eine reine creatio ex nihilo. In dem geheimniß- und verhängnißvollen Wunderact, in dem Act, der das Wunder zum Wunder macht, ist urplötzlich, ununterscheidbar Wasser Wein -- was eben so viel sagen will, als Eisen ist Holz oder ein hölzernes Eisen.
Der Wunderact -- und das Wunder ist nur ein flüchti- ger Act -- ist daher kein denkbarer, denn er hebt das Princip der Denkbarkeit auf -- aber eben so wenig ein Object des Sinnes, ein Object wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Wasser ist wohl Gegenstand des Sinnes, auch Wein; ich sehe jetzt wohl Wasser, hernach Wein; aber das Wunder selbst, das was dieses Wasser urplötzlich zum Wein macht, dieß ist, weil kein Naturproceß, ein reines Perfectum ohne vorherge- hendes Imperfectum ohne Modus, ohne Mittel und Weise ist, kein Gegenstand wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Das Wunder ist ein Ding der Einbildung -- eben deßwegen auch so gemüthlich, denn die Phantasie ist die dem subjec- tiven Gemüthe allein entsprechende Thätigkeit, weil sie alle Schranken, alle Gesetze, welche dem Gemüthe wehethun, be- seitigt, und so dem Menschen die unmittelbare, schlechthin un- beschränkte Befriedigung seiner subjectivsten Wünsche vergegen- ständlicht*). Gemüthlichkeit ist die wesentliche Eigenschaft des Wunders. Wohl macht auch das Wunder einen erhabnen, erschütternden Eindruck, insofern als es eine Macht ausdrückt, vor der nichts besteht -- die Macht der Phantasie. Aber die-
*) Freilich ist diese Befriedigung -- eine Bemerkung, die sich übri- gens von selbst versteht -- insofern beschränkt, als sie an die Religion, den Glauben an Gott gebunden ist. Aber diese Beschränkung ist in Wahr- heit keine Beschränkung, denn Gott selbst ist das unbeschränkte, das ab- solut befriedigte, in sich gesättigte Wesen des menschlichen Gemüthes.
eine reine creatio ex nihilo. In dem geheimniß- und verhängnißvollen Wunderact, in dem Act, der das Wunder zum Wunder macht, iſt urplötzlich, ununterſcheidbar Waſſer Wein — was eben ſo viel ſagen will, als Eiſen iſt Holz oder ein hölzernes Eiſen.
Der Wunderact — und das Wunder iſt nur ein flüchti- ger Act — iſt daher kein denkbarer, denn er hebt das Princip der Denkbarkeit auf — aber eben ſo wenig ein Object des Sinnes, ein Object wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Waſſer iſt wohl Gegenſtand des Sinnes, auch Wein; ich ſehe jetzt wohl Waſſer, hernach Wein; aber das Wunder ſelbſt, das was dieſes Waſſer urplötzlich zum Wein macht, dieß iſt, weil kein Naturproceß, ein reines Perfectum ohne vorherge- hendes Imperfectum ohne Modus, ohne Mittel und Weiſe iſt, kein Gegenſtand wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Das Wunder iſt ein Ding der Einbildung — eben deßwegen auch ſo gemüthlich, denn die Phantaſie iſt die dem ſubjec- tiven Gemüthe allein entſprechende Thätigkeit, weil ſie alle Schranken, alle Geſetze, welche dem Gemüthe wehethun, be- ſeitigt, und ſo dem Menſchen die unmittelbare, ſchlechthin un- beſchränkte Befriedigung ſeiner ſubjectivſten Wünſche vergegen- ſtändlicht*). Gemüthlichkeit iſt die weſentliche Eigenſchaft des Wunders. Wohl macht auch das Wunder einen erhabnen, erſchütternden Eindruck, inſofern als es eine Macht ausdrückt, vor der nichts beſteht — die Macht der Phantaſie. Aber die-
*) Freilich iſt dieſe Befriedigung — eine Bemerkung, die ſich übri- gens von ſelbſt verſteht — inſofern beſchränkt, als ſie an die Religion, den Glauben an Gott gebunden iſt. Aber dieſe Beſchränkung iſt in Wahr- heit keine Beſchraͤnkung, denn Gott ſelbſt iſt das unbeſchränkte, das ab- ſolut befriedigte, in ſich geſättigte Weſen des menſchlichen Gemüthes.
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verhängnißvollen Wunderact, in dem Act, der das Wunder
zum Wunder macht, iſt urplötzlich, ununterſcheidbar Waſſer
Wein — was eben ſo viel ſagen will, als Eiſen iſt Holz oder
ein hölzernes Eiſen.
Der Wunderact — und das Wunder iſt nur ein flüchti-
ger Act — iſt daher kein denkbarer, denn er hebt das Princip
der Denkbarkeit auf — aber eben ſo wenig ein Object des
Sinnes, ein Object wirklicher oder nur möglicher Erfahrung.
Waſſer iſt wohl Gegenſtand des Sinnes, auch Wein; ich ſehe
jetzt wohl Waſſer, hernach Wein; aber das Wunder ſelbſt,
das was dieſes Waſſer urplötzlich zum Wein macht, dieß iſt,
weil kein Naturproceß, ein reines Perfectum ohne vorherge-
hendes Imperfectum ohne Modus, ohne Mittel und Weiſe iſt,
kein Gegenſtand wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Das
Wunder iſt ein Ding der Einbildung — eben deßwegen
auch ſo gemüthlich, denn die Phantaſie iſt die dem ſubjec-
tiven Gemüthe allein entſprechende Thätigkeit, weil ſie alle
Schranken, alle Geſetze, welche dem Gemüthe wehethun, be-
ſeitigt, und ſo dem Menſchen die unmittelbare, ſchlechthin un-
beſchränkte Befriedigung ſeiner ſubjectivſten Wünſche vergegen-
ſtändlicht *). Gemüthlichkeit iſt die weſentliche Eigenſchaft des
Wunders. Wohl macht auch das Wunder einen erhabnen,
erſchütternden Eindruck, inſofern als es eine Macht ausdrückt,
vor der nichts beſteht — die Macht der Phantaſie. Aber die-
*) Freilich iſt dieſe Befriedigung — eine Bemerkung, die ſich übri-
gens von ſelbſt verſteht — inſofern beſchränkt, als ſie an die Religion, den
Glauben an Gott gebunden iſt. Aber dieſe Beſchränkung iſt in Wahr-
heit keine Beſchraͤnkung, denn Gott ſelbſt iſt das unbeſchränkte, das ab-
ſolut befriedigte, in ſich geſättigte Weſen des menſchlichen Gemüthes.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/188>, abgerufen am 23.07.2024.
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