Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe zu seinem Kinde*). Die Bitte ist nur ein Ausdruck
von der Gewalt, die das Kind über den Vater ausübt --
wenn man anders den Ausdruck Gewalt hier anwenden darf,
da die Gewalt des Kindes nichts ist, als die Gewalt des
Vaterherzens selbst
. Die Sprache hat für Bitten und
Befehlen dieselbe Form -- den Imperativ. Die Bitte ist der
Imperativ der Liebe. Und der amatorische Imperativ
hat unendlich mehr Macht als der despotische. Die Liebe
befiehlt nicht; die Liebe braucht ihre Wünsche nur leise anzu-
deuten, um schon der Erfüllung derselben gewiß zu sein; der
Despot muß schon in den Ton eine Gewalt hineinlegen, um
andere, gegen ihn an sich gleichgültige Wesen zu Vollstreckern
seiner Wünsche zu machen. Der amatorische Imperativ wirkt
mit elektro-magnetischer Kraft, der despotische mit der mecha-
nischen Kraft eines hölzernen Telegraphen. Der innigste
Ausdruck Gottes im Gebet ist das Wort: Vater -- der
innigste, weil sich hier der Mensch zu dem absoluten Wesen als
dem seinigen verhält, das Wort Vater eben selbst der Ausdruck
der innigsten, intensivsten Identität ist, der Ausdruck, in dem
unmittelbar die Gewähr meiner Wünsche, die Garantie
meines Heils liegt. Die Allmacht, an die sich der Mensch im
Gebete wendet, ist nichts als die Allmacht der Güte, die
zum Heile des Menschen auch das Unmögliche möglich macht --
in Wahrheit nichts andres als die Allmacht des Her-
zens
, des Gefühls, welches alle Verstandesschranken durch-
bricht, alle Gränzen der Natur überflügelt, welches will, daß

*) Trefflich ist der Begriff des Abhängigkeitsgefühles, der All-
macht, des Gebetes, der Liebe in der lesenswürdigen Schrift: Thean-
thropos
. Eine Reihe von Aphorismen. Zürich. 1838 entwickelt.

Liebe zu ſeinem Kinde*). Die Bitte iſt nur ein Ausdruck
von der Gewalt, die das Kind über den Vater ausübt —
wenn man anders den Ausdruck Gewalt hier anwenden darf,
da die Gewalt des Kindes nichts iſt, als die Gewalt des
Vaterherzens ſelbſt
. Die Sprache hat für Bitten und
Befehlen dieſelbe Form — den Imperativ. Die Bitte iſt der
Imperativ der Liebe. Und der amatoriſche Imperativ
hat unendlich mehr Macht als der despotiſche. Die Liebe
befiehlt nicht; die Liebe braucht ihre Wünſche nur leiſe anzu-
deuten, um ſchon der Erfüllung derſelben gewiß zu ſein; der
Despot muß ſchon in den Ton eine Gewalt hineinlegen, um
andere, gegen ihn an ſich gleichgültige Weſen zu Vollſtreckern
ſeiner Wünſche zu machen. Der amatoriſche Imperativ wirkt
mit elektro-magnetiſcher Kraft, der despotiſche mit der mecha-
niſchen Kraft eines hölzernen Telegraphen. Der innigſte
Ausdruck Gottes im Gebet iſt das Wort: Vater — der
innigſte, weil ſich hier der Menſch zu dem abſoluten Weſen als
dem ſeinigen verhält, das Wort Vater eben ſelbſt der Ausdruck
der innigſten, intenſivſten Identität iſt, der Ausdruck, in dem
unmittelbar die Gewähr meiner Wünſche, die Garantie
meines Heils liegt. Die Allmacht, an die ſich der Menſch im
Gebete wendet, iſt nichts als die Allmacht der Güte, die
zum Heile des Menſchen auch das Unmögliche möglich macht —
in Wahrheit nichts andres als die Allmacht des Her-
zens
, des Gefühls, welches alle Verſtandesſchranken durch-
bricht, alle Gränzen der Natur überflügelt, welches will, daß

