzählung von der Erweckung des Lazarus, des<lb/>
größten Wunders, den gemüthlichen, behaglichen Legendenton<lb/>
verkennen<noteplace="foot"n="*)">Die Legenden des Katholicismus — natürlich nur die beſſern,<lb/>
wahrhaft gemüthlichen —ſind gleichſam nur das Echo von dem Grundton,<lb/>
der ſchon in dieſer neuteſtamentlichen Erzählung herrſcht. — Das Wun-<lb/>
der könnte man füglich auch definiren als den <hirendition="#g">religiöſen Humor</hi>. Be-<lb/>ſonders hat der Katholicismus das Wunder von dieſer ſeiner humoriſtiſchen<lb/>
Seite ausgebildet.</note>? Gemüthlich iſt aber eben das Wunder, weil es,<lb/>
wie geſagt, ohne Arbeit, ohne Anſtrengung die Wünſche des<lb/>
Menſchen befriedigt. Arbeit iſt gemüthlos, ungläubig, ratio-<lb/>
naliſtiſch; denn der Menſch macht hier ſein Daſein abhängig<lb/>
von der Zweckthätigkeit, die ſelbſt wieder lediglich durch den<lb/>
Begriff der <hirendition="#g">gegenſtändlichen Welt</hi> vermittelt iſt. Aber das<lb/>
Gemüth kümmert ſich nichts um die objective Welt; es geht<lb/>
nicht außer und über ſich hinaus; es iſt ſelig in ſich. Das<lb/>
Element der Bildung, das nordiſche Princip der Selbſtentäu-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[171/0189]
ſer Eindruck liegt nur in dem vorübergehenden Act des Thuns —
der bleibende, weſenhafte Eindruck iſt der gemüthliche. In dem
Momente, wo der geliebte Todte aufgeweckt wird, erſchrecken
wohl die umſtehenden Verwandten und Freunde über die au-
ßerordentliche, allmächtige Kraft, die Todte in Lebende ver-
wandelt; aber in demſelben ungetheilten Momente — denn die
Wirkungen der Wundermacht ſind abſolut ſchnell — wo er
auferſteht, wo das Wunder vollbracht iſt, da fallen auch ſchon
die Verwandten dem Wiedererſtandnen in die Arme und füh-
ren ihn unter Freudenthränen nach Hauſe, um hier ein ge-
müthliches Feſt zu feiern. Aus dem Gemüthe entſpringt
das Wunder, auf das Gemüth geht es wieder zurück.
Selbſt in der Darſtellung verläugnet es nicht ſeinen Urſprung.
Die adäquate Darſtellung iſt allein die gemüthliche. Wer
ſollte in der Erzählung von der Erweckung des Lazarus, des
größten Wunders, den gemüthlichen, behaglichen Legendenton
verkennen *)? Gemüthlich iſt aber eben das Wunder, weil es,
wie geſagt, ohne Arbeit, ohne Anſtrengung die Wünſche des
Menſchen befriedigt. Arbeit iſt gemüthlos, ungläubig, ratio-
naliſtiſch; denn der Menſch macht hier ſein Daſein abhängig
von der Zweckthätigkeit, die ſelbſt wieder lediglich durch den
Begriff der gegenſtändlichen Welt vermittelt iſt. Aber das
Gemüth kümmert ſich nichts um die objective Welt; es geht
nicht außer und über ſich hinaus; es iſt ſelig in ſich. Das
Element der Bildung, das nordiſche Princip der Selbſtentäu-
*) Die Legenden des Katholicismus — natürlich nur die beſſern,
wahrhaft gemüthlichen — ſind gleichſam nur das Echo von dem Grundton,
der ſchon in dieſer neuteſtamentlichen Erzählung herrſcht. — Das Wun-
der könnte man füglich auch definiren als den religiöſen Humor. Be-
ſonders hat der Katholicismus das Wunder von dieſer ſeiner humoriſtiſchen
Seite ausgebildet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/189>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.