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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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gende, sich ohne Ein- und Widerrede bejahende mensch-
liche Gemüth
? Der Mensch, der sich nicht die Vorstellung
der Welt aus dem Kopf schlägt, die Vorstellung, daß Alles
hier nur vermittelt ist, jede Wirkung ihre natürliche Ursache
hat, jeder Wunsch nur erreicht wird, wenn er zum Zweck ge-
macht und die entsprechenden Mittel ergriffen werden, ein sol-
cher Mensch betet nicht; er arbeitet nur: er verwandelt die er-
reichbaren Wünsche in Zwecke reeller Thätigkeit, die übrigen
Wünsche, die er als subjective erkennt, negirt er oder betrach-
tet sie eben nur als subjective, fromme Wünsche. Kurz, er be-
schränkt, bedingt sein Wesen durch die Welt, als deren Mit-
glied er sich denkt, seine Wünsche durch die Vorstellung der
Nothwendigkeit. Im Gebete dagegen schließt der Mensch die
Welt und mit ihr alle Gedanken der Vermittlung, der Abhän-
gigkeit, der traurigen Nothwendigkeit von sich aus; er macht seine
Wünsche, seine Herzensangelegenheiten zu Gegenständen des
unabhängigen, allvermögenden, des absoluten Wesens, d. h. er
bejaht
sie unbeschränkt. Gott ist das Jawort des mensch-
lichen Gemüths -- das Gebet die unbedingte Zuversicht des
menschlichen Gemüthes zur absoluten Identität des Sub-
jectiven und Objectiven
, die Gewißheit, daß die Macht
des Herzens größer als die Macht der Natur, daß das Her-
zensbedürfniß die absolute Nothwendigkeit
, das
Schicksal der Welt ist. Das Gebet verändert den Na-
turlauf
-- es bestimmt Gott zur Hervorbringung einer Wir-
kung, die mit den Gesetzen der Natur im Widerspruch
steht. Das Gebet ist das absolute Verhalten des mensch-
lichen Herzens zu sich selbst, zu seinem eigenen We-
sen
-- im Gebete vergißt der Mensch, daß eine Schranke sei-
ner Wünsche existirt, und ist selig in diesem Vergessen.

gende, ſich ohne Ein- und Widerrede bejahende menſch-
liche Gemüth
? Der Menſch, der ſich nicht die Vorſtellung
der Welt aus dem Kopf ſchlägt, die Vorſtellung, daß Alles
hier nur vermittelt iſt, jede Wirkung ihre natürliche Urſache
hat, jeder Wunſch nur erreicht wird, wenn er zum Zweck ge-
macht und die entſprechenden Mittel ergriffen werden, ein ſol-
cher Menſch betet nicht; er arbeitet nur: er verwandelt die er-
reichbaren Wünſche in Zwecke reeller Thätigkeit, die übrigen
Wünſche, die er als ſubjective erkennt, negirt er oder betrach-
tet ſie eben nur als ſubjective, fromme Wünſche. Kurz, er be-
ſchränkt, bedingt ſein Weſen durch die Welt, als deren Mit-
glied er ſich denkt, ſeine Wünſche durch die Vorſtellung der
Nothwendigkeit. Im Gebete dagegen ſchließt der Menſch die
Welt und mit ihr alle Gedanken der Vermittlung, der Abhän-
gigkeit, der traurigen Nothwendigkeit von ſich aus; er macht ſeine
Wünſche, ſeine Herzensangelegenheiten zu Gegenſtänden des
unabhängigen, allvermögenden, des abſoluten Weſens, d. h. er
bejaht
ſie unbeſchränkt. Gott iſt das Jawort des menſch-
lichen Gemüths — das Gebet die unbedingte Zuverſicht des
menſchlichen Gemüthes zur abſoluten Identität des Sub-
jectiven und Objectiven
, die Gewißheit, daß die Macht
des Herzens größer als die Macht der Natur, daß das Her-
zensbedürfniß die abſolute Nothwendigkeit
, das
Schickſal der Welt iſt. Das Gebet verändert den Na-
turlauf
— es beſtimmt Gott zur Hervorbringung einer Wir-
kung, die mit den Geſetzen der Natur im Widerſpruch
ſteht. Das Gebet iſt das abſolute Verhalten des menſch-
lichen Herzens zu ſich ſelbſt, zu ſeinem eigenen We-
ſen
— im Gebete vergißt der Menſch, daß eine Schranke ſei-
ner Wünſche exiſtirt, und iſt ſelig in dieſem Vergeſſen.

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[159/0177] gende, ſich ohne Ein- und Widerrede bejahende menſch- liche Gemüth? Der Menſch, der ſich nicht die Vorſtellung der Welt aus dem Kopf ſchlägt, die Vorſtellung, daß Alles hier nur vermittelt iſt, jede Wirkung ihre natürliche Urſache hat, jeder Wunſch nur erreicht wird, wenn er zum Zweck ge- macht und die entſprechenden Mittel ergriffen werden, ein ſol- cher Menſch betet nicht; er arbeitet nur: er verwandelt die er- reichbaren Wünſche in Zwecke reeller Thätigkeit, die übrigen Wünſche, die er als ſubjective erkennt, negirt er oder betrach- tet ſie eben nur als ſubjective, fromme Wünſche. Kurz, er be- ſchränkt, bedingt ſein Weſen durch die Welt, als deren Mit- glied er ſich denkt, ſeine Wünſche durch die Vorſtellung der Nothwendigkeit. Im Gebete dagegen ſchließt der Menſch die Welt und mit ihr alle Gedanken der Vermittlung, der Abhän- gigkeit, der traurigen Nothwendigkeit von ſich aus; er macht ſeine Wünſche, ſeine Herzensangelegenheiten zu Gegenſtänden des unabhängigen, allvermögenden, des abſoluten Weſens, d. h. er bejaht ſie unbeſchränkt. Gott iſt das Jawort des menſch- lichen Gemüths — das Gebet die unbedingte Zuverſicht des menſchlichen Gemüthes zur abſoluten Identität des Sub- jectiven und Objectiven, die Gewißheit, daß die Macht des Herzens größer als die Macht der Natur, daß das Her- zensbedürfniß die abſolute Nothwendigkeit, das Schickſal der Welt iſt. Das Gebet verändert den Na- turlauf — es beſtimmt Gott zur Hervorbringung einer Wir- kung, die mit den Geſetzen der Natur im Widerſpruch ſteht. Das Gebet iſt das abſolute Verhalten des menſch- lichen Herzens zu ſich ſelbſt, zu ſeinem eigenen We- ſen — im Gebete vergißt der Menſch, daß eine Schranke ſei- ner Wünſche exiſtirt, und iſt ſelig in dieſem Vergeſſen.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/177>, abgerufen am 04.12.2024.