*) Trefflich iſt der Begriff des Abhängigkeitsgefühles, der All-
macht, des Gebetes, der Liebe in der leſenswuͤrdigen Schrift: Thean-
thropos
. Eine Reihe von Aphorismen. Zürich. 1838 entwickelt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0180" n="162"/><hi rendition="#g">Liebe</hi> zu &#x017F;einem Kinde<note place="foot" n="*)">Trefflich i&#x017F;t der Begriff des Abhängigkeitsgefühles, der All-<lb/>
macht, des Gebetes, der Liebe in der le&#x017F;enswu&#x0364;rdigen Schrift: <hi rendition="#g">Thean-<lb/>
thropos</hi>. Eine Reihe von Aphorismen. Zürich. 1838 entwickelt.</note>. Die Bitte i&#x017F;t nur ein Ausdruck<lb/>
von der <hi rendition="#g">Gewalt</hi>, die das Kind über den Vater ausübt &#x2014;<lb/>
wenn man anders den Ausdruck Gewalt hier anwenden darf,<lb/>
da die Gewalt des Kindes nichts i&#x017F;t, als die <hi rendition="#g">Gewalt des<lb/>
Vaterherzens &#x017F;elb&#x017F;t</hi>. Die Sprache hat für Bitten und<lb/>
Befehlen die&#x017F;elbe Form &#x2014; den Imperativ. Die <hi rendition="#g">Bitte</hi> i&#x017F;t der<lb/><hi rendition="#g">Imperativ der Liebe</hi>. Und der amatori&#x017F;che Imperativ<lb/>
hat unendlich mehr Macht als der despoti&#x017F;che. Die Liebe<lb/>
befiehlt nicht; die Liebe braucht ihre Wün&#x017F;che nur lei&#x017F;e anzu-<lb/>
deuten, um &#x017F;chon der Erfüllung der&#x017F;elben gewiß zu &#x017F;ein; der<lb/>
Despot muß &#x017F;chon in den Ton eine Gewalt hineinlegen, um<lb/>
andere, gegen ihn an &#x017F;ich gleichgültige We&#x017F;en zu Voll&#x017F;treckern<lb/>
&#x017F;einer Wün&#x017F;che zu machen. Der amatori&#x017F;che Imperativ wirkt<lb/>
mit elektro-magneti&#x017F;cher Kraft, der despoti&#x017F;che mit der mecha-<lb/>
ni&#x017F;chen Kraft eines hölzernen Telegraphen. Der innig&#x017F;te<lb/>
Ausdruck Gottes im Gebet i&#x017F;t das Wort: <hi rendition="#g">Vater</hi> &#x2014; der<lb/>
innig&#x017F;te, weil &#x017F;ich hier der Men&#x017F;ch zu dem ab&#x017F;oluten We&#x017F;en als<lb/>
dem &#x017F;einigen verhält, das Wort Vater eben &#x017F;elb&#x017F;t der Ausdruck<lb/>
der innig&#x017F;ten, inten&#x017F;iv&#x017F;ten Identität i&#x017F;t, <hi rendition="#g">der</hi> Ausdruck, in dem<lb/>
unmittelbar die <hi rendition="#g">Gewähr</hi> meiner Wün&#x017F;che, die <hi rendition="#g">Garantie</hi><lb/>
meines Heils liegt. Die Allmacht, an die &#x017F;ich der Men&#x017F;ch im<lb/>
Gebete wendet, i&#x017F;t nichts als die <hi rendition="#g">Allmacht der Güte</hi>, die<lb/>
zum Heile des Men&#x017F;chen auch das Unmögliche möglich macht &#x2014;<lb/>
in Wahrheit nichts andres als die <hi rendition="#g">Allmacht des Her-<lb/>
zens</hi>, des <hi rendition="#g">Gefühls</hi>, welches alle Ver&#x017F;tandes&#x017F;chranken durch-<lb/>
bricht, alle Gränzen der Natur überflügelt, welches will, daß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0180] Liebe zu ſeinem Kinde *). Die Bitte iſt nur ein Ausdruck von der Gewalt, die das Kind über den Vater ausübt — wenn man anders den Ausdruck Gewalt hier anwenden darf, da die Gewalt des Kindes nichts iſt, als die Gewalt des Vaterherzens ſelbſt. Die Sprache hat für Bitten und Befehlen dieſelbe Form — den Imperativ. Die Bitte iſt der Imperativ der Liebe. Und der amatoriſche Imperativ hat unendlich mehr Macht als der despotiſche. Die Liebe befiehlt nicht; die Liebe braucht ihre Wünſche nur leiſe anzu- deuten, um ſchon der Erfüllung derſelben gewiß zu ſein; der Despot muß ſchon in den Ton eine Gewalt hineinlegen, um andere, gegen ihn an ſich gleichgültige Weſen zu Vollſtreckern ſeiner Wünſche zu machen. Der amatoriſche Imperativ wirkt mit elektro-magnetiſcher Kraft, der despotiſche mit der mecha- niſchen Kraft eines hölzernen Telegraphen. Der innigſte Ausdruck Gottes im Gebet iſt das Wort: Vater — der innigſte, weil ſich hier der Menſch zu dem abſoluten Weſen als dem ſeinigen verhält, das Wort Vater eben ſelbſt der Ausdruck der innigſten, intenſivſten Identität iſt, der Ausdruck, in dem unmittelbar die Gewähr meiner Wünſche, die Garantie meines Heils liegt. Die Allmacht, an die ſich der Menſch im Gebete wendet, iſt nichts als die Allmacht der Güte, die zum Heile des Menſchen auch das Unmögliche möglich macht — in Wahrheit nichts andres als die Allmacht des Her- zens, des Gefühls, welches alle Verſtandesſchranken durch- bricht, alle Gränzen der Natur überflügelt, welches will, daß *) Trefflich iſt der Begriff des Abhängigkeitsgefühles, der All- macht, des Gebetes, der Liebe in der leſenswuͤrdigen Schrift: Thean- thropos. Eine Reihe von Aphorismen. Zürich. 1838 entwickelt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/180
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/180>, abgerufen am 05.12.2024.